Welche Rolle spielen asymptomatisch Infizierte bei der Verbreitung von Sars-CoV-2? Diese Frage beleuchtet Prof. Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für medizinische Virologie am Uniklinikum in Frankfurt am Main, in der aktuellen Folge des NDR-Podcasts "Coronavirus-Update".
Wer selbst keine oder noch keine Symptome hat, kann dennoch andere Menschen mit Sars-CoV-2 anstecken. Um diskutieren zu können, welchen Anteil symptomlose Infizierte an der Verbreitung von Sars-CoV-2 haben, müsse man erst Klarheit über die Begriffe schaffen, betont die Virologin Sandra Ciesek. Symptomatisch erkrankt ist jemand, bei dem die Infektion nachgewiesen wurde und der Symptome zeigt. Wer infiziert ist und keine Symptome entwickelt, ist dagegen asymptomatisch erkrankt.
Dabei müsse auch bedacht werden, dass die Krankheitsfälle nur an einem einzelnen Zeitpunkt registriert werden. Von einem echten asymptomatischen Verlauf könne nur im Nachhinein gesprochen werden, wenn ein Infizierter zu keinem Zeitpunkt Symptome entwickelt. Das müsse unterschieden werden von Fällen, wo sich Patienten zum Testzeitpunkt noch in einem Krankheitsstadium ohne Symptome befinden und später Symptome zeigen.
Die Abgrenzung werde auch durch die Tatsache erschwert, dass es subjektive Symptome gibt, die nur der Patient beschreiben kann, wie beispielswese der Verlust des Geschmackssinns. Objektive Symptome sind dagegen nachweisbar, wie zum Beispiel Fieber, das gemessen werden kann.
Das RKI gibt bei Sars-CoV-2 als häufigste Symptome Husten (46 Prozent), Fieber (39 Prozent), Schnupfen (21 Prozent) und darauf folgen Geruchs- und Geschmackssinn-Störungen. Hier zeigt sich laut Ciesek, dass die Datenlage sehr unklar ist. Denn wenn Betroffene offen nach ihren Symptomen gefragt werden, geben 15 Prozent einen Geruchs- und Geschmacksverlust an. Wenn ein Arzt explizit nachfragt, ob dieses Symptom vorliegt, bejahen das dagegen 50 Prozent.
Eine weitere Schwierigkeit bei der Unterscheidung von symptomatischen und asymptomatischen Erkrankungen sei, dass Symptome oft unspezifisch seien. So sei es schwer einzuordnen, ob beispielsweise Kopfschmerzen oder Müdigkeit, über die befragte Infizierte berichten, auf die Erkrankung zurückzuführen seien oder nicht.
Wann sollte man sich testen lassen?
Gerade weil die Symptome schwer zuzuordnen sind, herrscht Verunsicherung darüber, wann man mit einem Verdacht auf eine Sars-COV-2-Infektion einen Arzt aufsuchen sollte. "Natürlich kann man nicht bei jeder Befindlichkeitsstörung vom schlimmsten Fall ausgehen", betont Ciesek.
Um die Wahrscheinlichkeit einzuschätzen, sollten Betroffene weitere Faktoren wie das individuelle Infektionsrisiko in ihre Überlegungen einbeziehen. Dieses ist beispielsweise erhöht, wenn man Kontakt zu einer nachweislich erkrankten Person hatte oder eine Großveranstaltung in geschlossenen Räumen besucht hat.
Bei einem schwachen Verdacht könne man sich etwas vorsichtiger verhalten, rät Ciesek: "Ich versuche dann einfach, wenn ich mir nicht sicher bin, ob ich eine Erkältung bekomme, noch mehr auf Hygiene zu achten und den Menschen ein bisschen aus dem Weg zu gehen."
Wie infektiös sind asymptomatisch Erkrankte?
Wie oft stecken Menschen andere mit Sars-CoV-2 an, obwohl sie selbst keine Symptome haben? Hier muss man laut Ciesek den Krankheitsverlauf verstehen: Unmittelbar nach der Ansteckung beginnt die Latenzzeit. Diese dauert bis zu dem Zeitpunkt an, an dem die Infektion per Laboruntersuchung nachweisbar ist. Bei Sars-CoV-2 nimmt man an, dass diese in der Regel 1-3 Tage dauert, wobei es individuelle Abweichungen geben kann. Danach folgt die Inkubationszeit, in der ein Patient noch keine Symptome hat. Diese wird auch präsymptomatische Zeit genannt und dauert bei Sars-CoV-2 ca. 2-3 Tage. Erst danach treten bei einem symptomatischen Verlauf Symptome auf.
Die Trennung zwischen Menschen mit einem insgesamt symptomatischen Verlauf, die andere zu einem Zeitpunkt angesteckt haben, bevor sie selbst Symptome hatten und Menschen, die selbst nie Symptome zeigten, sei schwierig. Man gehe davon aus, dass beide Gruppen zusammen etwa bei einem Drittel bis der Hälfte der Fälle die Infektionsquelle sind.
Wie stark asymptomatisch Erkrankte ansteckend sind, könnte von der Viruslast abhängen. Die aktuell verfügbaren Studien geben laut Ciesek keine einheitliche Antwort darauf, ob Infizierte ohne Symptome eine geringere Viruslast haben. Andere Faktoren wären bei der Frage nach der Infektiosität ebenfalls wichtig. Wer hustet und niest, gibt beispielsweise mehr Erreger an die Umwelt ab als jemand, der keine Symptome hat.
Ist Schnupfen bei Kindern schon Alarmzeichen?
Das Alter spielt nach dem aktuellen Kenntnisstand ebenfalls eine Rolle, ob eine Sars-CoV-"-Infektion symptomatisch verläuft. So wird angenommen, dass Kinder häufiger als Erwachsene einen asymptomatischen Verlauf haben. Doch gerade bei jüngeren Kindern sei schwer festzustellen, ob und welche genauen Symptome sie hätten, weil sie sich nicht so gut mitteilen könnten.
Gerade im Herbst könnte es daher für Eltern und Kinderärzte eine besondere Herausforderung darstellen, wie mit unspezifischen Symptomen umzugehen ist. "Da muss man einfach auch immer wieder sagen, dass Infekte der oberen Atemwege bei kleinen Kindern einfach häufig sind und auch nicht unnormal sind", gibt Ciesek zu bedenken.
Eine Studie aus dem Jahr 2003 gibt der Virologin Hoffnung für die kalte Jahreszeit: In Hongkong hatten in dem Jahr viele Menschen Angst, sich mit Sars-CoV-1 zu infizieren und haben vermehrt auf Händehygiene und Hustenetikette geachtet, viele haben Masken getragen und Abstand zu anderen Menschen gehalten. Die Studienautoren haben untersucht, welchen Einfluss das veränderte Verhalten auf die Übertragung anderer Infektionskrankheiten hatte und haben festgestellt, dass auch die anderen Atemwegserkrankungen signifikant sanken. Das vorsichtigere Verhalten der Bevölkerung könnte auch im Fall von Sars-CoV-2 die Ärzte im Herbst Winter entlasten, vermutet Ciesek. Wichtig sei in dem Zusammenhang, dass sich Risikogruppen und Pflegepersonal gegen Influenza impfen ließen, um eine schwere Welle zu vermeiden.
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