Thailand hat das Coronavirus erfolgreich gebremst – allerdings mit harten Einschnitten für die Menschen im Land. Betroffene berichten.
Julian Kappes wartet. Und niemand weiß, wie lange er noch warten muss. Eigentlich ist er einer der "Thailand-Spezialisten", die Touren für Reisende organisieren.
Kappes sitzt im Homeoffice in Bangkok und hofft darauf, dass spätestens im Sommer 2021 Touristen wieder ohne Beschränkungen in seine Wahlheimat gelassen werden.
Das hofft er nicht nur für sich, seine Familie und sein Unternehmen, sondern für einen ganzen – enorm wichtigen – Wirtschaftssektor in dem südostasiatischen Land.
2019 gaben knapp 40 Millionen ausländische Touristen in Thailand 67 Milliarden US-Dollar aus, die Branche trägt mehr als 20 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Nun gehen Experten in diesem Jahr von 70 Prozent weniger Urlaubern aus.
Denn seit dem 25. März ist Ausländern wegen der Corona-Pandemie die Einreise mit wenigen Ausnahmen untersagt. Fluggesellschaften dürfen Passagiere nur mit einer Sondergenehmigung der Regierung ins Land bringen, wie das Auswärtige Amt schreibt.
Bevölkerung steht hinter Kurs der Regierung
Eine Politik, die aus wirtschaftlicher Perspektive extrem weh tut. "Viele finden aber, dass die Regierung einen guten Job macht", sagt Kappes, der seit 2011 in Thailand lebt, im Gespräch mit unserer Redaktion.
Auch die offiziellen Zahlen sprechen für die strengen Regelungen: Die Johns Hopkins University verzeichnet seit Beginn der Pandemie "nur" 3.279 Infizierte und 58 Tote (Stand: 24. Juli) – sehr niedrige Werte für ein Land mit knapp 70 Millionen Einwohnern.
Die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen ist seit Wochen sehr gering – wenn, dann sind den Angaben nach oft Menschen betroffen, die aus dem Ausland eingereist sind. So wie vor rund zwei Wochen das Kind einer ägyptischen Diplomatenfamilie.
Wieso aber ist das bevölkerungsreiche Land so erfolgreich im Kampf gegen Corona? Dafür hat Nipat Kulabkaw vom Bumrungrad International Hospital in Bangkok gleich mehrere Erklärungen.
Die Gesundheitsbehörden haben für ein Freiwilligen-Programm "ganz normale Leute" akquiriert, die über das Ministerium in Aufklärung und Prävention geschult werden und in jeder Kleinstadt und in jedem Dorf im Einsatz sind.
"Die Freiwilligen gehen zu jedem einzelnen Haus. Sie fragen, ob die Bewohner Freunde oder Familienmitglieder haben, die aus Risikogebieten oder aus dem Ausland kommen, und klären sie über Test- und Quarantänepflicht auf. Das ist eine sehr gute Strategie des öffentlichen Gesundheitssystems", erklärt der Mediziner unserer Redaktion.
Zudem lande jeder nachgewiesene COVID-19-Fall im Krankenhaus. Eine Praxis, die die Verbreitung des Virus einschränke und mit deren Hilfe Infektionsketten leichter zu verfolgen seien.
Einhaltung der Regeln zahlt sich aus
Ein weiterer Erfolgsfaktor ist aus seiner Sicht, dass sich die Menschen in Thailand strikt an die Corona-Regeln halten. "Sie haben Angst vor COVID-19. Wir haben Respekt – aber wir wissen auch, wie wir mit der Gefahr umgehen müssen."
Es komme zunächst darauf an, einen Weg zu finden, mit dem Virus zu leben. "Denn wir können die Stadt nicht noch einmal komplett herunterfahren."
Nachtclubs und Karaokebars seien inzwischen wieder geöffnet: mit Abstandsregeln und Temperaturchecks. "Eigentlich führen wir wieder ein fast normales Leben – nur eben mit einigen Einschränkungen. Das ist wohl der neue normale Lebensstil."
Trotz der niedrigen Fallzahlen bereite man sich auf eine mögliche zweite Welle vor, betont der Gesundheitsexperte. Auch in seinem Land habe es zu Beginn der Pandemie erschöpfte Ärzte und Pflegepersonal gegeben, hätten Krankenhäuser Verstärkung in Risikogebiete geschickt, um Kollegen zu unterstützen. Anfangs wurden genau wie in europäischen Ländern nicht lebenswichtige Operationen ausgesetzt, doch mittlerweile läuft der OP-Betrieb wieder normal.
Tourismus essenziell für das Land - sechs Millionen Jobs gefährdet
Der Erfolg über die Pandemie hat jedoch einen hohen Preis: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpfte im ersten Quartal 2020 um 2,2 Prozent, meldet Germany Trade & Invest. Die BIP-Prognosen für Thailand für das Gesamtjahr liegen der deutschen Gesellschaft für Außenwirtschaftsförderung zufolge bei minus sieben bis minus fünf Prozent.
