Die ganze Welt ist auf der Suche nach einem Corona-Impfstoff. Selbst die Behörden machen Hoffnung, dass ein Durchbruch bevorsteht - trotz eines großen Rückschlags in der Impfstoffforschung. Wie ist der aktuelle Stand?
Es läuft derzeit gut mit der Entwicklung von Corona-Impfstoffen. In einer offiziellen Stellungnahme rechnete das Paul-Ehrlich-Institut, zuständig für Impfstoffe in Deutschland und während der gesamten Pandemie nicht für große Heilsversprechen bekannt, mit einer möglichen Zulassung bis Jahresende.
Es wäre ein Quantensprung in der Impfstoffforschung, wo zwischen Forschungsbeginn und Zulassung normalerweise mit Jahrzehnten gerechnet wird.
Der Aufwand dafür ist enorm. Mehr als 150 Forscherteams arbeiten weltweit an der Entwicklung eines Impfstoff, es ist ein Wettrennen um Milliardensummen, verbunden mit dem allgegenwärtigen Risiko, teuer zu scheitern. Dennoch geben die aktuellsten Studienergebnisse berechtigten Anlass zur Hoffnung, dass ein Durchbruch in der Impfstoffforschung nicht mehr weit entfernt ist.
Die zugelassenen Kandidaten für einen Corona-Impfstoff
Dass einige Impfstoffe von den nationalen Behörden bereits zugelassen wurden, ohne die weltweit anerkannten Teststufen erfolgreich durchlaufen zu haben, gilt in der Forschungsgemeinschaft hingegen nicht als Durchbruch.
Das betrifft unter anderem den in China erprobten Impfstoff der Firma CanSino Biologics in Zusammenarbeit mit dem Peking Institut für Biotechnologie, der als erster Impfstoff weltweit Marktreife erreichte.
Er kommt seit Juni exklusiv in der chinesischen Volksbefreiungsarmee zum Einsatz, deren Institut die Entwicklung mitfinanzierte und wird in Phase-III-Studien derzeit großflächig getestet, unter anderem in Saudi-Arabien und Russland.
Der Impfstoff besteht aus Erbmaterial des Sars-CoV-2-Virus, der über ein Adenovirus in die menschliche Zelle transportiert wird und dort eine Immunreaktion auslösen soll. Forscher kritisierten unter anderem, dass die Immunreaktion ungenügend sei.
Russischer Impfstoff "Sputnik V" besorgt die Forscher
Eine Abkürzung nahm auch der russische Corona-Impfstoff "Sputnik V", der bereits im August medienwirksam präsentiert und vom staatlichen Gamaleya-Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau entwickelt wurde. Es handelt sich dabei um einen Vektorimpfstoff, der laut seiner Registrierung auf einem harmlosen Schnupfenvirus basiert.
Russland wollte als erstes Land einen Corona-Impfstoff präsentieren - und so ist auch der Name zu verstehen, der an den ersten jemals in die Erdumlaufbahn gebrachten Satelliten erinnern soll. Mit diesem "Sputnik-Schock" 1957 hatte es die einstige Sowjetunion allen vorgemacht.
Die internationale Forschungsgemeinschaft zeigte sich über die frühe Zulassung, der kaum klinische Studien vorausgingen, besorgt. 40 Forscher aus Europa, den USA, Kanada und Russland selbst nährten in einem offenen Brief den Verdacht, dass die zugrunde liegenden Daten plump manipuliert worden seien. Dennoch will Russland im Dezember mit einer ersten Massenimpfung starten und hat, um das Vertrauen zu stärken, neben 38 Testpersonen auch zahlreiche Offizielle und Funktionäre zum Teil vor laufender Kamera impfen lassen - darunter auch eine Tochter von Russlands Präsident
Rückschlag für hoffnungsvollen Kandidaten aus Großbritannien
Der Impfstoff, den Forscher der britischen Universität Oxford gemeinsam mit dem schwedisch-britischen Pharmakonzern AstraZeneca entwickelt haben und bereits an Probanden in Großbritannien, den USA, Brasilien und Südafrika testen, gilt als Hoffnungsträger. Die Impfung funktioniert nach dem klassischen und häufig angewandten Prinzip eines Vektor-Impfstoffs und basiert auf dem Adenovirus, das Erkältungssymptome hervorruft.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte erste Studienergebnisse als "gute Nachricht" begrüßt, Experten hatten zuvor in der britischen Medizinzeitschrift "The Lancet" berichtet, dass der Impfstoff sicher zu sein scheine und das Immunsystem ankurbele. Auch die EU setzt auf den Impfstoff und hat sich Im Rahmen einer europäischen Impfallianz bereits im August das Recht zum Kauf von bis zu 400 Millionen Impfdosen gesichert. 54 Millionen Dosen sollen nach Angaben von Gesundheitsminister Jens Spahn für Deutschland vorgesehen sein.
Einen Rückschlag erlitt die Studie Anfang September, nachdem bei einer Probandin offenbar eine Erkrankung des Rückenmarks aufgetreten war. Die Studie wurde daraufhin weltweit unterbrochen, ist jedoch in Großbritannien, nicht aber in den USA, wieder angelaufen. Das Unternehmen peilt unverändert eine Zulassung noch in diesem Jahr an.
USA setzen auf mRNA-1273
Der US-amerikanische Pharmakonzern Moderna erwirkte im März die weltweit erste Phase-I-Genehmigung für die Erforschung eines Corona-Impfstoffs. Seit Ende Juli befindet sich das Vakzin, das in Zusammenarbeit mit dem US-amerikanischen National Institute of Allergy and Infectious Diseases entwickelt wird, in der entscheidenden Phase III, in der rund 30.000 Probanden geimpft werden sollen.
