Eine Studie zu Hass-Nachrichten im Internet zeigt, dass eine kleine Minderheit Kampagnen steuert und besonders aktiv Hass verbreitet. Viele der Profile lassen sich Anhängern der Identitären Bewegung und der AfD zuordnen. Eine Expertin klärt über die Gefahren auf.
Sie verabreden sich gezielt, um Hass zu verbreiten. Eine Untersuchung des Institutes for Strategic Dialogue (ISD) in London fand heraus, dass sich die Hälfte der Likes von Hass-Kommentaren auf Facebook auf nur fünf Prozent der Accounts zurückführen lässt. Bei anderen Themen blieben diese Nutzer dagegen passiv.
In der Studie werteten der IT-Experte Philip Kreißel und die Extremismusforscherin Julia Ebner im Januar mehr als 3.000 Veröffentlichungen und 18.000 Kommentare auf Facebook und Twitter zu Beiträgen von "Bild", "Focus Online", "Kronen-Zeitung", "Spiegel Online", "tagesschau.de", "Welt" und den ZDF-"heute"-Nachrichten aus.
Wir haben mit Julia Ebner über die Bewertungen der Ergebnisse gesprochen.
Frau Ebner, gibt es Menschen, die besonders oft Opfer von gezieltem Hass in den sozialen Netzwerken werden?
Julia Ebner: Ja. Flüchtlinge, Politiker und Journalisten. Bundesjustizminister Heiko Maas, der sich intensiv mit dem Thema Hass-Inhalte in den Sozialen Medien beschäftigt hat oder Bundeskanzlerin Angela Merkel wegen ihrer Flüchtlingspolitik. Aber auch die Aktivisten vom Kunstprojekt "Zentrum für Politische Schönheit", die vor dem Haus des AfD-Politikers Björn Höcke Stelen errichteten, die an das Holocaust-Mahnmal in Berlin erinnern. Allerdings gibt es Unterschiede in der Wirkung der Kampagnen.
Welche denn?
Ebner: Bekannte Politiker werden eher nebenbei in Hashtags erwähnt. Aber Menschen, die weitgehend anonym leben und leichter angreifbar sind, werden gezielt zugespamt – mit massenhafte Nachrichten auf ihren Accounts und Androhungen von physischer oder sexueller Gewalt. Ich habe das selbst erlebt.
Die größte rechtsextreme Trollfabrik Deutschlands
Wer koordiniert diese Kampagnen?
Ebner: Es gibt eine Gruppe von Online-Aktivisten, die sich Reconquista Germanica ("Rückeroberung Deutschlands") nennt. Das ist die größte rechtsextreme Trollfabrik Deutschlands mit etwa 7000 aktiven Mitgliedern. Sie haben sich im Sommer 2017 zusammengeschlossen mit dem Ziel, die Bundestagswahl zu Gunsten der AfD zu beeinflussen.
In geschlossenen Foren haben sie sich auf Uhrzeiten, Hashtags und Ziele ihrer Kampagnen geeinigt. Das Ziel war es, die Algorithmen in den sozialen Medien zu manipulieren und den politischen Online-Diskurs zu diktieren, d.h. 'feindliche Filterblasen zu infiltrieren', wie sie sagen.
Wer sind die Hintermänner solcher Kampagnen?
Ebner: Der selbsternannte Oberbefehshaber von Reconquista Germanica nennt sich Nikolai Alexander, ein anonymer Video-Blogger aus Bayern. Ansonsten ist über die Strukturen nicht so viel bekannt. Nicht alle Kampagnen werden zentral gesteuert.
Was wir wissen: Es gibt unter den "Hatern" eine kleine, sehr aktive Minderheit. Die Hälfte der Likes von Hass-Kommentaren auf Facebook wird von nur fünf Prozent der Accounts geklickt. Und 25 Prozent der Hass-Likes lassen sich sogar auf nur ein Prozent der Profile zurückführen.
Wie viele Profile sind das genau?
Ebner: 6.000 Accounts waren für 50 Prozent und 1.400 Accounts für 25 Prozent der Likes bei Hass-Kommentaren verantwortlich. Das entspricht in etwa der Anzahl der Aktivisten in den rechtsextremen Chatgruppen Reconquista Germanica und #Infokrieg, die wir über sechs Monate lang beobachtet haben.
Auf welchen Seiten sind die meisten Hass-Postings zu finden?
