- Der Sieben-Tage-Inzidenzwert ist einer der zentralen Orientierungswerte, wenn es darum geht den Infektionsverlauf in Deutschland zu beurteilen.
- Das Problem: Die Angaben der Ämter und Behörden weichen teilweise deutlich voneinander ab.
- Wir erklären, wie es dazu kommt.
Es ist die Zahl, die derzeit in Deutschland über verschärfte Maßnahmen entscheidet: der Sieben-Tage-Inzidenzwert. Er bestimmt, ob der Bewegungsradius der Bürger auf 15 Kilometer um den Wohnort begrenzt oder ob sogar erweiterte nächtliche Ausgangssperren eingeführt werden.
Der vom Robert-Koch-Institut (RKI) täglich für alle Landkreise und kreisfreien Städte veröffentlichte Sieben-Tage-Inzidenzwert ist wohl der wichtigste Orientierungswert, wenn es darum geht, den Infektionsverlauf in Deutschland zu beurteilen. Und um Gegenmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie einzuführen - oder gegebenenfalls wieder aufzuheben.
Das Problem: Die veröffentlichten Werte der Gesundheitsämter, Kommunen und des RKI unterscheiden sich teilweise sehr. Auch, weil die Übermittlungskette von den lokalen über die Landesgesundheitsämter bis hin zum RKI fehleranfällig ist. Aus diesem Grund sind die RKI-Werte in vielen Regionen systematisch zu niedrig.
Wir erklären, wie die unterschiedlichen Zahlen zustande kommen und worauf man achten sollte, wenn man die aktuellen Werte in seiner Region verfolgt.
Das sagt der Corona-Inzidenzwert aus
Der Inzidenzwert gibt an, wie viele Menschen in einer Stadt oder einem Landkreis innerhalb der letzten sieben Tagen positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Weil eine Woche betrachtet wird, werden mögliche einzelne Ausreißer und Schwanken, beispielsweise an Wochenenden oder Feiertagen, ausgeglichen werden. Das ermöglicht besser Aussage zur Entwicklung der Pandemie.
Eine Aussage darüber, wo die jeweilige Ansteckung erfolgt ist oder ob die infizierte Person Symptome aufweist oder nicht, kann anhand des Inzidenzwertes nicht getroffen werden.
Damit der Wert deutschlandweit vergleichbar ist, wird er immer pro 100.000 Einwohner angegeben. Die Berechnung funktioniert folgendermaßen: Die täglich gemeldeten Neuinfektionen der letzten sieben Tage werden zusammengezählt, die Summe durch die Einwohnerzahl der jeweiligen Stadt oder des Landkreises geteilt und dann mit 100.000 multipliziert.
Darum unterscheiden sich die Zahlen
Täglich veröffentlichen unter anderem die Kommunen, Landratsämter, Gesundheitsämter, die Gesundheitsministerin der Bundesländer und das RKI neue Corona-Fallzahlen und auch den jeweiligen Sieben-Tage-Inzidenzwert. Dabei fällt auf, dass die jeweiligen Institutionen oft unterschiedliche Zahlen melden.
Beispiel Berlin: Das RKI gab am 13. Januar für das Bundesland einen Inzidenzwert von 183,6 an. In seinem aktuellsten Corona-Lagebericht mit Stand vom 12. Januar führte das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) hingen einen Wert von 199,9 auf. Und der Berliner "Tagesspiegel", der seine Daten aus unterschiedlichen Quellen bezieht (darunter auch das RKI) gab am 13. Januar einen noch höheren Wert an: 206,6.
Für die Einführung der 15-Kilometer-Regel in der Hauptstadt hatten die Unterschiede zwar letztendlich keine Auswirkung. Weil einige Stadtbezirke die Grenze von 200 teils deutlich brachen, führte der Senat am Dienstag die verschärfte Maßnahme ein. Dennoch: Wie kommen diese Differenzen zustande?
Zum einen liegen für die Berechnung des Inzidenzwertes unterschiedliche Sieben-Tage-Zeiträume zugrunde. Ein genauer Start- und Endpunkt der Berechnungszeiträume ist nicht einheitlich festgelegt. So veröffentlicht das RKI seine Zahlen immer um 0:00 Uhr. Für die tägliche Berichterstattung des LAGeSo werden die Meldedaten des jeweiligen Tages eingeschlossen, die bis um 12:00 Uhr an Amt übermittelt wurden.
Und das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) beispielsweise gibt die aktuellen Werte immer um 14:00 Uhr bekannt, darin einberechnet sind Neuinfektionen, die bis 8:00 Uhr des gleichen Tages gemeldet wurden. Die jeweiligen örtlichen Behörden präsentieren ihre Zahlen meist im Laufe des Vormittags. Durch die unterschiedlichen Zeitfenster kann es zu Abweichungen bei den Angaben kommen.
