Im September 2020 wird eine 15-Jährige im Hamburger Stadtpark von mehreren jungen Männern vergewaltigt. Nach fast 100 Verhandlungstagen spricht eine Jugendkammer am Landgericht neun Angeklagte schuldig.
Eine spätsommerliche Party mit Freunden im Hamburger Stadtpark endet für eine 15-Jährige traumatisch. Unter Alkoholeinfluss gerät sie in der Nacht zum 20. September 2020 an eine Gruppe von vier jungen Männern, die sie in ein Gebüsch führen und vergewaltigen.
Einer stiehlt ihr Handy, sodass sie anschließend ihre Freunde nicht wiederfinden kann. Als sie über die Festwiese irrt, werden zwei andere Männer auf sie aufmerksam und vergehen sich ebenfalls an ihr. Innerhalb von nur gut einer Stunde muss sie noch die Vergewaltigung durch drei weitere Männer über sich ergehen lassen.
Neun Haftstrafen - eine ohne Bewährung
Die 15-Jährige leide bis heute unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, sagte die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring am Dienstag bei der Urteilsverkündung am Landgericht Hamburg. Nach anderthalbjährigem Prozess verurteilte die Jugendkammer neun Angeklagte zu Haftstrafen.
Ein zehnter Angeklagter wurde freigesprochen, wie schon ein ursprünglich elfter Beschuldigter am vergangenen 5. April. Die Jugendstrafen von ein bis zwei Jahren für acht Angeklagte setzte die Kammer zur Bewährung oder der sogenannten Vorbewährung aus. Nur ein 19-Jähriger bekam eine härtere Strafe, und zwar zwei Jahre und neun Monate Haft ohne Bewährung.
Die Festwiese im Stadtpark hatte sich in der Corona-Zeit, als Clubs schließen mussten, zu einem beliebten Treffpunkt entwickelt. Die Nebenklägerin sei mit mindestens 1,6 Promille alkoholisiert gewesen, erklärte die Richterin. An körperliche Gewalt oder Bedrohungen könne sie sich nicht sicher erinnern.
Das Verletzungsbild schließe das aber nicht aus. Auf einem Video von der ersten Tat hätten Zeugen gesehen, dass sich die Nebenklägerin in Schutzhaltung die Hände vor das Gesicht gehalten habe. Die sexuellen Handlungen seien demnach gegen ihren Willen erfolgt. Die Tat habe bei der 15-Jährigen eine schwere akute Belastungsreaktion ausgelöst, die danach zu widersprüchlichem und paradoxem Verhalten geführt habe.
Opfer irrte verzweifelt durch den Park
Zwei andere Angeklagte, dann ein weiterer und noch einmal zwei Beschuldigte hätten den Zustand des Mädchens ausgenutzt, als es nach den Worten der Richterin total verwirrt und verzweifelt über die Festwiese getaumelt sei. Es hätten sich dort fast nur noch vereinzelte Männergruppen aufgehalten. Wegen eines Polizeieinsatzes aufgrund der Corona-Regeln hätten sich die Freunde der Nebenklägerin in einen anderen Teil des Parks zurückgezogen.
Einer der Angeklagten habe anderen Männern von den sexuellen Handlungen erzählt, und zwar in einer für das Opfer extrem herabwürdigen Weise, sagte Meier-Göring. Unter den Männergruppen habe es sich herumgesprochen, dass die 15-Jährige allein unterwegs sei.
Auf dem Weg zu einem Bahnhof sei sie verfolgt worden. Die Jugendliche sei in Panik weggelaufen und schließlich auf eine Gruppe gestoßen, die ihren Zustand erkannt und die Polizei verständigt habe.
Das Gericht entsprach im Wesentlichen der Strafforderung der Staatsanwaltschaft. Die insgesamt 20 Verteidiger hatten für alle Angeklagten Freispruch gefordert. Der Prozess hatte am 10. Mai vergangenen Jahres begonnen. Er dauerte 68 Verhandlungstage, das Gericht hörte 96 Zeugen und mehrere Sachverständige.
"Das war ein Mammut-Indizienprozess, bei dem lange nicht klar war, was in der Nacht vom 19. zum 20. September 2020 geschehen war", sagte die Vorsitzende Richterin. Der Prozess fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, nur zu Teilen der Urteilsverkündung waren Zuschauer zugelassen.
Vom ersten und letzten Tatgeschehen seien zwei Videos gemacht worden, die aber beide unwiederbringlich gelöscht worden seien. Jedoch hätten Zeugen die Aufnahmen gesehen und dazu ausgesagt.
Eigentliche Tatzeugen habe es jedoch nicht gegeben. Von den neun verurteilten Angeklagten seien Spermaspuren auf der Kleidung der Nebenklägerin gefunden worden, sagte Meier-Göring. Doch diese Spuren sagten nichts darüber aus, ob der Sex - wie von den Angeklagten behauptet - einvernehmlich gewesen sei.
Vor allem die männlichen Verteidiger hätten dem Gericht vorgeworfen, es lasse sich von Gefühlen und seinen moralischen Ansichten beeinflussen. "Selbstverständlich beruhen die heutigen Schuldsprüche nicht auf Gefühlen und Moralvorstellungen", betonte Meier-Göring. Seit November 2016 gebe es eine neue Gesetzeslage im Sexualstrafrecht. Wenn es Zweifel an der Zustimmung einer Person gebe, mache man sich mit sexuellen Handlungen strafbar.
Kein Wort des Bedauerns seitens der Angeklagten
Von den zehn Angeklagten haben nach Angaben eines Gerichtssprechers fünf die deutsche Staatsangehörigkeit, unter den übrigen sind ein Syrer, ein Montenegriner, ein Kuwaiter, ein Afghane und ein Armenier. Alle seien lange genug in Deutschland sozialisiert worden, um das Unrecht ihrer Taten zu verstehen, erklärte Meier-Göring. Sie kritisierte zugleich das Verhalten der jungen Männer im Prozess: "Keiner der Angeklagten hat ein Wort des Bedauerns über die Lippen gebracht." (Bernhard Sprengel, dpa/ank)
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