- Nachdem die Inzidenzzahlen über die Osterfeiertage gesunken sind, hebt die Stadt München ab 7. April die sogenannte "Notbremse" wieder auf - weil die Landesverordnung es so vorsieht.
- Doch wie zuverlässig sind die Zahlen, wenn selbst das Robert-Koch-Institut davor warnt, dass weniger getestet und gemeldet wurde?
- Wir haben bei den Spitzen der bayrischen Landeshauptstadt nachgefragt.
"Kontakte, Läden, Museen: Ab 7.4. wird wieder gelockert" - so werden Besucherinnen und Besucher der Homepage der Stadt München empfangen.
Nachdem an Karfreitag die kritische Inzidenzmarke von 100 am dritten Tag in Folge überschritten war, gelten in der bayrischen Landeshauptstadt seit Ostersonntag die schärferen Corona-Maßnahmen, die der von Bund und Ländern beschlossenen "Notbremse" entsprechen: Notbetreuung in Kitas, geschlossene Geschäfte, Ausgangsbeschränkungen und Kontaktbegrenzung - die allseits bekannten Vorgaben eben.
Münchens Inzidenz über Ostern unter 100 - Lockerungen ab Mittwoch
Weil aber von Karsamstag bis Ostermontag der Inzidenzwert drei Tage lang wieder unter 100 lag, werden die verschärften Maßnahmen nach Angaben der Stadt ab Mittwoch wieder zurückgenommen. Die nächtliche Ausgangssperre entfällt dann, und Geschäfte, Museen und der Tierpark dürfen wieder öffnen.
Die Zahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen lag in München laut Robert-Koch-Institut (RKI) am Ostermontag bei 96,1. Am Ostersonntag betrug der Wert 94,5. Am Dienstag meldete das RKI für München eine Inzidenz von 85,4. Alles im rechtlichen Rahmen also. Oder?
RKI warnt: Oster-Fallzahlen bilden Infektionsgeschehen nur unzureichend ab
Ein Blick auf die RKI-Homepage lässt Zweifel am Münchner Corona-Management keimen. Denn die bundeseigene Behörde versieht die Angaben der aktuellen Fallzahlen mit folgendem Hinweis:
Rund um die Osterfeiertage ist bei der Interpretation der Fallzahlen zu beachten, dass zum einen meist weniger Personen einen Arzt aufsuchen, dadurch werden weniger Proben genommen und weniger Laboruntersuchungen durchgeführt. Dies führt dazu, dass weniger Erregernachweise an die zuständigen Gesundheitsämter gemeldet werden. Zum anderen kann es sein, dass nicht alle Gesundheitsämter und zuständigen Landesbehörden an allen Tagen an das RKI übermitteln.
So hat das RKI-Dashboard zur Zahl der Neuinfektionen in München noch am Dienstagvormittag ausgewiesen: "Keine neuen Fälle" - keine Überraschung also, dass die Inzidenz bis auf 85,4 abgesunken ist.
Am Dienstagnachmittag korrigierte die Stadt den Wert indes wieder nach oben, auf 91,2 - es waren doch noch 84 Fälle von Neuinfektionen nachgemeldet worden.
Bayernweit steigen die Neuinfektionen im Übrigen seit einiger Zeit wieder deutlich an. Ein Großteil der Landkreise und kreisfreien Städte im Freistaat hat den Inzidenzwert von 100 überschritten.
Spitzenreiter war am Montag die Stadt Hof mit 469,2 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern binnen einer Woche.
Bleibt die Frage: Warum wird in München gelockert, wenn doch höchst wahrscheinlich ist, dass die Zahlen nur deshalb gesunken sind, weil die Meldungen verzögert sind?
Stadt München gibt Verantwortung an Gesundheitsministerium weiter
Eine Anfrage bei der Stadt ergibt wenig Substanzielles. "Die Landeshauptstadt München ist wie alle anderen kreisfreien Städte und Landkreise in Bayern an die Vorgaben der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (12. BayIfSMV) des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege gebunden. Dort ist das Verfahren bei inzidenzabhängigen Regelungen klar definiert (§3)", heißt es in einer Antwort des zuständigen Kreisverwaltungsreferats (KVR).
Unter Verweis auf das für die Verordnung zuständige Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege erklärt sich die Münchner Verwaltungsbehörde für nicht zuständig.
Münchner Bürgermeisterin Habenschaden: Geburtsfehler der Verordnung
Deutlicher wird die Bürgermeisterin der bayrischen Landeshauptstadt. "Dass bereits drei Tage nach Übertreten oder Unterschreiten eines Schwellenwerts neue Maßnahmen in Kraft treten, ist ein Geburtsfehler der bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung. Sie lässt außer Acht, dass an Wochenenden und Feiertagen in der Regel zu niedrige Fallzahlen gemeldet werden", antwortet Katrin Habenschaden auf unsere Anfrage.
Die Grünen-Politikerin befürchtet, "dass die gesunkenen Inzidenzwerte nicht mit einem abflauenden Infektionsgeschehen in München zusammenhängen, sondern dass es sich um einen Meldeverzug handelt. Es wäre deshalb aus meiner Sicht richtig gewesen, einen längeren Zeitraum zu betrachten. Nach wie vor gilt: Eine Überlastung des Gesundheitswesens muss unbedingt verhindert werden. Leider registrieren wir, dass die Belegung der Intensivbetten in den Münchner Kliniken wieder steigt."
Habenschaden: "Öffnungen und Schließungen unterminieren Vertrauen"
Habenschaden verweist ebenso wie das KVR auf die Vorgaben der Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, an die München gebunden sei.
Die Bürgermeisterin räumt aber ein: "Öffnungen und Schließungen im Halbwochenrhythmus unterminieren das Vertrauen der Bevölkerung in politisches Handeln und sind außerdem ein Planungs-Irrsinn für Einzelhandel sowie Kultur- und Freizeiteinrichtungen."
Den Schlüssel zu einer maßvollen Entscheidung hat also nur das bayrische Gesundheitsministerium in der Hand. Auf unsere Anfrage, ob eine Überarbeitung der Infektionsschutzverordnung zeitnah angedacht ist, haben wir bislang keine Antwort erhalten (Stand, Dienstag, 6. April, 16 Uhr).
Verwendete Quellen:
- Schriftliche Anfragen an das Kreisverwaltungsreferat München und Bürgermeisterin Katrin Habenschaden
- Dashboard des Robert-Koch-Instituts
- Agenturmaterial von dpa
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