- Die Bitte an die Kirchen, an Ostern nur virtuelle Gottesdienste abzuhalten, hat die Bundesregierung inzwischen zurückgenommen.
- Dennoch stellt sich die Frage: Wie sehr können die Kirchen in Deutschland bei der Pandemiebekämpfung in die Pflicht genommen werden?
- Das Grundrecht auf freie Religionsausübung - auch und vor allem bei Gottesdiensten - darf jedenfalls nicht einfach so eingeschränkt werden.
Nach der missglückten "Osterruhe"-Bund-Länder-Runde Anfang letzter Woche sind sogar die bislang eher zurückhaltenden Kirchenvertreter in Deutschland laut geworden. Vor allem die katholische Kirche wollte sich nach den ausgefallenen Ostergottesdiensten im vergangenen Jahr nicht noch einmal darauf beschränken lassen, ihre Gottesdienste nur virtuell abzuhalten.
Unterstützung bekam sie auch aus einer der Regierungsparteien. Bundesinnenminister
In der Vergangenheit gab es Corona-Fälle in Gottesdiensten
Dabei war die Verlagerung ins Virtuelle nicht einmal eine Pflicht, sondern eine Bitte gewesen. Dennoch waren die Reaktionen scharf - und einige Gegenreaktionen auch: Kann man von den Kirchen denn nicht verlangen, die Tore zu schließen - wo es doch in der Vergangenheit durchaus Corona-Ausbrüche bei Gottesdiensten gab? Zumal in Zeiten, in denen alle Menschen mit großen, teils existenzbedrohenden Einschränkungen leben müssen?
Infektionsschutzgesetz macht Einschränkung von Grundrechten möglich
Ja und nein, sagt dazu der Rechtswissenschaftler Horst Dreier. Tatsächlich können Grundrechte, auch das auf Religionsfreiheit, in Ausnahmesituationen wie dieser Pandemie eingeschränkt werden. Seit einem Jahr passiert das immer wieder - ob es nun um die Versammlungsfreiheit geht oder darum, wie frei man sich im Land bewegen kann.
Möglich macht das der Paragraf 28a im Infektionsschutzgesetz. In ihm stehen verschiedene Maßnahmen zur Bekämpfung einer Epidemie - und unter welchen Voraussetzungen sie durchgesetzt werden dürfen. Zum Beispiel steht dort, dass Versammlungen verboten werden können, wenn das aus Sicht der politischen Entscheidungsträger nötig ist, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Und: dass das für "religiöse und weltanschauliche Zusammenkünfte" gilt, also zum Beispiel für Gottesdienste.
Religionsfreiheit steht unter besonderem Schutz
Allerdings ist es so, dass ein Grundrecht wie die Religionsfreiheit, zu der auch das Recht auf Religionsausübung gehört, eigentlich nicht durch ein Gesetz eingeschränkt werden kann. Denn anders als zum Beispiel das Recht auf Versammlung unter freiem Himmel nach Artikel 8, Absatz 2 des Grundgesetzes (GG) gehört die Religionsfreiheit nach Artikel 4 GG zu den sogenannten vorbehaltlosen Grundrechten. Die Religionsfreiheit und somit auch das Recht, die eigene Religion gemeinsam mit anderen zu praktizieren, hat selbst unter den Grundrechten einen besonderen Status.
Eine Einschränkung der Religionsfreiheit per Gesetz ist demzufolge nicht möglich. Allerdings: "Ein Grundrecht kann zwar vorbehaltlos gelten, aber es gilt nicht grenzenlos", sagt Rechtswissenschaftler Dreier im Gespräch mit unserer Redaktion. "Wenn sich in einer Gemeinde mit 10.000 Menschen ein neues Virus rasant ausbreitet, kann es verfassungsrechtlich geradezu geboten sein, Gottesdienste örtlich begrenzt und für einen bestimmten Zeitraum zu untersagen."
Auch das Infektionsschutzgesetz gibt Gottesdiensten einen Sonderstatus
Ein pauschales Verbot von Gottesdiensten für das ganze Land oder gar das Schließen von Kirchen ist verfassungsrechtlich problematisch, was auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April 2020 zeigt. Es stellte fest, dass im Einzelfall abgewogen werden müsse, ob Hygienekonzept und Örtlichkeit es nicht doch hergeben, dass ein Gottesdienst oder eine religiöse Zusammenkunft - in diesem Fall ging es um ein muslimisches Freitagsgebet im Ramadan - trotz Pandemie stattfinden kann.
Im Übrigen werden Gottesdienste und Demonstrationen auch im Infektionsschutzgesetz auf eine besondere Stufe gestellt: Absatz 2 des Paragrafen 28a besagt, dass beide nur verboten werden dürfen, sofern auch bei Berücksichtigung aller anderen getroffenen Schutzmaßnahmen die Eindämmung der Pandemie erheblich gefährdet wäre. "Wenn die Kirchen gute Hygienekonzepte haben, sollten Gottesdienste stattfinden dürfen", sagt Horst Dreier.
Ostergottesdienste sollen auf Streamingangebote zurückgreifen
In vielen Gemeinden wird das an Ostern auch geschehen - wobei die Deutsche Bischofskonferenz der katholischen Kirche schon dazu aufgerufen hat, "verantwortungsvoll zu handeln und auch Streamingangebote zu nutzen". So findet zum Beispiel der Ostersonntagsgottesdienst in der Münchner Frauenkirche mit 130 statt wie sonst mit über 1.000 Teilnehmern statt. Es gibt aber auch einen Livestream. Die evangelische Nordkirche rät ebenfalls dazu, digitale Angebote zu nutzen, besonders ab einem Inzidenzwert von 100.
Bleibt die Frage, ob virtuelle Gottesdienste das Recht auf Religionsfreiheit nicht genauso gewährleisten wie Präsenzgottesdienste. Rechtswissenschaftler Dreier sieht das kritisch: "Gottesdienste sind der Kern der Glaubensausübung und der sichtbarste Teil davon. Religionsfreiheit kann nicht individuell ausgeübt werden, dafür braucht man immer jemand anderen."
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Professor Horst Dreier, Rechtswissenschaftler und Rechtsphilosoph
- Website des Bundesverfassungsgerichts
- Website "Gesetze im Internet" des Bundesjustizministeriums
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