Lange wurden Australiens Ureinwohner von COVID-19 verschont. Die kleinen Orte im Outback, in denen viele von ihnen leben, galten als isoliert und sicher. Nun ist die Situation schwierig.

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Mehrere Dutzend Wohnmobile stehen im Örtchen Wilcannia mitten im Outback, im bevölkerungsarmen Westen des Bundesstaates New South Wales. In ihnen sind Kontaktpersonen derer untergebracht, die sich mit COVID-19 infiziert haben.

Die Regionalregierung hat sie bereitgestellt, um die Situation vor Ort wieder unter Kontrolle zu bekommen. "Wir haben 650 Einwohner und insgesamt 146 Corona-Fälle, davon 37 aktuell Infizierte", sagt Jenny Thwaites, Geschäftsführerin des Wilcannia Local Aboriginal Land Council, der Deutschen Presse-Agentur. Etwa 70 Prozent der Bevölkerung sind Indigene.

Wie das Virus Australiens Ureinwohner gefährdet

Die Situation ist schwierig: Wilcannia liegt abgeschnitten in der Wüste. Zum nächstgrößeren Ort Broken Hill sind es knapp 200 Kilometer, nach Sydney fast 1.000 Kilometer. Der Ort hat nur ein kleines Krankenhaus. COVID-Patienten mit schweren Verläufen werden vom Royal Flying Doctor Service nach Broken Hill oder in die südaustralische Stadt Adelaide geflogen.

Monica Kerwin, eine indigene Einwohnerin, die im Notfallmanagement aktiv ist, hat Ende August ein Video auf Facebook veröffentlicht, in dem sie die prekäre Lage für indigene Infizierte im Ort anprangert. Sie hatte schon im vergangenen Jahr davor gewarnt, dass es in entlegenen Outback-Orten wie Wilcannia zu einer Krise kommen könnte.

"Damals hatte ich das Gefühl, dass niemand zuhörte und sich wirklich für unsere Meinung interessierte", sagte sie dem Sender ABC. Wilcannia ist kein Einzelfall. In Enngonia, einer weiteren Outback-Gemeinde an der Grenze zu Queensland, hatten sich zwischen August und September innerhalb von drei Wochen 30 Prozent der Einwohner infiziert.

Die Ausbrüche zeigen ein größeres strukturelles Problem auf, das in vielen Outback-Orten besteht: Wohnraummangel. Die Folge sind überbelegte Unterkünfte. "Die Menschen leben hier zu zehnt in einem Haus, das für vier Personen gedacht ist", sagt Jenny Thwaites. Da kann sich das Virus leicht ausbreiten.

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Wohnungsnot ist ein altes Problem, das wieder neu hervortritt

Die Wohnungsnot ist ein altes Problem, das aber durch die Pandemie wieder neu hervortritt. Gerade in den überfüllten Häusern ist die Ansteckungsquote hoch und eine Isolation der Kranken kaum möglich.

Die 30 vom Staat zur Verfügung gestellten Wohnmobile schaffen zwar zunächst Abhilfe, sind aber keine dauerhafte Lösung. "Wir hoffen, dass die Aufmerksamkeit, die unser Ort gerade bekommt, dazu führt, dass mehr in den Bau von Unterkünften investiert wird", so Thwaites.

Auch aus medizinischer Sicht sind Australiens Ureinwohner stärker gefährdet als die nicht-indigene Bevölkerung. Eine Studie unter der Leitung der Australian National University (ANU) in Canberra hat kürzlich bestätigt, dass Aborigines im Impfprogramm als Gruppe priorisiert werden müssen. "Das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs ist in dieser Bevölkerungsgruppe höher", erklärt Dr. Jason Agostino, Allgemeinarzt und Epidemiologe an der ANU.

"Indigene Australier leiden häufiger unter Diabetes und chronischen Herz- oder Nierenleiden. Und wir wissen, dass Menschen mit Vorerkrankungen bei einer Corona-Infektion besonders gefährdet sind." Hinzu komme, dass Indigene die Erkrankungen im Schnitt 20 Jahre früher entwickelten als Nicht-Indigene.

Als medizinischer Berater der von der Aborigine-Gemeinschaft geführten Gesundheitsorganisation NACCHO hat Agostino Australiens Kampf gegen die Pandemie von Anfang an mitverfolgt. Hätte man die Ausbrüche bei den Aborigines seiner Meinung nach verhindern können?

"Am Anfang der Pandemie wurden ganze Orte im Outback zum Schutz der indigenen Bevölkerung geschlossen, so dass niemand von außen hineinkam", erklärt er. Das habe die Ureinwohner lange geschützt. Doch im Juni veränderte sich die Lage wegen der ansteckenden Delta-Variante: Die Zahl der indigenen COVID-Infizierten in Down Under stieg schnell auf 150, mittlerweile sind es über 2.500 Fälle.

Langfristige Lösung kann nur eine schnelle, flächendeckende Impfkampagne bringen

In Wilcannia wie in anderen Orten geht es seither vor allem darum, die Infizierten zu isolieren und weitere Ansteckungen innerhalb der Gemeinde zu verhindern. Aber eine langfristige Lösung kann nur eine schnelle, flächendeckende Impfkampagne bringen.

Obwohl Aborigines von Anfang an als priorisierte Gruppe Zugang zu Impfstoffen hatten, haben Recherchen des australischen "Guardian" Anfang September gezeigt, dass die Impfquote bei nicht-indigenen Australiern bis zu 20 Prozentpunke höher ist als bei Indigenen. Grund: Fehlinformationen und Skepsis trugen zur Impfmüdigkeit bei und gerade in COVID-freien Gegenden wurde die Notwendigkeit für eine Impfung lange nicht erkannt. Die Lücke will die Regierung nun schnellstmöglich schließen.

"Wir sind fest entschlossen und wollen, dass die Impfquoten das nationale Ziel erreichen oder dieses sogar übertreffen", schrieb der australische Gesundheitsminister Greg Hunt in einer Mitteilung. Gemeinsam mit dem Minister für indigene Australier, Ken Wyatt, NACCHO und anderen von Aborigines geführten Gesundheitsdiensten will die Behörde die Impfungen auch in den entlegensten Orten im Outback massiv vorantreiben.

Mit einer von indigenen Mediendiensten geleiteten Kampagne sollen der Diskurs über das Impfprogramm erweitert und ein positives Gefühl in Bezug auf die Vakzine vermittelt werden. Auch in Wilcannia wird nach dem Ausbruch jetzt bereits mehr geimpft.

Zur Unterstützung wurden Gesundheitspersonal und Polizisten ins Outback entsandt. Jenny Thwaites ist dankbar für die Hilfe: "Zum ersten Mal seit langem habe ich das Gefühl, dass wir nicht komplett vernachlässigt werden." Die Wohnungsnot wird allerdings vorerst weiterbestehen.

Thwaites hofft, dass die Pandemie letztlich echte Veränderung bringt - und die Aufmerksamkeit, die der Ort gerade bekommt, auch zu mehr Investitionen in den Bau von Unterkünften führt. "COVID hat Probleme beleuchtet, die lange Zeit ignoriert oder unter den Teppich gekehrt wurden", sagt sie. (dpa/msc)

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