Der Impfstoff mRNA-1273 ist ein Erbgut-basierter Impfstoff, der nach ersten Ergebnissen der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC eine robuste Immunreaktion und die Bildung von Antikörpern gegen den COVID-19-Erreger hervorgerufen haben soll.
Die Wirkung beruht dabei nicht auf dem herkömmlichen Ansatz, das Immunsystem der Geimpften mit abgetöteten oder abgeschwächten Erregern zu stimulieren. Stattdessen wird genetische Information des Virus in Form von Boten-RNA gespritzt. Den Impfstoff will sich Moderna rund 64 bis 74 Dollar pro geimpfter Person kosten lassen - CEO Stéphane Bancel nennt das das "unter Wert". Zum Vergleich: Das Oxford-Serum kostet nach Angaben aus Italien 2,50 Euro.
Im Rahmen der von Donald Trump initiierten "Operation Wharp Speed" haben die USA mit Moderna einen Vertrag über die Lieferung von 100 Millionen Dosen im Wert von rund 1,5 Milliarden Dollar geschlossen, die EU hat eine Lieferung von 80 Millionen Dosen vereinbart.
Deutsche Firma Biontech will schon bald Zulassung beantragen
Auf einem ähnlichen Ansatz wie Moderna basiert der Impfstoff der Mainzer Firma Biontech, die sich mit den Pharmaherstellern Pfizer und der chinesischen Fosun-Gruppe zusammengetan hat.
Das erste deutsche Unternehmen, das eine Zulassung für Phase-III-Tests erhielt, testet seinen mRNA-Impfstoff derzeit an knapp 30.000 Probanden in den USA, Brasilien und Argentinien, Anfang September erteilte zudem das Paul-Ehrlich-Institut eine Genehmigung für eine klinische Studie in Deutschland.
Ende Oktober bis Anfang November will das Unternehmen nun eine Zulassung beantragen. Die EU hat sich bereits 200 Millionen Impfdosen und die Option auf 100 Millionen weitere gesichert, auch die USA haben einen Vertrag über 100 Millionen Dosen unterschrieben.
Kürzlich hatte Biontech zudem angekündigt, die Produktionsstätte des Marburger Werkes der Firma Novartis zu kaufen, um seine Kapazitäten nochmal deutlich auszuweiten. Das Marburger Werk ist in der Branche legendär, so wurden hier einst die Gegengifte gegen Diphtherie und Tetanus entwickelt. Insgesamt 750 Millionen Dosen Impfstoff, davon schon 250 Millionen im ersten Halbjahr 2021 und noch 100 Millionen Dosen in diesem Jahr, sollen dort produziert werden.
Curevac: Hoffnungsträger an der Börse
Die Börse, so lautet eine bekannte Anlegerformel, nimmt die wirtschaftliche Entwicklung der kommenden zwölf Monate vorweg. Trifft diese Einschätzung auch auf den Aktienkurs von Impfstoffentwicklern zu, wäre die Entscheidung über den vielversprechendsten Impfstoff bereits getroffen.
Denn der Börsengang des Tübinger Impfstoffherstellers Curevac, an dem der Bund mit rund 550 Millionen Euro beteiligt ist, geriet Anfang September zu einem großen Erfolg. An der Börse ist das Unternehmen rund neun Milliarden Euro wert, also so viel wie Commerzbank und Lufthansa zusammen.
Ökonomisch ist diese Lage im Vergleich zu den Konkurrenten nicht unbedingt gedeckt. Die Studie befindet sich derzeit in der parallel laufenden Phase I und II und peilt eine Zulassung erst im Frühjahr oder Sommer 2021 an. Der Wirkstoff basiert ähnlich wie bei Biontech und Moderna auf einer mRNA und wird schon jetzt in den firmeneigenen Produktionsanlagen in Tübingen mit Kapazität von mehreren hundert Millionen Dosen jährlich produziert.
SAP-Gründer und Curevac-Mehrheitseigner Dietmar Hopp kündigte in einem Interview mit dem "Handelsblatt” an, das Rennen "um den besten Impfstoff" gewinnen zu wollen. Sein Unternehmen werde nicht das erste mit einer Zulassung sein, er rechne jedoch mit einem lang anhaltenden Impfschutz bei niedriger Dosierung. Auch Tesla-Chef Elon Musk scheint dieser Einschätzung zu vertrauen. Er kündigte an, Curevac bei der Herstellung mit Mini-Fabriken zu helfen und untermauerte seine Bereitschaft mit einem persönlichen Besuch in Tübingen. Gerüchte über einen Einstieg des Autobauers wies Curevac allerdings als unbegründet zurück.
Verwendete Quellen:
- Handelsblatt: Dietmar Hopp will mit Curevac "Rennen um besten Impfstoff gewinnen"
- Verband Forschender Arzneimittelhersteller: Impfstoffe zum Schutz vor COVID-19, der neuen Coronavirus-Infektion
- Paul Ehrlich Institut: Coronavirus und COVID-19
- BMBF: Coronavirus: Das ist der Stand bei der Impfstoff-Entwicklung
- BMWI: Bundesregierung beteiligt sich mit 300 Millionen Euro an CureVac
- The Lancet: The Russian vaccine for COVID-19
- Nature: Researchers highlight ‘questionable’ data in Russian coronavirus vaccine trial results
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