Ebner: Viele der koordinierten Kampagnen betrafen in Deutschland beispielsweise Artikel von der "Bild" und in Österreich der "Krone", aber auch Artikel von anderen großen Medien wurden kommentiert. In den meisten Fällen ist es egal, welcher politischen Richtung die Seiten zuzuordnen sind. Es geht den Aktivisten eher um die Breitenwirksamkeit, da sich so die öffentliche Debatte besonders gut beeinflussen lässt.
Erfolgte die Auswahl ganz gezielt?
Ebner: Ja. Wie wir anhand von Chatprotokollen wissen, gab es Verabredungen, solche Plattformen als Zielscheiben auszuwählen, die auch viele Menschen lesen. Und solche Inhalte zu kommentieren, die besonders sinnvoll für ihre Hasskampagnen sind.
Welche Inhalte sind das?
Ebner: Überdurchschnittlich oft waren es Themen, die sich auf Immigration, islamistischer Terrorismus oder sexuelle Belästigung beziehen. Freiheit im Netz war auch ein großes Thema. Dazu passen auch die geposteten Hashtags.
Welche waren besonders beliebt?
Ebner: #TrauDichDeutschland, #MerkelMussWeg, #Kandelistueberall, #DerGroßeAustausch, #Islamisierung, #Überfremdung, #Flüchtlingskriminalität, #Kikagate oder #120
"Anleitungen zum Bau improvisierter Elektroschocker und Schusswaffen"
Werden Hass-Kampagnen demnach vor allem von rechten und rechtsextremistischen Gruppierungen gesteuert?
Ebner: Ja. In geheimen Chats der Reconquista Germanica wird unter anderem der Holocaust geleugnet, Hitler verherrlicht, gegen Flüchtlinge gehetzt und über einen bevorstehenden Rassenkrieg diskutiert. Zudem kursierten Anleitungen zum Bau improvisierter Elektroschocker und Schusswaffen.
Bei der Gruppe gibt es starke Überschneidungen zur Identitären Bewegung (IB). Die Mehrheit der Accounts, die Hass verbreiten, ließ sich Anhängern der AfD und der IB zuordnen.
Wie können Sie da so sicher sein?
Ebner: Diese Accounts zeigen eine starke Übereinstimmung zu den Likes auf den Facebookseiten der IB und der AfD. Teilweise teilen auch bekannte Personen, wie der führende österreichische IB-Aktivist Martin Sellner oder die AfD-Bundesvorsitzende Alice Weidel die Hashtags der von Rechtsextremen koordinierten Kampagnen und befördern diese so in den Mainstream.
Offiziell will die AfD nichts der Idenditären Bewegung zu tun haben.
Ebner: Was wir wissen: Vor der Bundestagswahl wurden die Kampagnen vor allem von der IB koordiniert. Einige AfD-Anhänger haben zumindest teilweise davon gewusst und die Hashtags der Hass-Aktivisten auch gerne geteilt.
Da gab es teilweise eine strategische Vernetzung, bis hin zu rechtsextremen, antisemitischen Verschwörungstheoretikern. Wir haben darüber hinaus Wechselwirkungen im Netz zwischen dem Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke und identitären Online-Aktivisten beobachtet.
Haben Sie auch Hass-Postings von Islamisten oder linksradikalen Gruppierungen beobachtet oder spielen diese keine Rolle?
Ebner: Unser Ausgangspunkt war es, ganz grundsätzlich Hass im Netz zu identifizieren und zu kontern. Beim Institute for Strategic Dialogue befassen wir uns mit Extremismus jeder Form. Wir untersuchten Hasskampagnen ganz unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung, stellten aber schnell fest, dass der von Rechtsextremisten verbreitete Hass in sozialen Medien stark dominierte und besser koordiniert wurde.
Gab es auch spontane Hass-Kampagnen?
Ebner: Das auch, ja. Spontan wird beispielsweise auf Medienartikel, Aktivismus-Kampagnen oder Projekte von Künstlergruppen reagiert. Dort gab es Verabredungen, um ein Thema abzuwerten oder eine Person fertigzumachen. Andererseits haben wir größer angelegte Kampagnen beobachtet wie "#Kandelistueberall" oder die pro-AfD Kampagnen vor der Bundestagswahl.
Bei diesen Aktionen haben sich die Aktivisten gezielt auf Hashtags und Uhrzeiten geeinigt.
Lassen Sie uns ein Beispiel veranschaulichen. In Kandel, einer rheinland-pfälzischen Kleinstadt, wurde eine 15-Jährige von ihrem Ex-Freund, einem Flüchtling aus Afghanistan erstochen. Was macht die Kampagne "#Kandelistueberall" konkret zu einer Hass-Kampagne?
