- Ärmere Länder in der Welt werden möglicherweise erst 2024 ausreichend Impfstoff gegen das Coronavirus bekommen.
- Die reichen Staaten haben sich bereits große Mengen gesichert – obwohl ihr Anteil an der Weltbevölkerung klein ist.
- Die Impf-Initiative Covax, die für faire Verteilung sorgen soll, ist unterfinanziert, kritisiert Gisela Schneider vom Deutschen Institut für Ärztliche Mission.
Fast zwei Milliarden Impfstoffdosen hat die EU bislang bestellt. Und allein Deutschland rechnet nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums derzeit mit insgesamt 300 Millionen Dosen, sofern alle Kandidaten zugelassen werden: Wer sich den Impfstoff gegen das Coronavirus leisten kann, hat längst viel davon geordert. Doch was ist mit Staaten, denen die finanziellen Mittel fehlen? Ein Blick nach Afrika.
Damit er fair verteilt werden kann, haben sich 190 Länder, darunter die EU-Staaten, zur Covid-19 Vaccine Global Access Initiative, kurz Covax, zusammengeschlossen. Koordiniert werden deren Aktionen von Gavi, der Impfinitiative der Weltgesundheitsorganisation WHO.
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Die reicheren Länder wollen die ärmeren darüber unterstützen, damit auch diese Staaten bis Ende 2021 zumindest rund 20 Prozent ihrer Bevölkerung impfen können. Experten gehen allerdings davon aus, dass 60 bis 70 Prozent der Menschen geimpft sein müssen, um Herdenimmunität zu erreichen.
Zudem ist das Ausfallrisiko bei Covax internen Dokumenten zufolge hoch, wie die Nachrichtenagentur Reuters meldete. Demnach könne es sein, dass Milliarden Menschen in ärmeren Staaten bis 2024 keinen Zugang zu Impfstoffen bekommen. Gründe dafür seien unter anderem fehlendes Geld, vertragliche Vereinbarungen und eine komplizierte Verteilungslogistik.
Afrika-Expertin: "Absolut unterfinanziert"
Hilfsorganisationen wie etwa Caritas international schlagen Alarm: Die westlichen Länder hätten sich bereits den Großteil der Impfproduktion weltweit reserviert, sagte etwa deren Leiter Oliver Müller Anfang der Woche im SWR – obwohl dort nur 14 Prozent der Weltbevölkerung lebten.
Die Covax-Initiative bezeichnet er zwar als sehr gute Idee. Doch die darüber verfügbare Menge sei viel zu gering, um damit Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika in höherem Umgang impfen zu können. "Hier muss bedeutend nachgesteuert werden und das bedeutet auch, dass die Industrieländer mehr Mittel zur Verfügung stellen müssen."
Diese Verantwortung mahnt auch Gisela Schneider im Gespräch mit unserer Redaktion an. Die Direktorin des Difäm, Deutsches Institut für Ärztliche Mission, betont: "Covax ist absolut unterfinanziert. Unsere Regierung sollte daran denken, dass sie auch über Deutschland und über die EU hinaus Verantwortung trägt: Die Pandemie muss global bekämpft werden. Wir müssen dafür sorgen, dass alle Zugang zum Impfstoff bekommen, erst dann wird sie kontrollierbar."
Teure und komplizierte Kühlung
Wenn der Impfstoff erst einmal da wäre, sieht Gisela Schneider gar nicht so große Probleme: "Dann kriegen die afrikanischen Staaten das hin", glaubt die Medizinerin, die 20 Jahre dort gelebt und gearbeitet hat, unter anderem im Gambia und Uganda. Es gebe sehr gute Impfprogramme und die dafür notwendigen Strukturen könnten auch kurzfristig mobilisiert werden. "In vielen Ländern Afrikas funktioniert es, mobile Impfteams selbst in die entlegenen Regionen zu senden", betont die Ärztin.
Sie setzt allerdings darauf, dass Impfstoffe zugelassen werden, die weniger gekühlt werden müssen als das Vakzin von Biontech und Pfizer bei minus 70 Grad Celsius. Auch das hält sie zwar in Afrika nicht für unmöglich. Im Kongo habe sie schon erlebt, wie ein Ebola-Impfstoff, der ähnlich kalt gehalten werden musste, erfolgreich verteilt worden ist.
"Aber die extreme Kühlung verkompliziert und verteuert das Ganze natürlich enorm." Ein Gedanke, der auch das Team des afrikanischen Nachrichtenmagazins "The Continent" beschäftigt. Darin heißt es sogar, dass derzeit kein Land des Kontinents dazu in der Lage wäre.
