Eine neue Studie will vor kurzem die weltweit ersten Todesfälle durch Kiffen nachgewiesen haben. Wurde die Droge bisher völlig unterschätzt? Ja, findet Uwe Wicha, Leiter einer Klinik für Drogentherapie. Seiner Erfahrung nach ist Cannabis genauso gefährlich wie die sogenannten "harten" Drogen.
Bisher starben zwei Menschen nachweislich an Cannabis-Konsum. Das scheint eher selten zu sein. Kann man Kiffen tatsächlich als gefährlich bezeichnen?
Uwe Wicha: Wir können heute nicht sagen, für wie viele Tode THC wirklich verantwortlich ist. Wir wissen ja nichts über die Dunkelziffer. Man hat ja bisher bei solchen Unglücken gar nicht nachgeforscht, ob Cannabis-Konsum eine Rolle spielt. Diesen muss man in Zukunft bei Fällen von plötzlichem Herztod in die Ursachenforschung einbeziehen.
Das tödliche Risiko von Cannabis lässt sich also im Moment noch nicht abschätzen?
Nein. Man weiß nur, dass man in Zukunft auch in diese Richtung schauen muss.
Welche weiteren Risiken sind bisher bekannt?
Ein Risiko besteht vor allem in der Abhängigkeit, die sich herausbilden kann. Das ist bei Cannabis ebenso der Fall wie bei allen anderen Drogen auch.
Ist dieses Suchtpotenzial wissenschaftlich belegt? Viele denken ja, Cannabis wäre in dieser Hinsicht harmlos.
Cannabis funktioniert wie jede andere Droge, die man zu sich nimmt, um eine Veränderung des Zustandes und der Gefühlswelt zu bewirken. Sie haben alle das Potenzial, süchtig zu machen. Bei Cannabis steht zwar keine körperliche Abhängigkeit im Vordergrund, wohl aber eine psychische. Und die ist das Hauptproblem bei Suchterkrankungen. Die Droge sorgt für Entspannungszustände und Wohlgefühl. Das Gehirn stellt sich darauf ein und produziert die Stoffe, die dafür zuständig sind, nicht mehr selbst..
Wird die psychische Abhängigkeit von Kiffern unterschätzt?
Sie wird nicht nur von Kiffern unterschätzt. Seit den Achtzigerjahren herrscht die Unterscheidung zwischen "weichen" und "harten" Drogen. Das ist unsinnig. Es gibt Konsummuster, die problematisch sind und zur Abhängigkeit führen. Und das passiert bei allen Drogen. Manche haben jedoch ein höheres körperliches Suchtpotenzial, zum Beispiel Crystal Meth. Von den anderen Drogen kann man genauso abhängig werden, jedoch dauert der Prozess länger.
Die psychische Abhängigkeit ist also bei allen Drogen vergleichbar?
Es spielen verschiedene Faktoren eine Rolle: Die Droge selbst und ihre Wirkungsweise, aber auch die persönlichen Voraussetzungen des Menschen, der sie konsumiert. Jemand, der stabil im Leben steht, Arbeit hat, gute private Beziehungen hat, ist weniger gefährdet, abhängig zu werden.
Behandeln Sie in Ihrer Klinik auch Personen, die ausschließlich von Cannabis abhängig sind?
In den meisten Fällen sind unsere Patienten polytoxikoman. Das bedeutet, sie nehmen alle möglichen Drogen, um sich in den jeweils gewünschten Zustand zu versetzen. Wenn jemand viele aufputschende Drogen nimmt wie Crystal oder Amphetamine, dann ist der Körper nicht mehr in der Lage, von allein in den Zustand der Entspannung zu finden. Um wieder schlafen zu können, werden dann sedierende Mittel eingenommen, zum Beispiel Cannabis.
Cannabis als einzige Sucht ist bei Ihren Patienten also selten?
Ja. Das liegt daran, dass die meisten, die von Cannabis abhängig sind, irgendwann zu anderen Drogen greifen.
Haschisch als klassische Einstiegsdroge?
Eigentlich nicht. Meistens geschieht der Einstieg über Alkohol. Erste Rauscherfahrungen werden in früher Jugend gemacht und als angenehm empfunden. Im weiteren Verlauf kommt es darauf an, ob man Kontakt zu Leuten hat, die kiffen. Dann gibt es die, die wieder aufhören, und andere, die darauf hängen bleiben. Am Anfang spürt man ja nur die Vorteile, daher macht man weiter. Die Rechnung wird hinterher präsentiert: Wenn sich der Körper schon so an die Drogen gewöhnt hat, dass diese nur noch bewirken, dass man nur noch die Entzugserscheinungen lindert.
Gibt es einen Unterschied zwischen Cannabis-Abhängigen und anderen Drogensüchtigen?
Nein. Bei allen Süchtigen dreht sich das Leben nur noch um die Droge und ihre Beschaffung.
In mehreren US-Staaten ist Kiffen mittlerweile legal. Wäre das für Deutschland auch denkbar?
Es gibt ja das Argument, Kiffen sei genauso gefährlich oder ungefährlich wie Alkohol. Alkohol ist legal, fordert aber eine Unmenge an Krankheit und Leid. Und dann soll man noch eine zweite solche Droge legalisieren? Ich glaube sogar, es wäre vernünftiger, die Verfügbarkeit von Alkohol einzuschränken. Beim Nikotin hat man das getan und es gibt mittlerweile deutlich weniger Menschen, die rauchen.
In Deutschland kommen durchschnittlich 28 Menschen pro Tag aufgrund von Cannabis-Konsum ins Krankenhaus. Womit ist das zu erklären?
Neben der Abhängigkeit stellen Psychosen und Schizophrenie ein Problem dar. Kiffer haben Studien zufolge ein doppelt so hohes Risiko, eine Psychose zu entwickeln. Dann ist man ein psychiatrischer Fall – und das ein Leben lang.
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