Eine langanhaltende Wirtschaftsflaute könnte zu einer Insolvenzwelle führen, fürchten die Experten. Allein durch den Wegfall der Urlauber sind nach Schätzungen sechs Millionen Jobs gefährdet.
Auch für Nipat Kulabkaws Klinik hat der touristische Lockdown wirtschaftliche Folgen, längst nicht alle Betten sind belegt: Denn sonst kommen 50 Prozent der Patienten in dem Bangkoker Krankenhaus aus dem Ausland.
Reisespezialist Kappes: "Thailand ist gut vorbereitet"
Ein Großteil von ihnen – nach Angaben Kulabkaws rund 90 Prozent – bleibt durch Corona nun aus. Stattdessen würden im Vergleich zum Vorjahr mehr Einheimische und Expats behandelt. Zudem dürfen aus einigen Ländern, darunter Myanmar, China und Bangladesch, Patienten zu dringenden Behandlungen eingeflogen werden – sofern sie negativ getestet worden sind und 14 Tage in Quarantäne gehen.
Reisespezialist Julian Kappes gibt sich zuversichtlich: "Thailand ist gut vorbereitet, wenn der Tourismus wieder startet." Sein Unternehmen arbeite gerade daran, eine neue Zertifizierung der Regierung zu erhalten. Sie soll Anbietern aus der Reisebranche bestätigen, in Sachen Virusprävention gut aufgestellt zu sein.
Kappes' Team ist nicht untätig: "Wir bieten jetzt beispielsweise verstärkt Kurse für Guides an, etwa zum Thema nachhaltiger Tourismus oder für das neue Reisen mit Corona."
Tourismus im eigenen Land existiere kaum, sagt Kappes. "Viele Arbeitnehmer haben nur 14 Tage gesetzlichen Urlaub." Um den Inlandstourismus in der Krise anzukurbeln, zahlt die Regierung Bürgern nun einen Teil des Urlaubs im eigenen Land. Insgesamt will sie darüber bis Ende Oktober fünf Millionen Hotelzimmer und zwei Millionen Flugtickets subventionieren.
"Die Menschen hier schnallen den Gürtel enger"
Von Kritik an den strikten Maßnahmen der Regierung berichten die beiden Gesprächspartner nicht. Kurz vor dem Lockdown hatte es vereinzelt von Studierenden angeführte Proteste gegen die Militärregierung in Thailand gegeben. Und am vergangenen Samstag sind in Bangkok wieder 2500 Menschen auf die Straße gegangen, um den Rücktritt der Regierung zu fordern – nach Angaben der "taz" Thailands größter Protest seit Beginn der Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Die Meinungsfreiheit im Land ist eingeschränkt.
Was die wirtschaftliche Situation der Bevölkerung angeht, klingt Julian Kappes noch recht entspannt. "Die Menschen hier schnallen den Gürtel nun enger. Man spart, wo es geht. Aber verhungern tut hier niemand", glaubt er. Allerdings bekämen besonders betroffene Arbeitnehmer gerade noch eine Art Sozialhilfe, die jedoch nach sechs Monaten auslaufe. Viele hätten vor der Krise günstig Kredite bekommen und könnten diese nun nicht mehr bedienen. Wie für Julian Kappes kommt es für sie jetzt darauf an, wann das Warten ein Ende hat.
Lesen Sie auch: Neue Bestimmungen: So viel Handgepäck darf's sein
Julian Kappes ist Geschäftsführer von Nutty’s Adventures Co. Ltd., einem lokalen Reiseveranstalter von "Thailand Spezialisten. Er lebt seit 2011 in dem südostasiatischen Land und erlebt die große Krise seiner Branche im Homeoffice in Bangkok.
Dr. Nipat Kulabkaw ist "Chief Business Development Officer; International" am Bumrungrad International Hospital in Bangkok. Mit den Reisebeschränkungen sind 90 Prozent der ausländischen Patienten weggefallen, für deren Wohl er zuständig ist. Eigentlichen machen sie die Hälfte aller Patienten aus.
Verwendete Quellen:
- Gespräche mit Julian Kappes und Dr. Nipat Kulabkaw
- Johns Hopkins University
- Deutsche Botschaft Bangkok
- Auswärtiges Amt: Thailand – Reise und Sicherheitshinweise
- ARD Weltspiegel: Weltspiegel aus Thailand – Große Sehnsucht nach den fernen Gästen
- Taz: Demokratieprotest in Thailand – Widerstand mit Pizzanummer
- Germany Trade & Invest: Aktuelles zur Coronavirus-Krise. Thailand hat COVID-19 besiegt, aber die Wirtschaft leidet stark
- Deutsche Presse-Agentur
Interessiert Sie, wie unsere Redaktion arbeitet? In unserer Rubrik "Einblick" finden Sie unter anderem Informationen dazu, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte kommen.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.