Rund 80 Prozent der Deutschen plagen sich einmal im Leben - ganz unabhängig vom Alter - mit Rückenproblemen herum. Bei etwa 60 Prozent kehren die Kreuzschmerzen regelmäßig wieder. Und viele fühlen sich den Beschwerden hilflos ausgeliefert, wie unsere Leser-Umfrage zeigte.
Insgesamt 5.248 Leser haben bei der nicht repräsentativen Online-Umfrage mitgemacht und uns verraten, wie sie mit Kreuzbeschwerden umgehen. Das Erstaunliche: 86 Prozent der Teilnehmer versuchen, ihre Rückenprobleme allein in den Griff zu bekommen - ganz ohne medizinische Hilfe.
So vertrauen 59 Prozent darauf, dass die Schmerzen von selbst wieder verschwinden und 25 Prozent versuchen, die Probleme durch mehr Bewegung in den Griff zu kriegen. Lediglich 15 Prozent der User gaben bei der Online-Umfrage an, dass sie bei Beschwerden einen Arzt aufsuchen würden.
Ist diese Haltung gesundheitlich vertretbar oder nehmen viele ihre Kreuzprobleme zu sehr "auf die leichte Schulter"?
Die am häufigsten auftretenden Beschwerden und wodurch sie entstehen
"Muskulär bedingte Rückenschmerzen sind die häufigsten Formen überhaupt", weiß Dr. Gerhard H. H. Müller-Schwefe, Präsident der "Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie" (DGS). "Diese können sowohl im Schulter-Nacken-Bereich als auch im Lendenbereich auftreten, strahlen häufig auch ins Gesäß und manchmal auch in die Oberschenkel aus." Abnützungserscheinungen der Wirbelsäule oder Bandscheibenschäden kommen dagegen nur selten als Ursache für Rückenschmerzen infrage - tatsächlich machen sie weniger als fünf Prozent der Kreuzbeschwerden aus.
Muskulär bedingte Rückenschmerzen sind in erster Linie auf Bewegungsmangel zurückzuführen. "Das Muskelsystem, mit dem wir ausgestattet sind, ist (...) auf Bewegung ausgerichtet und funktioniert nur dann gut, wenn wir ihm täglich ausreichend Bewegung verschaffen", sagt Dr. Müller-Schwefe. Doch in unserer modernen (Arbeits-)Welt wird die Muskulatur kaum noch aktiv gefordert, sondern muss zunehmend nur noch "Haltearbeit" leisten.
Durch die konstante Anspannung sind die Nervenzellen im Rückenmark jedoch permanent aktiviert - anfangs noch unmerklich. "Erhalten diese Nervenzellen aber eine akute zusätzliche Information, etwa durch schnelles Bücken, Drehen oder Ähnliches, reagieren die voraktivierten Nervenzellen überschießend", erklärt der Experte. Was folgt, ist ein massiver Schmerz, der sich noch steigern und zu einer weiteren Verkürzung der Muskeln führen kann. "Oft bedeutet dies Bewegungsunfähigkeit und Steifigkeit, wobei nicht die akute Bewegung auslösend war, sondern das längerfristige Voraktivieren durch Fehlhaltung", so Müller-Schwefe weiter.
Aber nicht nur die körperliche Fehlbelastung kommt als Ursache für Rückenbeschwerden in Frage, auch seelische Probleme wirken sich negativ auf das Kreuz aus. "Die Schulter-Nacken-Muskulatur ist wie ein Gedächtnisspeicher für seelische Belastungen", sagt der Präsident der "Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie". Probleme, Stress und Angst führen nicht nur zu einer erhöhten Anspannung der Rückenmuskulatur, sondern auch zu einer größeren Empfindlichkeit der Schmerz verarbeitenden Nervenzellen in Rückenmark und Gehirn.
Welche Rückenbeschwerden "harmlos" sind und ab wann man zum Arzt sollte
Rückenschmerzen sind eine Volkskrankheit: Etwa 80 Prozent der Deutschen haben einmal im Leben damit zu tun. In den meisten Fällen verschwinden die Schmerzen von selbst wieder, ganz ohne Therapie - wenn man sich ausreichend bewegt. "Diese Rückenschmerzen sind in der Regel im Schulter-Nacken-Bereich oder im Rücken lokalisiert und strahlen nicht in andere Körperteile, insbesondere Gesäß, Leiste oder Beine aus. Die beste Therapie für diese Schmerzen ist Bewegung", sagt auch Dr. Müller-Schwefe.
