Vier Millionen Menschen haben seinen sechsminütigen Auftritt bei "TV total" inzwischen gesehen. Comedian Chris Tall erklärt darin, warum er in seinen Shows auch Witze über Randgruppen wie Schwule, Schwarze oder Behinderte macht. Das gefällt nicht jedem. Sein Mentor und Komiker Kay Ray verteidigt seinen Schützling. Aber was sagen Betroffene dazu? Drei Personen, zwei Interviews - eine Meinung.
Der Deutsche Behindertenrat verfolgt unter anderem das Ziel "die Gleichstellung mit nichtbehinderten Menschen in unserer Gesellschaft zu erreichen." Aber gehört es zur Gleichstellung, die Schwächen von Menschen mit Behinderung auf die Schippe zu nehmen?
Für die Komiker
Ilja Seifert ist selbst betroffen: Der Vorsitzende des Allgemeinen Behindertenverbandes in Deutschland (ABiD) sitzt seit einem Unfall im Rollstuhl. Seine Position überrascht: Auch er findet es völlig in Ordnung, Menschen mit Behinderung auf die Schippe zu nehmen. "Ich wäre traurig, wenn es nicht so wäre", sagt er. Das vollständige Interview lesen Sie hier.
Interview mit den Komikern Chris Tall und Kay Ray
Sie beide sind Comedians, die auch Witze über Randgruppen machen. Über die Satire sagt man, sie dürfe alles. Trifft das in Ihren Augen auch auf Stand-up-Comedy zu?
Chris Tall: Ich finde, dass man Witze machen sollte über alle Menschen auf dieser Welt. Scheißegal, welche Hautfarbe er hat, wie er aussieht oder sonst irgendwas – solange alles auf Augenhöhe ist. Viele fragen mich: Wo ist die Grenze? Ich finde, beim Mobbing hört es auf: Wenn ein Stärkerer auf einen Schwächeren losgeht, der eine sich als Sieger und der andere sich schlecht fühlt.
Kay Ray: Ich habe irgendwann erkannt: Man muss über alles lachen können. Die Welt wächst zusammen, wird immer kleiner. Wir wissen nicht mehr, womit wir jemand anderen beleidigen. Wenn wir uns damit beschäftigen, niemanden beleidigen zu wollen und alle gleich sein wollen, dann fallen wir auf die Schnauze.
In Indien wird es als Beleidigung empfunden, die Beine so übereinanderzuschlagen, dass man dem anderen die Fußsohle zeigt. Wenn wir darauf Rücksicht nehmen, weil ein Inder im Publikum sitzt – oder ein Schwarzer oder ein Rollstuhlfahrer – dann wird es eng. Viel einfacher ist es zu lernen, über das Anderssein zu lachen.
Heischt man damit nur nach billigen Lachern?
Kay Ray: Comedy ist nicht unbedingt immer flach. Der Unterschied zwischen Kabarett und Comedy ist: Der Kabarettist macht es des Geldes wegen und der Comedian macht es wegen dem Geld. Eine alte Pointe, aber durchaus treffend.
Man kann auch mit einem Comedy-Programm die Leute aufwecken. Das ist das, was Chris spürt und was ich auch spüre. Die Grenzen verschwimmen und Chris erreicht damit ein großes Publikum. Das ist doch großartig!
Die Gefahr besteht, dass man falsch verstanden wird. Chris Tall, Sie haben nach Ihrem letzten Auftritt bei "TV total" nicht nur gute Presse bekommen, zum Beispiel hat "Vice.com" Ihnen Pegida-freundliche Pointen attestiert.
Chris Tall: Die Gefahr besteht, dass die Leute es falsch verstehen - wenn sie es falsch verstehen wollen. Ich finde, wenn man sich meinen Auftritt anguckt, kann man es gar nicht falsch verstehen. Wie deutlich soll ich es noch machen: Wir sind alle gleich und dürfen uns alle nicht zu ernst nehmen.
Den erwähnten Artikel schrieb eine Redakteurin, die das nicht mochte. Das ist auch völlig ok. Ich konzentriere mich auf das positive Feedback. Wichtig ist – was Kay ja schon seit Jahren macht – auf der Bühne zu stehen und die Leute gehen danach nach Hause und nehmen was mit.
Und das nächste Mal, wenn sie einen Rollstuhlfahrer sehen, dann lachen sie vielleicht mit ihm anstatt wegzugucken, weil es sie peinlich berührt. Dann haben wir schon was geschafft.
Ich habe mich bei dem Stand-up über Integration durch Humor von Kay inspirieren lassen und wir haben das Ganze zusammen für mich erarbeitet. Ansonsten rede ich in meinem Programm ja eher über meine Familie und den Generationenkonflikt.
Kay Ray: Ich hasse dieses ständige Irgendwas-ins-rechte-Reich-Rücken: Comedians sind keine Rechtspopulisten, sondern wir sind Menschenrechtspopulisten. Es ist irre, dass man uns jahrelang Themen wie Nazi, Jude, Religion generell verboten hat.
