Arabische Clans agieren vor allem in Berlin in einer eigenen rechtsfreien Parallelwelt. Wir schauen auf die Wurzeln dieser Clans, wie gefährlich sie wirklich sind und warum die deutsche Strafverfolgung oft an ihre Grenzen stößt.
Die Berliner Polizei steht seit Wochen unter Druck. Arabische Clans sollen versuchen, die Behörde zu unterwandern. So lautet der Vorwurf, den neben unbekannten Quellen in anonymen Hinweisen zuletzt auch die Deutsche Polizeigewerkschaft erhoben hatte.
Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft, Bodo Pfalzgraf, hatte im November im Morgenmagazin von ARD und ZDF davon gesprochen, dass es "deutliche Hinweise" gebe, dass versucht werde, Clan-Mitglieder in die Polizei einzuschleusen.
Dabei achte man darauf, dass diese unauffällig blieben und nicht straffällig würden.
Polizeipräsident wehrt sich gegen Verdacht
Ein Verdacht, den der Polizeipräsident der Hauptstadt, Klaus Kandt, entschieden zurückweist. "Die Behauptung ist definitiv falsch", wehrte sich Kandt in einer Sondersitzung des Innenausschusses im Abgeordnetenhaus.
Ungeachtet dieser Worte warnt Michael Böhl vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BdK) auch weiterhin eindringlich. "Oberstaatsanwalt Sjors Kamstra, der für die Organisierte Kriminalität zuständig ist, hat schon auf dem Landesdelegiertentag des BdK 2013 gesagt, dass die Organisierte Kriminalität in der Polizei, der Justiz und in der Politik angekommen sei", erzählt der Kriminalhauptkommissar im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Clans würden schauen, wo Schwachstellen sind, erklärt er. "Die Frage ist, wie gut unsere Verteidigungslinie ist?"
Sind die arabischen Clans in der Hauptstadt also viel mächtiger, als die Berliner Polizei eingesteht?
"Die Polizei Berlin ermittelt gegen einzelne strafrechtlich auffällig gewordene Personen oder Gruppierungen, unabhängig von einer etwaigen Familienzugehörigkeit", erklärt die Behörde auf Nachfrage.
"Es obliegt der Polizei Berlin nicht, Familienstrukturen zu erforschen oder statistisch zu erfassen. Darüber hinaus findet der Begriff 'Clan' in der Polizei Berlin keine Verwendung."
Von 649 Tatverdächtigen in der Organisierten Kriminalität 2016 ist die Rede - von Clans oder gar sogenannten Großfamilien nicht.
Polizist: Clans stecken Territorien ab
Der Landesvorsitzende des BdK zeichnet ein ganz anderes Bild. "Sie waren jahrelang dominierend in Berlin. Bis heute sind die Territorien abgesteckt. Es gibt Straßen, da kommen sie mit zwei Polizisten und einem Streifenwagen nicht durch", erzählt Böhl.
Wenn Kollegen vor einem Lokal ein Fahrzeug überprüften, seien sie nicht selten binnen kurzer Zeit von 40, 50 Leuten umringt, erklärt er.
"Es werden mehrere Streifenwagen zur Verfügung gehalten. Oft rücken zwei Gruppeneinsatzwagen mit 16 Beamten an. Die Kollegen überlegen sich zweimal, ob sie dort jemanden wegen einer Ordnungswidrigkeit überprüfen. Sie wissen: Die Lage könnte schnell eskalieren."
Der Anspruch der Clans sei es, "dass das ihre Straßen sind, wo wir nichts verloren haben", erzählt er.
Doch woher kommen diese Clans? Der Migrationsforscher Ralph Ghadban hat sich ausführlich mit ihrer Herkunft beschäftigt.
"Sie sind hauptsächlich in den 1940er Jahren aus Südostanatolien in den Libanon emigriert, etwa 80 Prozent der Leute aus der Region Mardin", erzählt der Islamwissenschaftler im Gespräch mit unserer Redaktion.
Clan-Wurzeln liegen im Libanon
Im Libanon wurden die sogenannten Mahallamis aber nicht akzeptiert. Aus diesem Grund hätten sie sich in Ghettos zurückgezogen, so Ghadban.
"1975, mit Beginn des Libanon-Kriegs, sind viele dann nach Deutschland ausgewandert." Eine klare Identität hätten sie aber nicht.
"Die Kurden betrachten sie als Araber, die Araber betrachten sie als Kurden. Das hat sie gezwungen, enger zusammenzurücken", schildert Ghadban. "Deshalb sind die Clan-Verhältnisse so stark ausgeprägt."
"Als sie aus dem Libanon kamen, haben viele von ihnen ihre Pässe verloren." Die Großfamilien seien nur schwer einzugrenzen. "Niemand kennt ihre genaue Größe. Eine Familie hat im Schnitt über acht Personen. Familien mit zwölf, 14, sogar 16 Kindern sind keine Seltenheit", sagt der Experte.
In Berlin lebten viele von ihnen heute nach ihren eigenen Regeln. "Sie haben ihr eigenes Wertesystem. Das ist insbesondere in Berlin möglich, weil wir dort eine multikulturelle Stadtgesellschaft vorfinden", meint Ghadban und spricht wörtlich von einer Erpressung des deutschen Staates.
Al-Zein, Abou Chaker, Remmos
Al-Zein-Clan, Abou Chaker, Remmos – so heißen die bedeutendsten Clans laut Kriminalhauptkommissar Böhl. "Auch der sogenannte Miri-Clan aus Bremen gehört dazu, der langsam nach Berlin kommt."
Beginnend vor etwa zehn Jahren hätten sich diese Clans zunehmend unbegleiteten Jugendlichen aus Krisengebieten angenommen, die nach Deutschland eingereist seien, erklärt er. "Sie gehörten fortan zur Familie. Auch seit der Flüchtlingskrise wird mitunter behauptet, dass es sich um Familienangehörige handelt. Deshalb sind die Clans viel größer als angenommen."
Natürlich sei nicht jeder in diesen Großfamilien kriminell, meinen Ghadban und Böhl unisono.
Den kriminellen Clan-Mitgliedern würden aber schwere Straftaten zugeordnet. "Wenn es sich lohnt, wird es gemacht: Drogenhandel, Schutzgelderpressung, Betrug, Menschenhandel. Das Geld wird dann ‚gewaschen‘, etwa in Immobilien angelegt", erklärt Böhl.
Der Rauschgifthandel stünde an erster Stelle, vor allem mit Heroin und Opiaten. Am radikalsten würden Konflikte untereinander geführt.
"Wird die Ehre befleckt, geht es ganz schnell bis hin zum Schusswaffengebrauch in der Öffentlichkeit. Da gibt es wiederum die 'Friedensrichter', die das wieder geraderücken.
Die Clans akzeptieren unsere freiheitlich demokratische Grundordnung und den Rechtsstaat nicht. Bei ihnen gilt das Recht des Stärkeren", erzählt er.
Einfach abgeschoben werden könnten die Straftäter jedoch nicht, weil viele mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft hätten. "Und die, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben und staatenlos sind, nimmt uns auch keiner ab", sagt er.
Soll ihnen Einhalt geboten werden, müsste ihr Geschäftsmodell getroffen werden, meint Böhl. Mit dem Geldwäschegesetz müssten sie beispielsweise nachweisen, woher das Geld kommt.
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