Antikörper-Tests sollen das bundesweite Ausmaß der Corona-Verbreitung klären. Doch viele Infizierte mit nur leichten Symptomen haben kein ausgeprägtes Antikörper-Profil. Was heißt das für Herdenimmunität und Immunitätspässe?
Jeder zweite Deutsche hat große oder sehr große Sorgen vor einem deutlichen Wieder-Anstieg der Corona-Infektionen in den kommenden Wochen. Das zeigt eine aktuelle Umfrage von Infratest dimap für den ARD-Deutschlandtrend. Bei rund 13 Prozent der Menschen ist die Sorge demnach sehr groß, bei etwa 37 Prozent groß.
Menschen hoffen auf Immunität gegen COVID-19, doch Studien warnen
In der Corona-Pandemie hoffen daher viele Menschen auf eine Immunität - entweder nach überstandener Infektion oder durch eine möglichst bald verfügbare Impfung. Beides könnte das Immunsystem gegen den Erreger wappnen und Menschen vor der Krankheit COVID-19 schützen. Nun deutet eine wachsende Zahl von Studien darauf hin, dass gerade bei Menschen, die nur wenige oder gar keine Symptome hatten, schon bald nach einer Infektion keine Antikörper im Blut mehr nachweisbar sind.
Was das für eine mögliche Immunität bedeutet, ist noch unklar. Dennoch wecken die Beobachtungen nicht nur Zweifel an der Aussagekraft von Antikörper-Tests, sie stellen auch die derzeit diskutierten Immunitätspässe infrage. Und nicht zuletzt ist ein möglichst genaues Verständnis der Immunantwort auf Sars-CoV-2 zentral für die Entwicklung eines Impfstoffs.
Immunantwort auf COVID-19 scheint uneinheitlich auszufallen
Die Immunantwort auf COVID-19 scheint bei Menschen uneinheitlich auszufallen. Grundsätzlich verteidigt das Immunsystem den Körper gegen Krankheitserreger. Es besteht aus einem angeborenen Teil und einem erworbenen, der erst durch den Kontakt mit einem Erreger aktiviert wird. Dies setzt komplexe Abwehrmechanismen in Gang, die vor allem auf der Vielfalt weißer Blutkörperchen beruhen. Zu den wichtigen Bestandteilen der Immunantwort gehören T-Zellen und Antikörper.
T-Zellen sind eine Art Gedächtnis des Immunsystems und sorgen bei erneutem Kontakt mit einem Erreger für eine schnellere Immunantwort. Antikörper reagieren auf bestimmte Merkmale auf der Oberfläche eines Erregers, sogenannte Antigene. Sie binden diese und können Erreger so inaktivieren.
Auf den ersten Blick scheint das Vorhandensein solcher Antikörper ein guter Hinweis auf eine frühere Infektion zu sein. Doch Studien wecken Zweifel daran, dass alle Infizierten Antikörper über längere Zeit entwickeln. So fand eine Untersuchung des Universitätsspitals Zürich bei Menschen mit milden oder asymptomatischen Verläufen zwar IgA-Antikörper, welche Erreger stärker binden, in Tränenflüssigkeit und Nasenschleimhaut, aber keine IgG-Antikörper, welche über längere Zeit aktiv und am längsten nachweisbar sind, im Blut.
Dies wäre wichtig für die Bildung des Immungedächtnisses - damit das Immunsystem bei erneutem Kontakt mit dem Erreger stärker und schneller reagiert, sodass eine Krankheit mitunter gar nicht erst wieder ausbricht. Die Schweizer Studie ist bislang nur als Preprint verfügbar - sie ist also nicht von Experten begutachtet und nicht in einem Fachjournal publiziert.
Wenige Symptome, schnelleres Verschwinden von Antikörpern
Eine weitere als Preprint veröffentlichte Studie des Lübecker Gesundheitsamts fand bei 30 Prozent von 110 Corona-Infizierten mit ebenfalls höchstens mäßigen Covid-19-Symptomen keine Antikörper. Und im Fachblatt "Nature Medicine" berichten Forscher aus China, dass bei Infizierten ohne Symptome die Antikörper-Konzentrationen im Blut bereits nach kurzer Zeit deutlich sanken. Nach drei Monaten waren bei 40 Prozent der asymptomatischen Patienten keinerlei Antikörper mehr nachweisbar.
In der "Cochrane Library" berichten Forscher nach Auswertung von 54 Studien an Menschen mit eher schwerer Covid-19-Erkrankung, dass neben der Ausprägung der Symptomatik auch der Zeitpunkt des Tests entscheidend ist. Optimal sind demnach Analysen 15 bis 35 Tage nach Beginn der Symptome.
Solche Studien lassen die Aussagekraft möglicher Massentests auf Antikörper, die das Ausmaß der Infektion in der Bevölkerung anzeigen sollen, fraglich erscheinen. Zudem könnte eine durch Antikörper gegebene Immunität bei vielen Sars-CoV-2-Infizierten schon nach kurzer Zeit wegfallen.
Skepsis in der Fachwelt beim Thema Immunitätspässe
Entsprechend skeptisch sieht Thomas Jacobs vom Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) die Einführung von Immunitätspässen für Menschen, die eine Infektion mit Sars-CoV-2 hinter sich haben. Solche Ausweise hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in die Diskussion gebracht.
Wissenschaftlich ist ohnehin nicht gesichert, dass die Präsenz von Antikörpern automatisch vor einer erneuten Infektion schützt. "Wir wissen generell noch nicht genau, wie Antikörper schützen", stellt Immunologe Jacobs fest. Studien würden zwar einen solchen Schutz nahelegen, "aber wie hoch beispielsweise der Antikörper-Spiegel dafür sein muss, bleibt unklar".
Ebenso wenig überrascht Jacobs die Feststellung, dass gerade bei asymptomatischen Erkrankungen schnell wenige oder gar keine Antikörper mehr auffindbar sind: "Wenige Viren im Hals- und Rachenbereich genügen wahrscheinlich nicht, um eine große Antikörper-Antwort oder T-Zellen-Immunität auszulösen." Für das Immunsystem habe diese angepasste Reaktion durchaus Sinn, da wir im Alltag ständig Pathogenen ausgesetzt seien: "Wenn wir mit leichten Waffen antworten können, brauchen wir keine schweren Geschütze auffahren." Bei Covid-19-Erkrankungen mit schwereren Symptomen werde indes vermutlich schon ein längerfristiger Schutz aufgebaut.
Ungewiss ist, welcher Teil der Immunabwehr besonders wichtig für diesen Schutz ist. "Neben den Antikörper bildenden B-Zellen kann die T-Zell-Antwort auf den Erreger genauso wichtig sein", erklärt Jacobs. Welcher Mechanismus hier vor allem wirke, sei eine zentrale Frage für die Entwicklung eines Impfstoffs.
Die Diskussion um eine mögliche Immunität nach einer Infektion habe deutlich gemacht, wie wichtig es sei, die Komplexität des menschlichen Abwehrsystems zu beachten, so Jacobs: "Wir schauen jetzt mehr auf die gesamte Breite der Immunantwort." (Alice Lanzke/dpa/mgb)
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