Ebner: Das ist sehr einfach: Sie hatte zum Ziel, den Eindruck zu vermitteln, dass überall afghanische Flüchtlinge 15-jährige Mädchen erstechen. Es ist also eine Kampagne, die sich gezielt gegen eine ganze Gruppe von Menschen auf Basis ihrer Nationalität, Ethnizität und/oder Religion richtet.
Zudem zeigt die Auswertung von Tweets und Posts in Begleitung dieses Hashtags, dass die Kampagne ein sehr hohes Maß an rassistischen und hassvollen Kommentaren hervorrief.
Anweisungen stehen im Medienguerilla-Handbuch
Wie kann ein Nutzer die Hass-Aktivisten erkennen?
Ebner: Treten sie als Gruppe auf, ist es durch die einschlägigen Hashtags leichter. Im Einzelfall kann es sehr schwer sein, denn sie gehen sehr geschickt vor. In internen Anweisungen der Reconquista Germanica werden die Aktivisten aufgefordert, Fake-Accounts anzulegen, auf denen sie zunächst über normale Themen wie Fußball, Essen oder Partys posten.
Schritt für Schritt führen sie – oft mit Ironie oder witzig gemeinten Memes – an ihre extremen Ideologien heran und nähren Zweifel am bestehenden System.
Wie tun sie das genau?
Ebner: Indem verbreitete Frustrationen wie Political Correctness, Feminismus oder der "Gender-Wahn" thematisiert werden. Wenn das nicht klappt, gehen sie aggressiver vor und infiltrieren feindliche Filterblasen. Das alles kann man im Medienguerilla-Handbuch der Identitären lesen, deren Anleitungen sich die Reconquista Germanica bedient.
Unternehmen Facebook, Twitter & Co genug, um Hass-Kampagnen zu unterbinden?
Ebner: Facebook hat sehr viel Kritik geerntet, aber gerade in Deutschland tun sie mittlerweile richtig viel, um Hass-Kommentare und Fake-Accounts zu löschen. Vor der Bundestagswahl hat das Unternehmen gehandelt, um zu verhindern, dass die Wahl durch Kampagnen beeinflusst wird. Sie haben beispielsweise mithilfe von Machine Learning Systemen zehntausende Fake-Accounts von Facebook entfernt.
Twitter könnte da noch deutlich aktiver werden in meinen Augen. Aber natürlich ist es schwer, weil die Aktivisten immer wieder neue Wege finden, um die neuesten Maßnahmen auszutricksen. Das ist ein Katz- und Mausspiel.
Welche Gefahr geht von den Hatern aus?
Ebner: Die größte Gefahr liegt in der Normalisierung von Hass. Weil der Eindruck entsteht, dass viele User Hass verbreiten, werden andere zum Mitmachen angestachelt.
Das kann eine gefährliche Gruppendynamik auslösen. Die Menschen, die angegriffen werden, trauen sich oft gar nicht mehr, sich gegen Hass auszusprechen. Mittlerweile gibt es aber Netzwerke wie die "Online Civil Courage Initiative" (OCCI) und #ichbinhier, bei denen sie sich Hilfe suchen können.
Sehen Sie weitere Gefahren?
Ebner: Ja. Wenige Demokratiefeinde zwingen der Mehrheit politische Debatten auf, indem sie News-Algorithmen manipulieren. So entsteht der Eindruck, dass bestimmte Themen eine große Öffentlichkeit beschäftigten.
Die Medien nehmen diese Diskurse dann teilweise auf und reproduzieren sie aufs Neue. Durch den inszenierten gesellschaftlichen Druck kommen die Hass-Aktivisten ihrem Ziel näher: den politischen Rechtsruck.
Ist die Manipulation denn gelungen, d.h. kann man den Erfolg der AfD bei der Bundestagswahl zum Teil auf solche Kampagnen zurückführen?
Ebner: Es ist schwer oder unmöglich zu sagen, inwiefern sich Online-Erfolge der von Rechtsextremisten koordinierten pro-AfD Kampagnen auf das Ergebnis der Wahl auswirkten.
Klar ist jedoch, dass die Aktivisten es geschafft haben, in den Wochen vor der Wahl den Online-Diskurs zu bestimmen – ihre Hashtags lagen teilweise zwei Wochen in den Top-Trends in Deutschland und wurden von Politikern und Medien aufgegriffen.
Sie schafften es so, Themen gezielt zu platzieren, auf die politische Agenda zu bringen und Druck auf Politik, Medien und Zivilgesellschaft auszuüben.
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