• Angesichts steigender Corona-Infektionszahlen soll die Impfkampagne in Deutschland wieder Schwung bekommen – auch bei bisher nicht geschützten Kindern.
  • Noch hat die Ständige Impfkommission (Stiko) dafür aber keine Empfehlung abgegeben – Bund und Länder sind trotzdem vorgeprescht.
  • Das Vorgehen bleibt umstritten.

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Die Debatte brodelt seit Tagen: Sollen Ärztinnen und Ärzte Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren gegen das Coronavirus impfen? Die Antwort ist nicht einfach.

Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt derzeit Impfungen in dieser Altersklasse nur bei höherem Risiko für schwere Corona-Verläufe etwa wegen Erkrankungen wie Diabetes. Die Datenlage reiche aktuell nicht, um mögliche Folgeschäden auszuschließen.

Allerdings sind Impfungen laut Stiko sehr wohl mit ärztlicher Aufklärung und als individuelle Entscheidung von Kindern und Eltern möglich, die Impfstoffe von Biontech und Moderna sind ab zwölf Jahren zugelassen.

Viele Mediziner warten allerdings noch einen neuen Beschluss der Stiko ab, die dieser Tage Studien und Daten aus dem In- und Ausland bewertet und eine Abwägung vornimmt. Wenn die Kommission etwas empfiehlt, dann ist das nicht nur ein gut gemeinter Ratschlag, sondern gilt vielmehr als maßgebliche Richtschnur.

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Entscheidung der Stiko könnte noch dauern

Aktuell ist aber offen, ob die Stiko überhaupt zu einer Impfung Minderjähriger rät. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Bund und Länder würden lieber heute als morgen ein Ergebnis sehen. Stiko-Chef Thomas Mertens zufolge könne die Entscheidung aber noch bis Mitte August dauern.

"Wir werden die Argumente der bisherigen Impfempfehlung überprüfen und die Zulassung von Moderna ab zwölf Jahren berücksichtigen. Ich kann jetzt nicht versprechen, dass es eine grundsätzliche Änderung bei der Empfehlung geben wird", sagte Mertens am Montag in einem "Spiegel"-Interview. Sein Stiko-Kollege Christian Bogdan sprach am Dienstag von derzeit nicht erfüllten Voraussetzungen dafür.

Die Impfkampagne in Deutschland hat merklich an Fahrt verloren. Der Virologe kritisiert, dass nun "eine Stellvertreterdiskussion über die Impfung der Kinder geführt" werde, um die Impfquote zu erhöhen.

Kritik kommt auch vom Vorsitzenden des Hausärzteverbands. Ulrich Weigeldt warnte vor Verunsicherung. "Warum eine Empfehlung der Stiko zunächst nicht abgewartet werden kann, die sich auf Basis von fundierten Studien zeitnah äußern will, ist mir schleierhaft", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Lauterbach attestiert Stiko "Außenseiterposition"

Derweil drängt die Politik die Mediziner. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach attestierte der Stiko im Deutschlandfunk eine "Außenseiterposition". Ihm zufolge würden die wesentlichen Studien darauf hinauslaufen, "dass die Durchseuchung mit der Delta-Variante viel gefährlicher wäre als die Impfung, dass die Impfung mittlerweile gut untersucht ist".

Zugleich sind die Gesundheitsminister von Bund und Ländern vorgeprescht. Sie hatten am Montagabend einstimmig beschlossen, in allen Ländern Impfungen für 12- bis 17-Jährige auch in regionalen Impfzentren anzubieten.

Es gehe um ein leichter verfügbares Angebot, weil genügend Impfstoff da sei, sich zu schützen, sagte Bundesgesundheitsminister Spahn am Dienstag im RBB-Inforadio. "Wer will, kann sich impfen lassen – keiner muss." Mehrere Ärztevertreter protestierten gegen die Beschlüsse.

Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank-Ulrich Montgomery, sagte bei RTL/ntv: "Was die Politik jetzt macht, ist Wahlkampfgetöse." So sei eine unabhängige, herausragend arbeitende Kommission in Nöte gebracht worden.

Spahn: Beschluss von Bund und Ländern "im Einklang mit der Stiko"

Spahn verteidigte hingegen die geplanten zusätzlichen Impfgelegenheiten. "Es geht ausdrücklich nicht darum, Druck zu machen, den machen wir auch nicht." Wenn Eltern und Kinder sagten, dass sie noch auf mehr Daten warten wollten, sei das auch okay und kein Problem.

Der CDU-Politiker wandte sich zudem dagegen, einen Gegensatz zu konstruieren – der Beschluss von Bund und Ländern sei "durchaus im Einklang mit der Stiko". Es seien in Deutschland auch schon mehr als 900.000 Kinder zwischen 12 und 17 Jahren mindestens einmal geimpft worden, dies entspreche etwa 20 Prozent in der Altersgruppe.

Spahn sagte, er könne sich nur wünschen, dass möglichst viele Familien sich dies nun überlegten. Angesichts der ansteckenderen Delta-Virusvariante gelte generell: "Entweder man wird infiziert ohne Impfschutz, oder man hat den Impfschutz."

Sachsens Sonderweg

Anders als die bundesweite Stiko hat die Siko, die Sächsische Impfkommission, schon eine Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren ausgesprochen. "Der individuelle Nutzen für ein Kind ist deutlich größer als der Schaden oder die Probleme, die eine Impfung anrichten kann", sagte Siko-Chef Thomas Grünewald der "Leipziger Volkszeitung" am Dienstag.

Grundlage seien neue Daten aus Ländern wie den USA oder Israel, wo seit Langem auch ab zwölf Jahren geimpft wird. "Wir können die Impfung nun guten Gewissens empfehlen", betonte Grünewald. "In Sachsen sind wir vielleicht etwas elastischer als auf Bundesebene", sagte er mit Blick auf die Stiko. Sachsen verfügt als einziges Bundesland über eine eigene Impfkommission.

Familien-Impftage in Thüringen

Das ostdeutsche Bundesland steht bei der Impfung Minderjähriger aber alles andere als alleine da. Denn mehrere Bundesländer bereiten nach eigenen Angaben Impfangebote für Kinder vor, teils laufen sie auch schon.

In Nordrhein-Westfalen gebe es Angebote für Kinder ab zwölf Jahren bereits seit rund zwei Wochen in Praxen und Impfzentren, sagte etwa der dortige Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am Dienstag im WDR.

Auch Hessen will künftig in allen Impfzentren Impfungen für 12- bis 17-Jährige anbieten. In einigen können sich Kinder und Jugendliche dieser Altersgruppe bereits kostenlos impfen lassen. Kinder-, Jugend- und Hausärzte bieten laut der hessischen Landesregierung ebenfalls bereits Impfungen an.

Und in Thüringen gab es in Impfzentren bereits sogenannte Familien-Impftage. "Das wollen wir wiederholen", sagte eine Ministeriumssprecherin. (dpa/mf)

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