- Wissenschaftler haben einen Verdacht, warum der Astrazeneca-Impfstoff in seltenen Fällen Thrombosen auslösen könnte.
- Es geht dabei um einen vom Impfstoff ausgelösten Mechanismus.
- Bei einigen Menschen löst das Vakzin eine Reaktion der Körperabwehr aus.
Ein bestimmter, durch den Astrazeneca-Impfstoff ausgelöster Mechanismus könnte die möglichen Thrombose-Fälle nach einer Impfung auslösen: Zu diesem Ergebnis kommen mehrere Forscher weltweit - darunter der Leiter der Abteilung Transfusionsmedizin der Universitätsmedizin Greifswald (UMG), Andreas Greinacher.
"Wir wissen, um was es sich handelt", sagte Andreas Greinacher am Freitag in einer Videoschalte mit Journalisten und Journalistinnen. Demnach könnten bei den selten auftretenden Hirnvenenthrombosen bestimmte Moleküle des Immunsystems eine Rolle spielen.
Von unabhängiger Seite geprüft und in einem Fachjournal erschienen sind die Ergebnisse noch nicht. Experten betonen, dass solche Ideen zum möglichen Ablauf bisher rein spekulativ sind.
Greinacher: Komplikation dürfte nur "sehr, sehr selten auftreten"
"Wir meinen, dass wir einen Zusammenhang nachweisen können zwischen dem Vorliegen dieser Antikörper und dem Auftreten der Thrombosen", sagte Greinacher. Eine ganz andere Frage sei, wie häufig diese Thrombosen ausgelöst werden und ob durch die Impfung deutlich vermehrt Komplikationen auftreten. "Es ist höchstwahrscheinlich so, dass diese Komplikationen sehr, sehr selten auftreten."
Demnach könnten in seltenen Einzelfällen über die Immunantwort des Körpers die Blutplättchen aktiviert werden. Normalerweise werden die Thrombozyten dann aktiv, wenn das Blut gerinnen soll, weil eine Wunde verschlossen werden muss.
In den nach einer Astrazeneca-Impfung aufgetretenen Fällen könnte dieser Mechanismus das Blut im Gehirn zur Gerinnung gebracht und damit die schwerwiegenden Hirnvenenthrombosen mit Blutplättchenmangel ausgelöst haben. "Bei allen Patienten mit der Komplikation, die wir bislang untersuchen konnten, haben wir alle das gleiche gefunden", erklärte Greinacher. Vom Immunsystem in Reaktion auf die Impfung gebildete Abwehrstoffe hätten bei den Betroffenen offenbar die Blutplättchen aktiviert, was wiederum zu Blutgerinnseln geführt habe.
Mechanismus identifiziert - mögliche Behandlung ebenfalls
Die Wissenschaftler hatten das Blut mehrerer Menschen untersucht, die nach einer Impfung mit dem Astrazeneca-Impfstoff eine Thrombose entwickelt hatten. Die Proben von vier Betroffenen seien intensiv untersucht worden, drei weitere Proben hätten die Annahmen bestätigt. Weitere Proben würden noch untersucht, sagte Greinacher.
Ob die Reaktion auf den Impfstoff selbst oder den Vektor - also die Verpackung des Wirkstoffes - zurückgehe oder es sich um eine allgemeine Entzündungsreaktion als Immunantwort auf die Impfung handele, müsse noch untersucht werden. Greinacher zufolge ließe sich der Mechanismus bei Betroffenen mit einem Test auf die speziellen Moleküle nachweisen.
Weil man den Mechanismus so klar identifiziert habe, gebe es auch eine gezielte Behandlung: Betroffenen könnte ein Medikament verabreicht werden, das die Thrombosen auflöst.
Vorsorglich kann das Mittel allerdings nicht eingenommen werden: Eine Behandlung sei erst nach der Bildung eines Blutgerinnsels möglich, berichtete der NDR.
Die UMG hatte bei dem Projekt mit dem Paul-Ehrlich-Institut zusammengearbeitet, das in Deutschland für die Zulassung und Überwachung von Impfstoffen zuständig ist. Zudem habe man sich mit Ärzten aus Österreich ausgetauscht. Dort war eine Krankenschwester nach einer Impfung mit dem Astrazeneca-Impfstoff an einer Hirnthrombose verstorben.
Mehrere Forscher haben ähnliche Vermutung
Über eine ähnliche Vermutung, dass eine Reaktion der Körperabwehr die Thrombosen auslösen könnte, hatten am Donnerstag bereits Forscher in Norwegen berichtet: Pal Andre Holme vom Universitätsklinikum Oslo hatte ebenfalls gesagt, er vermute, dass die Bildung der Gerinnsel über eine starke Immunantwort und dabei entstehende Antikörper, die an die Blutplättchen andocken und diese aktivieren, laufen könnte.
Fälle von Hirnvenenthrombosen mit Blutplättchenmangel in zeitlichem Zusammenhang mit einer Impfung hatten zum zeitweisen Stopp der Astrazeneca-Impfungen in mehreren Ländern geführt. Hinweise darauf, dass die Impfungen tatsächlich die Vorfälle verursachten, hat die Europäische Arzneimittelbehörde EMA nicht gefunden.
Sie bekräftigte am Donnerstag die Sicherheit des Impfstoffs. Dieser soll nun mit der Warnung versehen werden, dass er in möglichen seltenen Fällen Hirnvenenthrombosen bei Frauen unter 55 Jahren verursachen könnte. (ank/dpa)
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