Kaum eine Branche ist von den Folgen der Corona-Krise so stark betroffen wie die Gastronomie. Andrea Nadles, Präsidentin des Verbands der Servicefachkräfte, Restaurant- und Hotelmeister (VSR), erklärt im Interview mit unserer Redaktion, weshalb sie Kredite der Bundesregierung ablehnt, wann für die Kneipe um die Ecke Schluss ist und wie Kunden ihr Lieblingsrestaurant unterstützen können.
Die Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung das Coronavirus eindämmen will, treffen besonders die Gastronomie hart. Viele Kneipen, Bars, Clubs und Diskotheken müssen schließen, Hotels und Restaurants dürfen nur noch eingeschränkt öffnen. Wie hat die Branche die Verordnungen aufgenommen?
Andrea Nadles: Aus Sicht der Gesundheitsprävention ist es nachvollziehbar, dass die Verbreitung des Coronavirus unter allen Umständen eingedämmt werden muss. Leider ist unsere Branche davon besonders hart getroffen.
Schon im Februar, als das Coronavirus in Deutschland noch gar nicht richtig angekommen war, hatten wir mit den ersten Stornierungen von Reisegruppen aus China zu kämpfen, kurz darauf folgte Italien.
Deshalb leiden Gastronomie und Hotellerie schon länger als andere Branchen mit Umsatzeinbußen. Die Ausbreitung in Deutschland und die Schließungen in vielen Bundesländern sind nun der Tropfen auf den heißen Stein.
Die Bundesregierung will Rettungspakete schnüren und hat der Wirtschaft Kredite in "unbegrenzter Höhe" zugesagt. Sind Sie zufrieden mit dem Verhalten der Politik?
Das Verständnis für die Maßnahmen ist groß, es gibt schließlich keine andere Lösung als einen Verbreitungsstopp. Aber uns fehlt das Verständnis für das Verhalten der Politik.
Mit Krediten wird sich der Exodus in unserer Branche kaum stoppen lassen. Diese müssen irgendwann zurückbezahlt werden. Gastronomen arbeiten aber mit so niedrigen Gewinnspannen, dass allein schon die Menge an Lebensmitteln, die nun in den Lagern verrotten, existenzbedrohend sind. Die Kreditsummen, die es jetzt braucht, wird in den nächsten Jahrzehnten kaum ein Gastronom leisten können.
Wirklich helfen würde uns deshalb eine Mehrwertsteuerreduzierung von sieben Prozent für die Gastronomie und eine Minderung der Sozialbeiträge. Und wir brauchen darüber hinaus Maßnahmen für die vielen Menschen, die wegen Corona bald auf der Straße stehen werden. Ich denke da konkret an Zuschüsse für Weiterbildungsmaßnahmen, wie zum Beispiel Meisterkurse, damit sich diese Mitarbeiter nach der Krise wieder auf dem Arbeitsmarkt etablieren können.
Ihr Verband vertritt Servicekräfte, Hoteliers und Gastronomen. Welche Branche ist von Corona besonders betroffen?
Betroffen sind wir alle gleich. Kurzfristig wird es innerhalb der Branchen aber vor allem die Mitarbeiter mit den ohnehin niedrigen Gehältern treffen. Ich denke da an Spülkräfte und Zimmermädchen.
Servicekräfte, die aufgrund der ausbleibenden Kundschaft Umsatzbeteiligungen verlieren, die auch kein Trinkgeld mehr bekommen und nur 60 Prozent Kurzarbeitergeld erhalten, werden davon nicht leben können. Und spätestens dann, wenn unsere Zulieferer wie Bäcker und Metzger dichtmachen, droht ein flächendeckendes Restaurant- und Hotelsterben.
Wie lange kann die Kneipe an der Ecke oder das Lieblingsrestaurant überhaupt durchhalten, wenn es für unbestimmte Zeit schließen muss?
Das hängt in erster Linie davon ab, ob die Immobilie dem Betreiber gehört oder ob es sich um einen Pachtbetrieb handelt. Insgesamt schätze ich aber, dass für die meisten Betriebe nach sechs Wochen ohne Einnahmen Schluss sein wird.
Hätte sich Ihre Branche besser auf die Krise vorbereiten müssen?
Nein, das ist gar nicht möglich. Gastronomie und Hotellerie sind meist ein kurzfristiges Geschäft.
Es ähnelt einer Lotterie: Sie können immer nur grob abschätzen, wie viele Gäste nächste Woche bei Ihnen übernachten – wissen tun sie es nicht. Was sie an Ware einkaufen, wie groß der Mitarbeiterbedarf in der nächsten Saison ist, das alles richtet sich nach den Erfahrungswerten der vergangenen Jahre.
Wenn die Kundschaft dann in einem solchen Maße abnimmt wie jetzt, ist das eine Situation, auf die sich niemand vorbereiten kann.
Die Corona-Maßnahmen unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland. Während in Berlin die Gaststätten zwischen 6:00 und 18:00 Uhr geöffnet haben dürfen, müssen Restaurants in Nordrhein-Westfalen bereits um 15:00 Uhr schließen. Wie klar sind die erlassenen Regeln für Ihr Gewerbe?
Unklar. Wir wünschen uns deshalb eine bundeseinheitliche Regelung, die für Mitarbeiter und Gäste nachvollziehbar ist. Und wir wünschen uns Maßnahmen, die dafür sorgen, dass unsere Mitarbeiter, die in Kontakt mit unseren Gästen sind, ausreichenden Schutz erhalten.
Denn gerade in diesen wilden Zeiten wollen wir unseren Kunden weiterhin ein angenehmes Erlebnis bieten. Da ist Rücksichtnahme uns gegenüber wichtig.
Unter dem Hashtag #supportyourlocal wird in den Sozialen Netzwerken damit geworben, weiterhin in den Lieblingsrestaurants zu speisen. Was können Kunden noch tun, um die Gastronomie zu unterstützen?
Wenn die Kantine geschlossen ist, holen Sie sich Ihr Mittagessen doch beim Restaurant um die Ecke auf die Hand. Oder rufen sie abends an und lassen sich das Essen nach Hause liefern. So helfen Sie uns in diesen unsicheren Zeiten wirklich weiter.
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