Der Bund und die Länder haben sich am Mittwoch auf einen erneuten Lockdown in Deutschland geeinigt um den immer stärker steigenden Infektionszahlen in der Coronakrise Einhalt zu gebieten. Besonders schwer getroffen von den erneuten Einschränkungen ist die ohnehin schon gebeutelte Gastronomie-Branche. Für viele geht es jetzt um die nackte Existenz ihres Unternehmens.
Der Teil-Lockdown ab kommender Woche in Deutschland stößt in der Hotel- und Gastronomie-Branche auf Unverständnis. "Viele Unternehmer der Hotellerie und Gastronomie schwanken zwischen Wut und Verzweiflung", sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes "Die Familienunternehmer", Albrecht von der Hagen, der Deutschen Presse-Agentur. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) warnte, Zehntausenden Unternehmen drohe ohne umfassende finanzielle Hilfen die Pleite.
Bundestagsvizepräsident
Hotels, Restaurants, Kinos und Theater sind ab Montag zu
Bund und Länder hatten am Mittwoch die einschneidensten Maßnahmen seit dem großen Lockdown im Frühjahr beschlossen. Ab Montag sollen unter anderem Hotels, Restaurants, Kinos und Theater für den gesamten Monat November schließen.
In dieser Zeit dürfen sich auch nur wenige Menschen privat treffen.
Besonders stark von den neuen Regeln betroffene Firmen sollen große Teile ihres Umsatzausfalls vom Bund ersetzt bekommen. Nothilfen in Höhe von bis zu zehn Milliarden Euro sind dafür eingeplant. "Das ist eine große Unterstützung, so dass wir hoffen, dass alle Unternehmen diesen Monat gut durchstehen können", sagte Vizekanzler
Viele Betriebe stehen vor dem Aus
Dehoga-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges warnte dennoch vor dem Aus für zahlreiche Betriebe. "Durch den zweiten Lockdown wird ein Drittel der 245 000 Betriebe den Winter nicht überstehen. Ohne umfassende Entschädigungshilfe droht ihnen die Pleite", sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Donnerstag). Viele Unternehmen zögen bereits eine Klage in Betracht. Unterstützung dafür kam von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP). Er sagte der "Rheinischen Post" (Donnerstag): "Ich rufe alle Betroffenen auf, rechtliche Mittel gegen diese Maßnahmen einzulegen."
Der Hauptgeschäftsführer des Verbandes "Die Familienunternehmer", Albrecht von der Hagen, sagte, der Shutdown dürfe nicht zum Knockdown werden. Wenn der Staat beschließe, dass Betriebe geschlossen würden, müsse er auch für die wirtschaftlichen Folgen Verantwortung tragen und Entschädigungen zahlen. "Ansonsten beginnt der Kahlschlag ganzer Branchen."
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Mehr als 8.000 Gastronomie-Betriebe aktuell insolvenzgefährdet
Die Wirtschaftsauskunftei Crif Bürgel warnte ebenfalls vor einer Pleitewelle. Stand Ende Oktober seien mehr als 8.300 Restaurants, Gaststätten, Imbisse und Cafés in Deutschland insolvenzgefährdet, heißt es in einer Analyse, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Das seien 14,5 Prozent der untersuchten Betriebe.
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten forderte eine stärkere finanzielle Unterstützung der Beschäftigten, die jetzt in die Kurzarbeit müssen. "Die angekündigten Finanzhilfen von zehn Milliarden Euro für November sollte auch dafür genutzt werden, die Lohneinbußen der Beschäftigten auszugleichen, die in Kurzarbeit geschickt werden", sagte der NGG-Vorsitzende Guido Zeitler den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Der "Rheinischen Post" sagte er: "Für viele Betriebe im Gastgewerbe kommt der neuerliche Lockdown ohne schnelle und massive Hilfe einem Todesstoß gleich."
Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, kritisierte in einem ARD-"Extra" am Mittwochabend, dass man die Pandemie mit einem Lockdown nicht nachhaltig in den Griff bekomme. "Wir werden danach eine neue Strategie entwickeln müssen, wir können ja nicht alle zwei Monate in einen Lockdown gehen." Er wolle beispielsweise Risikogruppen stärker schützen.
Patientenschützer begrüßt die neuen Maßnahmen
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz begrüßte die schärferen Beschränkungen hingegen. "Bund und Länder mussten konsequent handeln", sagte Vorstand Eugen Brysch der Deutschen Presse-Agentur. "Die größte Gefahr geht von privaten Kontakten, Festen und Zusammenkünften aus."
Berlins Regierungschef Michael Müller (SPD) sprach am Mittwoch von einem "harten und bitteren Tag". Es gehe aber schlichtweg um die Rettung von Menschenleben. "Wenn wir jetzt zugucken, werden wir vielen Menschen nicht helfen können." Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach twitterte: "Die Beschlüsse von heute sind ein großer Erfolg und ein Meilenstein gegen das Coronavirus in Deutschland."
Die Grünen äußerten sich zwiegespalten. Die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt erklärte: "Wir tragen die drastischen Einschnitte im Kern notgedrungen mit, um den Anstieg der Infektionszahlen zu bremsen, Menschen zu schützen und eine Überforderung des Gesundheitssystems zu verhindern. Es zeigt sich nun, wie fatal es war, dass die Sommermonate nicht genutzt wurden, um diese Phase der Pandemie vorzubereiten."
Ist es sinnvoll, dass Schulen offen bleiben?
Derweil begrüßte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek den Beschluss von Bund und Ländern, wonach Schulen und Kindergärten offen bleiben. "Die Corona-Zeit darf für die Schülerinnen und Schüler nicht zu einer verlorenen Zeit werden", sagte die CDU-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Die Belastung der Familien dürfte nicht noch gesteigert werden. "Die Schulen dürfen aber auch weiter nicht zu Corona-Hotspots werden", betonte die Ministerin. Sie regte eine Ausweitung der Maskenpflicht an Deutschlands Schulen an. "Wir müssen alles versuchen, die Schulen auch in den nächsten Wochen offen zu halten."
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, kritisierte dagegen die Entscheidung, Schulen komplett offen zu halten. "Ob ein Lockdown light funktionieren kann, wenn man die Schulen weitgehend ausnimmt, möchte ich bezweifeln", sagte Meidinger der "Passauer Neuen Presse" (Donnerstag). (dpa/ska)
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