Damit bestätigt der Arzt und Schmerz-Experte den Therapieansatz der User, die bei unserer Online-Umfrage angaben, ihren Beschwerden mit Sport entgegenzuwirken. Denn anders als früher vielfach gepredigt wurde, können Ruhe und Schonung Rückenbeschwerden sogar noch verschlimmern. Wer aufgrund von Schmerzen Schwierigkeiten hat, in Bewegung zu bleiben, dem rät der Mediziner zu einer kurzfristigen Therapie mit entzündungs- und schmerzhemmenden (rezeptfreien) Medikamenten.
Erst wenn die Rückenschmerzen länger als eine Woche andauern, sollte ein Arzt zu Rate gezogen werden. Das Gleiche gilt, wenn die Schmerzen ins Gesäß, in die Leiste oder auch in die Beine ausstrahlen - insbesondere wenn die Schmerzen stromstoßartig, elektrisierend, brennend oder kribbelnd sind. "Schmerzen, die elektrisierend ausstrahlen, ein Brennen, Kribbeln oder auch Gefühlsstörungen verursachen, sind in der Regel auf eine Störung der versorgenden Nerven zurückzuführen - häufig durch Bandscheibenvorfälle oder Engstellungen der Nervenaustrittszonen", erklärt Dr. Müller-Schwefe. In diesen Fällen ist umgehend eine gezielte Diagnostik sowie eine Therapie erforderlich.
Für Schmerzgeplagte, die aufgrund ihrer anhaltenden Rückenbeschwerden schon über Wochen arbeitsunfähig sind, bieten einige Krankenkassen in Zusammenarbeit mit der "Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie" inzwischen eine vier- bis achtwöchige Intensivtherapie an. Die Wirkung dieses Programms, bei dem Haus- und Fachärzte, Psychologen und Physiotherapeuten als Team Hand in Hand mit dem Patienten arbeiten, ist beachtlich: 87 Prozent der Patienten waren danach wieder arbeitsfähig. Auch sechs Monate nach der Therapie war die Leistungs- und Lebensqualität der Patienten noch konstant hoch.
Doch man muss es gar nicht so weit kommen lassen ...
Übungen, die die Rückenmuskulatur stärken und Linderung bringen
Die meiste Zeit unseres Lebens bringen wir an unserem Arbeitsplatz zu - und das größtenteils im Sitzen. Doch der Bewegungsmangel ist auf Dauer Gift für unseren Rücken. Deshalb sollte man gerade im Job auf ausreichend Bewegung achten.
Ihrem Rücken zuliebe verlassen Sie möglichst häufig Ihren sitzenden Arbeitsplatz, beispielsweise indem Sie den Drucker so aufstellen, dass Sie ihn nur durch Aufstehen erreichen können. "Achten Sie außerdem darauf, dass Ihr sitzender Arbeitsplatz so gestaltet ist, dass die Sitzfläche in vier Richtungen beweglich ist und die Rückenmuskulatur ständig spielen muss" ergänzt DGS-Präsident Dr. Müller-Schwefe. Auch die wechselnde Belastung beim Treppensteigen hilft, die Muskulatur zu stärken.
Eine weitere kleine, aber effektive Übung zur Lockerung der Rückenmuskulatur, die Sie ganz einfach und unbemerkt auch etwa während einer Konferenz durchführen können: Stellen Sie die Füße parallel zueinander auf den Boden. Stützen Sie nun die Hände auf die Knie und drücken Sie diese bei geradem Rücken so fest wie möglich gegen die Knie. Diese Position für 20 Sekunden halten (etwa fünf tiefe Atemzüge), dann wieder entspannen. Wiederholen Sie die Übung drei- bis fünfmal.
Neben den Rückenmuskeln ist auch eine starke Bauchmuskulatur für die Stabilität der Wirbelsäule notwendig. Diese lässt sich mit einfachen Sit-Ups trainieren. Um dauerhaft schmerzfrei zu bleiben, sollten derartige Übungen täglich ausgeführt werden.
Weitere Informationen zu dem Thema sowie Anschriften qualifizierter Schmerztherapeuten gibt es bei der "Deutschen Schmerzliga":
Schmerztelefon: 0700/375 375 375 (12 Cent/Minute)
E-Mail: info@schmerzliga.de
Internet: www.schmerzliga.de
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