Verzögerungen bei Übermittlung der Daten sorgt für unterschiedliche Zahlen
Auch die Tatsache, dass es zu Verzögerungen bei der Meldung der aktuellen Neuinfektionen von den Gesundheitsämtern an das LGL kommt, spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle. Denn nicht alle positiven Laborbefunde werden dem LGL noch am selben Tag gemeldet. Lediglich ein Meldezeitraum von 24 Stunden ist verpflichtend. Das LGL meldet seine Daten, die es von den lokalen Gesundheitsämtern bekommt und die wiederum von den Laboren, dem RKI, das die Infektionszahlen wiederum als letzte Institution auf elektronischem Weg übermittelt bekommt. Doch je weiter hinten eine Institution in der Meldekette ist, desto später bekommt es die Daten.
"Die Inzidenz basiert auf dem Meldedatum der Fälle, das ist der Zeitpunkt, an dem der Fall dem Gesundheitsamt bekannt wird. Es kommt vor, dass ein Gesundheitsamt einen Fall aber erst am nächsten Tag in der Software erfasst, sodass er dann erst am übernächsten Tag unter den Zahlen des RKI erscheint. Durch den Übermittlungsverzug kann es zu einer Unterschätzung der Sieben-Tage-Inzidenz kommen, insbesondere bei dynamischen Entwicklungen", erklärt eine Sprecherin des RKI auf Anfrage unserer Redaktion.
Dazu kommt es immer wieder zu Pannen: So kämpfte das LGL am vergangenen Wochenende mit Softwareproblemen. Die übermittelten Daten konnten laut eines Berichts von "nordbayern.de" offenbar nicht verarbeitet werden. Wegen des Fehlers sank der Inzidenzwert im Corona-Hotspot Nürnberg zwischenzeitlich unter 200.
Verwendung von unterschiedlichen Bevölkerungszahlen
Ein weiterer Grund für unterschiedliche Inzidenzwerte ist, dass die Institutionen teilweise unterschiedliche Bevölkerungszahlen für die Berechnung verwenden. Das RKI, das Berliner LAGeSo und das LGL aus Bayern beziehen sich auf die von den Statistischen Landesämtern ermittelten Einwohnerzahlen vom 31.12.2019, denn nur diese sind amtlich.
Die Zahlen der Einwohnermelderegister, auf die sich aber die meisten Städte bei ihren Berechnungen beziehen, entsprechen oft nicht den genauen Einwohnerzahlen. Sogenannte Fehlbestände, wenn beispielsweise eine Person zugezogen ist, sich aber nicht angemeldet hat, oder wenn sie bei einem Wegzug vergessen hat, sich abzumelden, werden hier nicht berücksichtigt.
Welcher Wert ist ausschlaggebend für die Politik?
Wenn es um Entscheidungen der Politik über Erlass oder Lockerung von Einschränkungen des öffentlichen Lebens geht, werden von den Verantwortlichen nur die Werte von RKI und LGL betrachtet. Die eigens ermittelten Inzidenzwerte der jeweiligen Städte oder Landkreise bleiben dabei außen vor.
"Maßgeblich für die Einleitung von Maßnahmen ist der Sieben-Tage-Inzidenzwert des RKI oder des LGL, so gibt es die Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vor. Wenn diese beiden Werte voneinander abweichen sollten, gilt immer der höhere Wert," betonte eine Sprecherin des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelüberwachung im Gespräch mit unserer Redaktion.
Darauf sollten Bürgerinnen und Bürger achten
Gerade wenn das Infektionsgeschehen schnell voranschreitet und Grenzwerte wie 200 bei der Sieben-Tage-Inzidenz überschritten werden, treten neue Maßnahmen in Kraft. Wer sich für die Zahlen in seinem Wohnort interessiert, wirft am besten einen Blick auf die Webseite seines Gesundheitsamtes. Da die örtlichen Behörden Neuinfektionen als erstes elektronisch erfassen, findet man dort in der Regel die aktuellsten Zahlen.
"Wenn sich jemand über die Lage in seinem Wohnort informieren möchte, wissen möchte, wie die aktuellen Fallzahlen sind und welche Maßnahmen greifen, empfehlen wir, auf die Website des jeweiligen Gesundheitsamtes zu gehen, dort werden konkrete regionale Informationen zur Verfügung gestellt," bestätigt eine Sprecherin des LGL.
Dieser Artikel erschien zuerst am 30. Oktober 2020 und wurde am 13. Januar aktualisiert.
Verwendete Quellen:
- COVID-19-Dashboard des Robert Koch-Instituts
- Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit: Übersicht der Fallzahlen von Coronavirusinfektionen in Bayern
- berlin.de: "Corona-Lagebericht"
- Tagesspiegel: "Alle Corona-Fälle in den Landkreisen, Bundesländern und weltweit"
- n-tv: "Auch Berlin führt 15-Kilometer-Regel ein"
- nordbayern.de: "Softwareprobleme: Nürnbergs Corona-Inzidenz unter 200"
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