In der eben zu Ende gegangenen Serie "Game of Thrones" war Inzest unter den Hauptfiguren ein großes Thema: So waren Jon Snow und Daenerys zwischenzeitlich ein Paar - und gleichzeitig Neffe und Tante. Und mit Cersei und Jaime Lennister waren auch zwei Geschwister intim miteinander. Aber wie sieht es eigentlich in der "realen Welt" aus?
Die Fantasiewelt, in der "Game of Thrones" spielt, erinnert in vielerlei Hinsicht an das europäische Mittelalter. Die Art zu bauen, zu leben, zu herrschen und Kriege zu führen - wenn man die Serie zeitlich in unserer Welt verorten wollte, würde man sie wahrscheinlich ins 11. bis 13. Jahrhundert stecken.
Inzest, also der Geschlechtsverkehr zwischen eng verwandten Personen, war damals moralisch tabu. Wobei "moralisch" die Moral der Kirche meint, die zu dieser Zeit für solche Fragen zuständig war.
Trotzdem kamen Eheschließungen vor allem unter Adligen - und hier vor allem zwischen Cousins und Cousinen - des Öfteren vor. Etwas seltener wohl zwischen Tanten und Neffen. Und noch seltener unter Geschwistern.
Und wie ist es heute? Es gibt Länder wie Frankreich, Spanien, Russland und China, in denen Geschlechtsverkehr zwischen engen Verwandten nicht strafbar ist. In Frankreich etwa wurde der Inzest-Paragraf nach der Französischen Revolution abgeschafft.
Deutschland: §173 verbietet Inzest
Hierzulande ist Inzest strafbar, ausschlaggebend ist der § 173 des Strafgesetzbuchs (StGB). Er besagt, dass der Beischlaf zwischen Eltern und Kindern sowie Großeltern und Enkeln unter Strafe steht, ebenso der zwischen Geschwistern. Alle anderen Verwandtschaftsgrade sind davon ausgenommen.
Sex zwischen Tante und Neffe wäre also nicht strafbar, es geht allein um direkt aufsteigende (Eltern), absteigende (Kinder) oder Seitenlinien (Geschwister). Auch bei Adoptionen gilt der Paragraf nicht.
Der Paragraf 173 kümmert sich nicht um Fälle von sexuellem Missbrauch, dafür ist Paragraf 174 zuständig. Kritiker des Paragrafen 173 halten ihn unter anderem deswegen für überflüssig oder zumindest veraltet - vor allem, wenn es um erwachsene Geschwister geht.
So sprach sich etwa der Deutsche Ethikrat vor einigen Jahren mehrheitlich für eine Revision des Paragrafen aus. In einer Stellungnahme forderte er, dass der einvernehmliche Sex von über 18 Jahre alten Geschwistern nicht mehr strafbar sein solle. Ist einer der Partner unter 18, solle es davon abhängen, ob die beiden in einem Familienverbund zusammenleben oder getrennt aufgewachsen sind.
"Paragraf 173 ist nicht stimmig"
Andere Experten fordern sogar die Abschaffung des Paragrafen, wie etwa der Inhaber der Professur für Strafrecht und Rechtsphilosophie/Rechtstheorie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Joachim Renzikowski.
Renzikowski war vor rund zehn Jahren an der Verfassungsbeschwerde eines jungen Mannes beteiligt, der mit seiner Schwester zusammen war, dafür nach Paragraf 173 verurteilt wurde und den Paragrafen als verfassungswidrig ansah. Die Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) jedoch verworfen.
Das Urteil wurde damals von einigen Juristen und Organisationen kritisiert. Unter anderem, weil das BVerfG sein Votum für den Paragrafen 173 auch damit begründete, dass Kinder aus inzestuösen Beziehungen ein höheres Risiko hätten, mit erblich bedingten Krankheiten zur Welt zu kommen.
Organisationen wie die Bundesvereinigung Lebenshilfe und die Gesellschaft für Humangenetik (GfH) wiesen darauf hin, dass eine solche Argumentation dazu führen könnte, dass noch viel mehr Paaren gesetzlich untersagt werden könnte, Kinder zu bekommen.
Renzikowski teilt diese Meinung, hat darüber hinaus aber noch weitere Probleme mit dem Paragrafen. "Es ist nicht stimmig, dass zwar vaginaler Geschlechtsverkehr, nicht aber oraler und analer Geschlechtsverkehr strafbar ist", sagte er im Gespräch mit unserer Redaktion. "Um Empfängnisverhütung geht es offenbar auch nicht, denn auch verhüteter vaginaler Geschlechtsverkehr steht unter Strafe."
Wie viel Moral verträgt das Strafrecht?
Neben Einzelheiten des Paragrafen 173 geht es Renzikowski aber auch um Grundsätzliches. Dass Inzest nämlich aus den falschen Gründen im Strafgesetzbuch gelandet sei.
Zwar gibt es so etwas wie eine natürliche Inzestscheu, die Menschen davor zurückschrecken lässt, mit bestimmten Personen aus ihrem nahen Umfeld eine Beziehung einzugehen. Diese Scheu scheint sich aber - zumindest laut Untersuchungen namhafter Wissenschaftler wie etwa des Psychologen Norbert Bischof - nicht nur auf Blutsverwandte zu beziehen, sondern auf die meisten Menschen, mit denen man aufwächst.
Wenn Geschwister einander also erst spät in ihrem Leben zum ersten Mal begegnen, haben sie diese Inzestscheu offenbar nicht oder nicht so stark. Im Gegenteil: Die Forschung spricht sogar davon, dass Verwandte einander dann sogar besonders attraktiv finden.
Für Joachim Renzikowski bedeutet das, dass die Ablehnung von Beziehungen zwischen Geschwistern vor allem einer Moralvorstellung entspringt. "Und der Schutz von Moral ist kein akzeptabler Grund in einem liberalen Rechtsstaat", sagt er. Oder anders gesagt: Nur weil es manchen nicht gefällt, muss es nicht gleich strafbar sein.
Verwendete Quellen:
- Telefoninterview mit Joachim Renzikowski, Inhaber des Lehrstuhl für Strafrecht und Rechtsphilosophie/Rechtstheorie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
- www.gesetze-im-internet.de: Strafgesetzbuch (StGB) - § 173 Beischlaf zwischen Verwandten, § 174 Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen
- Website des Bundesverfassungsgerichts: Beschluss des Zweiten Senats vom 26. Februar 2008 (2 BvR 392/07)
- Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik vom 29. April 2008: Eugenische Argumentation im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Inzestverbot
- Stellungnahme des Deutschen Ethikrats vom 24. September 2014 zum Inzestverbot
- Pressemitteilung der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung vom 20. März 2008: Lebenshilfe kritisiert Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts zur Eugenik
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