Hochkomplexe Lage
Trotz ihres Optimismus gibt Schneider zu bedenken, wie komplex die Lage in Afrika ist. Es gebe Länder wie beispielsweise Tansania, Kenia oder Uganda, wo Impfprogramme sehr gut liefen. Tagesschau-Korrespondenten berichten von einer landesweiten Kampagne gegen Polio in Mali: Mobile Impfteams sind auch dort unterwegs bis ins kleinste Dorf – teils zu Fuß, teils mit Eseln oder Motorrädern. In Ruanda verfügt das Biomedizinische Zentrum den Korrespondenten zufolge über mehrere leistungsstarke Kühlräume. Von dort aus könnten Impfstoffe mit Drohnen bis in die abgelegensten Winkel des Landes geschickt werden.
In Ländern, in denen Krieg und Konflikte herrschen, wie Südsudan oder in der Demokratischen Republik Kongo sind Impfkampagnen hingegen viel komplizierter umzusetzen. "Doch selbst dort funktioniert es mithilfe von Hilfsorganisationen", sagt Schneider. Selbst in sehr schwierigen politischen Kontexten sei die Bevölkerung mit Unterstützung der Vereinten Nationen und der Weltgesundheitsorganisation gegen Ebola geimpft worden.
Hohe Impfbereitschaft
Etwa zwei Drittel der Deutschen wollen sich einer aktuellen Umfrage zufolge gegen das Coronavirus impfen lassen. In den afrikanischen Staaten ist die Bereitschaft nach Angaben von Gisela Schneider indes höher: "Die Menschen haben existenziell erlebt, wie ihre Angehörigen an Masern oder Ebola sterben – und Impfen als eine sehr effektive Maßnahme, schwere Krankheiten einzudämmen, kennengelernt."
Einer aktuellen Umfrage zufolge gibt mit fast 80 Prozent eine große Mehrheit der Befragten in Afrika an, sich impfen lassen zu wollen, wenn der Wirkstoff als sicher und wirksam eingestuft ist.
Vor allem indirekte Folgen verursachen Leid
Sie kenne sehr viele Weltkarten, mit denen die Verbreitung von Krankheiten veranschaulicht werden. "Afrika ist darauf meist am stärksten betroffen", sagt die Difäm-Direktorin. Beim Coronavirus indes seien die Zahlen auf dem Kontinent bislang bei Weitem nicht so hoch wie befürchtet.
Dafür nennt sie mehrere Gründe: zum einen liege es daran, dass die Bevölkerung dort sehr jung ist, die Hälfte der Afrikanerinnen und Afrikaner ist jünger als 25. Zum anderen daran, dass der Kontinent anders mit Krisen umzugehen wisse als beispielsweise Europa.
"Als die Menschen in Afrika die Bilder aus Bergamo gesehen haben, läuteten die Alarmglocken. Sie waren sofort an die viel tödlichere Ebola-Epidemie erinnert." Es habe einen weit strikteren Lockdown gegeben als in Deutschland.
"Zudem gibt es eine hohe Resilienz in Krisen und lokale Gemeinden handeln oft gemeinsam, zum Beispiel in der Prävention. Besonders dass die Gemeinden im Sinne einer Bewegung von unten einbezogen wurden, war gerade in der Ebola-Krise sehr erfolgreich", sagt Schneider. Dort warte man nicht wie hierzulande, bis die Politik einem etwas auferlegt.
Afrika leidet jedoch stark an den indirekten Konsequenzen der Corona-Krise, an wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen: dem Verlust von Arbeitsplätzen, dem Zusammenbruch des Tourismus, Armut, Hunger und Perspektivlosigkeit.
"Weil Lieferketten unterbrochen worden sind, mangelt es auch an Medikamenten und Impfstoffen", bedauert Gisela Schneider. Hinzu kommt die Ungewissheit, ob und wann ausreichend Impfstoff gegen das neue Corona-Virus für den Kontinent zur Verfügung steht.
Verwendete Quellen
- Europäische Kommission: Fragen und Antworten: Die Covid-19-Impfung in der EU
- Bundesministerium für Gesundheit: Fragen und Antworten zur COVID-19-Impfung
- Reuters.com EXCLUSIVE-WHO vaccine scheme risks failure, leaving poor countries no COVID shots until 2024
- SWR: Oliver Müller (Caritas intern.): "Auf Corona folgt Pandemie des Hungers"
- Tagesschau: Corona-Impfung in Afrika Mit Eseln, Drohnen und den UN
- The Continent: What does the new Covid-19 vaccine mean for us?
- Africa CDC: Majority of Africans would take a safe and effective COVID-19 vaccine
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