Wieso ist es für viele von uns so normal, Alkohol zu trinken und wann ist man eigentlich alt oder reif genug dafür? Ein Charité-Arzt über diese Fragen, auf die es mehr als eine Antwort gibt - und die eine entscheidende weitere Frage aufwerfen.
Egal, ob wir uns ewig binden oder ein Jahr älter werden: Wenn es etwas zu feiern gibt, stoßen wir mit Champagner, Wein, Sekt oder einem Bier darauf an. Die schönsten Momente in unserem Leben – wir trinken auf sie.
Umgekehrt trinken auch viele Menschen in Momenten, in denen es schlecht läuft. Und dann trinken wir auch einfach, weil es schmeckt. Alkohol ist tief in unserer Gesellschaft verwurzelt - und auch in unserer Geschichte.
"Europäische Kulturen blicken auf eine jahrtausendelange Alkoholkonsumgeschichte zurück", sagt Andreas Heinz von der Berliner Charité. Er hat mehrere Bücher zum Thema Sucht und Alkohol verfasst.
"Fünf Liter Bier nahm eine Person Untersuchungen zufolge noch im Mittelalter pro Tag zu sich - vom Baby bis zum Greis." Das hatte nicht nur Nachteile. In einer Biersuppe wurde Alkohol damals verkocht, das Bier war wohl auch deutlich weniger mit Bakterien kontaminiert als Wasser.
Mit dem internationalen Sklaven- und Waffenhandel kamen dann auch Kaffee und Tee in unsere Breitengrade. Es war die Zeit der Aufklärung, von Debattierklubs. "Damals setzte eine gewisse Nüchternheit ein. Das ermöglichte auch die intellektuellen Phänomene, die entstehen können, wenn die Leute aus ihrem kontinuierlichen Alkoholtrinken erwachen", sagt Heinz.
Wie viel trinkt Deutschland?
- Pro Jahr trinken Menschen in Deutschland laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen pro Jahr 91,8 Liter Bier, 19,9 Liter Wein, 3,2 Liter Schaumwein und 5,2 Liter Spirituosen.
- Bei einer EU-weiten Untersuchung aus dem Jahr 2023 gaben 3 von 10 Menschen aus Deutschland an, starken Alkoholkonsum zu betreiben. Nur in drei europäischen Ländern sind es mehr Menschen: in Dänemark, Luxemburg und Rumänien.
Momentan ist es in Deutschland so, dass schon sehr früh das sogenannte begleitete Trinken erlaubt ist: Laut Jugendschutzgesetz dürfen Jugendliche ab 14 Jahren im Beisein einer sorgeberechtigten Person Bier, Wein oder Schaumwein trinken. Derzeit planen mehrere Bundesländer und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), das Gesetz abzuschaffen.
"Mit 14 zu trinken, ist natürlich absurd", sagt Heinz dazu und ergänzt: "Aber ist es dann nicht auch absurd, mit 16 Alkohol zu trinken?" Wenn man am Alter 16 für den legalen Alkoholkonsum festhalten wolle, sei es eine Option, begleitetes Trinken zwischen 16 und 18 einzuführen.
"Aus rein biologischer Sicht wäre es sogar begrüßenswert, wenn man vor dem 25. Lebensjahr keinen Alkohol trinkt, weil das Gehirn bis dahin reift", sagt er aber auch. Dass das unrealistisch und rechtlich schwer umzusetzen wäre, ist Heinz ebenso klar.
Generell hält er aber nichts davon, Alkohol zu dämonisieren, oder von strengen Verboten, etwa wie in den USA. Dort ist es erst ab 21 Jahren erlaubt, Alkohol zu trinken.
"Letztlich müssen Menschen in einer Kultur, in der es legale Drogen gibt, lernen, mit diesen legalen Drogen umzugehen", sagt er. "Die eine Lösung für die Gesellschaft" gibt es laut Heinz dabei nicht. Gerade wenn es darum geht, wer ein erhöhtes Risiko hat, eine Sucht zu entwickeln, spielen neben genetischen auch psychologische und soziale Faktoren eine Rolle.
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Schon an Schulen sollten junge Menschen daher lebensnah aufgeklärt werden und etwa mit Betroffenen und Angehörigen sprechen können - auch, um dem Thema das Stigma zu nehmen. "Die wichtigste Frage ist: Wie stärken wir den vernünftigen Umgang mit Alkohol?" Dazu gehört für Heinz auch, dass es normalisiert sein sollte, keinen Alkohol zu trinken.
Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen gibt mit dem sogenannten "risikoarmen Alkoholkonsum", eine grobe Einschätzung vor, wie verantwortungsvoller Alkoholkonsum aussehen kann: Bei Frauen höchstens 12 Gramm Alkohol am Tag, das entspricht etwa einem kleinen Bier, bei Männern 24 Gramm. An mindestens zwei Tagen in der Woche sollte man komplett auf Alkohol verzichten. Natürlich gilt diese Empfehlung nicht pauschal für jede Person und sollte im Zweifelsfall mit einem Arzt oder einer Ärztin besprochen werden.
Ein weiterer Aspekt ist Heinz auch wichtig: der Umgang mit Suchterkrankten. Krankenkassen zahlen die Entgiftung, aber nicht die Behandlung der Suchterkrankung, hier müsse ein Antrag bei der Rentenversicherung gestellt werden. Heinz findet das widersinnig. "Einerseits konsumieren sehr viele Menschen Alkohol, andererseits stigmatisieren wir Menschen, die süchtig nach ihm werden, und suchen dann nach einfachen Lösungen."
Über den Gesprächspartner
- Prof. Dr. med. Dr. phil. Andreas Heinz ist Psychiater und Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité.
Verwendete Quellen
- bzga.de: Alkohl. Basisinformationen
- dhs.de: Alkohol - Zahlen, Daten, Fakten
- oecd.org: State of Health in the EU. Deutschland. Länderprofil Gesundheit 2023
- kenn-dein-limit.de: Alkoholkonsum in Deutschland
- bundesgesundheitsministerium.de: Alkohol
- gesund.bund.de: Alkohol und Alkoholabhängigkeit
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