Man war immer gleich Menschenfeind, immer gleich rechts. Heute brennen mehr Flüchtlingsheime denn je. Ich frage mich wie es wäre, wenn wir uns über diese ganzen Themen mal ein bisschen amüsiert hätten – wie die Engländer das übrigens seit Jahren tun.
Kay Ray, Sie finden, dass man über das Anderssein lachen sollte. Sie sind selbst "anders". Chris Tall wirkt dagegen an die Mehrheitsgesellschaft angepasst. Ist es da nicht problematischer, über das Anderssein Witze zu machen?
Kay Ray: (überlegt) Ich weiß es nicht. Wenn ich als bunter Vogel auf die Bühne komme, sagt die eine Hälfte: "Das ist interessant." Die andere Hälfte sagt: "O Gott, was ist das denn? Ich hol mir mal schnell ein Bier." Aber ich denke, das ist bei Chris das Gleiche.
Chris Tall: Ich glaube nicht, dass man da einen Unterschied machen sollte. Dadurch grenzt man ja wieder aus. Das ist genau der falsche Ansatz. Es geht darum, dass alle Menschen im Alltag anfangen, sich nicht mehr so ernst zu nehmen. Alle sollten Witze über alle machen. Wie bereits gesagt: Dass das auf Augenhöhe passiert, ist Voraussetzung.
Chris Tall, durch Ihre Art von Humor besteht für Sie offenbar die Notwendigkeit, sich auf Ihrem Facebook-Profil klar von Pegida abzugrenzen.
Chris Tall: Das stimmt. Mach ich aber gerne. Mit Pegida haben wir nichts zu tun und wollen auch gar nicht so viel über die sprechen.
Sie haben eben gesagt, dass Sie sich lieber auf das positive Feedback konzentrieren. Kommt das auch von den Betroffenen, zum Beispiel Menschen mit Behinderung, selbst?
Chris Tall: Das ist das Schöne: Es kommt von allen. Darunter sind die vermeintlichen Normalos, die sagen: "Ja, du hast Recht, endlich sagt's mal einer." Aber die, die mir am meisten schreiben, sind Rollstuhlfahrer.
Die machen dann öffentlich selbst Witze über sich, andere erwidern etwas, liken es – da kommt so viel Freude auf. Das ist doch der Hammer! Einer schrieb mir: "Traue nie einem Rollstuhlfahrer mir dreckigen Schuhsohlen." Da bin ich vor Lachen vom Stuhl gefallen!
Kay Ray: Es ist aber sicherlich auch so, dass es Menschen gibt, die das trifft. Dass es auch Rollstuhlfahrer gibt, die das trifft. Aber wissen Sie, ob ich unter meiner Bisexualität leide? Da muss ich mich selbst drum kümmern, da kann ich nicht die Welt dafür verantwortlich machen, dass jemand Witze reißt über ein Problem, das ich habe.
Gab es Fälle, in denen sich Betroffene negativ geäußert haben?
Kay Ray: Nur die Schwulen. Neulich ist ein Schwuler aus meiner Show gegangen, der meinte, ich wäre zu weit gegangen. Ich nehme an, weil ich einen Witz über Auschwitz gemacht habe, aber das habe ich nie rausgekriegt.
Oder als ich als bisexueller Mann meine Frau geheiratet habe. Da hat mir die Schwulenszene von Hannover geschrieben: "Dafür haben wir nicht gekämpft." Einige Schwule haben da ein Problem, die Rollstuhlfahrer sind schon weiter.
Bei Ihren Auftritten machen Sie aber nicht nur Witze über Randgruppen, oft trifft es eher das Publikum generell.
Kay Ray: Mein Kampf gilt seit Jahren der political correctness, weil es sie nicht gibt. Aber in meinem Fall hat es mein Publikum sehr leicht. Die kriegen in der ersten Reihe Wodka ausgegeben und es wird keiner vorgeführt.
Chris Tall: Mein Solo-Programm geht hauptsächlich über meine Familie, meinen Alltag und mich. Es gibt viel Interaktion mit dem Publikum. Aber auch bei mir hat es das Publikum leicht, weil es merkt, dass ich mich selber nicht ernst nehme und die meisten Pointen selbst abkriege. Natürlich werden auch Gags auf Kosten der Zuschauer gemacht, aber es wird keiner vorgeführt. Das macht es zu einem gemeinsamen Abend.
Kay Ray: Ich propagiere schon seit Jahren: Wenn Leute ein Problem damit haben, einbezogen zu werden, dann müssen sie nicht ins Theater gehen, sondern ins Kino. Die Leinwand spricht nicht mit ihnen. Theater aber ist immer Einlassen.
Aber ich habe als Entertainer die Verantwortung zu erkennen, ob jemand ein Problem mit meinen Witzen hat. Wir wollen niemanden verletzen. Wenn man jemanden richtig damit trifft, verwandelt es sich in Publikumsbeschimpfung – das darf man nicht tun.
Also darf man doch nicht alles.
Kay Ray: Nein. Klar passiert das mal, keiner ist perfekt. Ich reflektiere immer nach meinen Auftritten. Wenn ich denke: "Oh Mann, der hat so komisch geguckt. Den hast du echt getroffen. Du hast ihn falsch eingeschätzt", dann ist das nicht schön.
Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.