Muss die Geschichte des Coronavirus umgeschrieben werden? Ein Fall aus Frankreich deutet darauf hin, dass SARS-CoV-2 schon Ende vergangenen Jahres in Europa grassiert haben könnte. Die WHO rief nun dazu auf, rückwirkend alte Proben noch einmal auf das Virus zu untersuchen.

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Der Fall von Amirouche Hammar schreibt womöglich Geschichte. In Frankreich könnte es nämlich bereits Ende Dezember einen Coronavirus-Fall gegeben haben. Die Infektion wurde im Nachhinein entdeckt – bei dem 43-jährigen Hammar aus der Nähe von Paris.

Er habe trockenen Husten, Fieber, Müdigkeit und schwere Atembeschwerden gehabt, sagte Hammar dem Sender BFMTV am Dienstag. Im Krankenhaus von Bobigny wurde bei ihm eine Lungeninfektion diagnostiziert. Man habe ihm aber im Dezember 2019 nicht sicher sagen können, was er hat – nur, dass es sehr ernst wäre, erinnert sich Hammar. Nach wenigen Tagen konnte er das Krankenhaus wieder verlassen.

Bisher gingen Experten davon aus, dass die Coronavirus-Pandemie Europa erst Ende Januar erreicht hatte. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rief nun dazu auf, rückwirkend alte Proben auf SARS-CoV-2 zu untersuchen.

Erste Corona-Fälle in Europa

Europaweit wurden die ersten Corona-Fälle offiziell am 24. Januar in Bordeaux und Paris registriert. Es handelte sich dabei um Menschen, die einen Bezug zu China hatten.

Ähnlich in Deutschland: Die ersten hierzulande erkrankten Menschen waren Mitarbeiter des Autozulieferers Webasto, die sich bei einer aus China zu einer Schulung angereisten Kollegin angesteckt hatten. Das zuständige Bayerische Gesundheitsministerium hatte am 28. Januar die erste Infektion in der Bundesrepublik bestätigt.

Die Ärztinnen und Ärzte einer Klinikgruppe bei Paris hatten nun bereits entnommene Proben von Menschen mit schweren Atemwegsinfektionen noch einmal auf SARS-CoV-2 getestet.

Es handelte sich um Patientinnen und Patienten, bei denen zwischen Anfang Dezember bis Mitte Januar keine sichere Diagnose gestellt werden konnte – weil noch gar kein Test für das neuartige Virus existierte.

Von mehreren getesteten Proben war eine positiv auf COVID-19. Sie war von einem Patienten, der am 27. Dezember in die Klinik eingeliefert wurde: Amirouche Hammar. Er infizierte auch seine Kinder.

Breitete sich das Virus bereits im Dezember 2019 in Frankreich aus?

Erst vor Kurzem erfuhr Hammar, dass er mit dem Coronavirus infiziert war. Er wurde von Professor Yves Cohen, Leiter der Intensivstation der Klinikgruppe Avicenne-Jean Verdier, kontaktiert.

Hammars Frau arbeitet in einem Supermarkt in der Nähe des Pariser Flughafens Charles de Gaulle und könnte das Virus mit nach Hause gebracht haben – möglicherweise war sie ein asymptomatischer Fall. Dort habe es Kunden gegeben, die direkt vom Flughafen kommen.

Der 43-Jährige selbst hatte keine Verbindungen zu China und war nicht ins Ausland gereist, bevor er im Dezember krank wurde. Die Ursache für seine Infektion ist offen.

Dies deute laut Forschern darauf hin, "dass sich die Krankheit bereits Ende Dezember 2019 unter der französischen Bevölkerung ausbreitete", wie sie in einer am Sonntag im "International Journal of Antimicrobial Agents" ("Internationale Zeitschrift für antimikrobielle Mittel") veröffentlichten Studie schreiben.

"Der Fall in Frankreich scheint bisher ein Einzelfall zu sein"

"Der Fall in Frankreich scheint bisher ein Einzelfall zu sein", sagt hingegen Christoph Spinner, Infektiologe am Münchner Klinikum rechts der Isar, im Gespräch mit unserer Redaktion. Er betont: "Es muss sorgfältig ausgeschlossen werden, dass die Probe nicht im Labor verunreinigt wurde oder ein Messfehler vorliegt."

Ihm zufolge sei allerdings auch nicht völlig ausgeschlossen, dass der Mann wirklich mit SARS-CoV-2 infiziert war.

"Es gab sehr wahrscheinlich schon Anfang Dezember eine damals noch unbekannte Häufung von Atemwegsinfektionen in China. Vor diesem Hintergrund könnte durchaus eine Übertragung in Europa vor dem Ausbruch bei Webasto stattgefunden haben", erklärt Spinner. Man müsse nun abwarten, ob man die Situation in Frankreich rückwirkend nachvollziehen kann.

WHO fordert nachträgliche Überprüfungen

Ein WHO-Sprecher bezeichnete die dortige frühe positive Coronavirusprobe als "sehr interessant, aber nicht überraschend". "Es ist gut möglich, dass weitere frühere Fälle in anderen Ländern entdeckt werden, wenn Gewebeproben jetzt im Nachhinein auf das Virus getestet werden", sagte WHO-Sprecher Christian Lindmeier.

Die WHO rief nun dazu auf, ähnliche Krankheitsfälle von Ende 2019 nachträglich auf eine Corona-Infektion hin zu überprüfen. Laut dem Infektiologen Spinner gebe es mehrere Möglichkeiten, rückwirkend Fälle zu analysieren:

  • "Am geeignetsten sind prospektive Kohortenstudien mit Sammlung von Biomaterialien. Hierbei besteht dann die Möglichkeit, an diesen gesammelten Biomaterialien wie beispielsweise Rachenabstrichen oder Lungenspülwasser rückwirkend zusätzliche Untersuchungen durchzuführen", erläutert er.
  • Außerdem lagern manche Labore Materialien aus der diagnostischen Routineuntersuchung noch eine gewisse Zeit ein, um Qualitätsprüfungen, Validierungen oder Überprüfungen durchführen zu können. "Auch diese Materialien könne, sofern vorhanden, jetzt rückwirkend analysiert werden", sagt Spinner.

"Fakt ist aber", betont der Mediziner: "Selbst wenn schon im Dezember eine Übertragung in Europa stattgefunden hat, wären die Konsequenzen bis auf den zeitlichen Ablauf vermutlich nicht anders gewesen als jetzt." Ohne rechtzeitige Entdeckung hätten keine weiteren Maßnahmen erfolgen können. (dpa/mf)

Braunschweiger Forscher entdecken Corona-Blocker

Braunschweiger Forschern ist es gelungen Antikörper nachzuweisen, die verhindern, dass das Coronavirus an Zellen andocken kann. "Das ist eindeutig ein Durchbruch, der zeigt: Wir sind auf dem richtigen Weg für die Entwicklung eines Medikaments gegen COVID-19", sagte der Virologe Luka Cicin-Sain vom Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) der "Braunschweiger Zeitung".
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