- Mit Halbwahrheiten und alternativen Fakten zu Corona verdoppelte der österreichische Sender Servus TV seine Reichweite binnen kurzer Zeit.
- Finanziert wird der Sender von Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz, dem reichsten Mann des Landes.
Es gibt einige Menschen in Österreich, Deutschland und der Schweiz, die in dem Multimilliardär Dietrich Mateschitz einen Retter der Pressefreiheit sehen. Der Gründer des Energydrink-Herstellers Red Bull finanziert den privaten Fernsehsender Servus TV, der als einzige große Fernsehanstalt im deutschsprachigen Raum die staatlichen Corona-Maßnahmen - Maskenpflicht, Impfungen und Lockdowns - grundsätzlich infrage stellt.
Dietrich Mateschitz stand mit der Pressefreiheit bereits auf Kriegsfuß
In der Vergangenheit stand der 77 Jahre alte Unternehmer, der mit einem geschätzten Vermögen von 23 Milliarden Euro als reichster Mann Österreichs gilt, mit der Pressefreiheit auf Kriegsfuß. Etwa als der Investigativ-Journalist Michael Nikbakhsh für eine Biografie in
Mateschitz ließ dem ihm lästigen Aufdecker damals eine Warnung zukommen: "Solange eine Kniescheibe in Moskau 500 Dollar kostet, werden Sie nicht sicher sein." Später entschuldigte er sich dafür: mit einem Brief an Nikbakhshs geheime Wohnadresse.
Und ausgerechnet am "Tag der Pressefreiheit", dem 3. Mai 2016, kündigte Mateschitz an, mehr als 200 Journalistinnen und Journalisten von Servus TV vor die Tür zu setzen und den Sender zu schließen. Sie hatten den Eigentümer damals mit der Ankündigung erzürnt, einen Betriebsrat zu gründen.
Erst als sie sich von diesem Vorhaben distanziert und sich entschuldigt hatten, ließ sich Mateschitz erweichen. Servus TV blieb auf Sendung - wenn auch mit einem neuen Konzept. Denn mit dem damals neu eingesetzten Intendanten Ferdinand Wegscheider schlug der 2009 gegründete Kanal einen härteren Kurs ein.
Aus einem Nischensender, der mit hochwertig produzierten Naturdokumentationen aus aller Welt dem öffentlich-rechtlichen ORF Konkurrenz machen wollte, wurde ein Medium mit spürbarem Rechtsdrall. "Mit Wegscheider nahm Servus TV Schritt für Schritt pointiert rechte Positionen ein. Erst beim Thema Migration und Flüchtlinge. Dann kam Corona", sagt der Publizist und Medienexperte Peter Plaikner im Gespräch mit unserer Redaktion.
Der deutsch-thailändische Mediziner und Impfgegner Sucharit Bhakdi war phasenweise Stammgast in der Diskussionssendung "Corona-Quartett". "Es gibt keine Epidemie oder Pandemie mehr. Das ist die einfache Tatsache. Und deswegen muss alles jetzt aufhören", erklärte Bhakdi etwa Anfang 2021. Inzwischen wird er nach explizit antisemitischen Äußerungen in einem Interview mit einem Querdenker-Medium nicht mehr eingeladen. Auch bei Servus TV gibt es eine Grenze.
Servus TV wird zum reichweitenstärksten Privatsender in Österreich
Dafür geht Intendant Ferdinand Wegscheider in seinem samstäglichen Wochenrückblick in die Vollen: Impfungen nennt er "Genspritzmittel", andere Journalisten "gedungene Lohnschreiber". Die Pandemie sei eine "Plandemie", orchestriert von finsteren Kräften, raunt Wegscheider: "Wer hat die Macht, weltweit Regierungen, Ärzte und Medien zu dirigieren und gemäß seinen Planspielen Lockdowns und Zwangsimpfungen zu verfügen?"
Mit solchen Tabubrüchen wurde Servus TV zum reichweitenstärksten Privatsender Österreichs. Auch in Deutschland und der Schweiz steigen die Zuseherzahlen. Manche in der Alpenrepublik sorgen sich bereits, dass Servus TV zu einem österreichischen "Fox News" werden könnte - dem für Fake News berüchtigten Haus- und Hofsender des abgewählten US-Präsidenten Donald Trump.
Dass es vor allem Servus-TV-Chef Ferdinand Wegscheider mit der Wahrheit mitunter nicht sehr ernst nimmt, hat der renommierte Wiener "Presseclub Concordia" in einer Sachverhaltsdarstellung an die Medienaufsichtsbehörde KommAustria detailliert dargelegt. Demnach hat Wegscheider etwa wahrheitswidrig behauptet, dass das Entwurmungsmittel Ivermectin "erfolgreich gegen COVID-19 Anwendung findet", dass durch mRNA-Impfstoffe eine "Genveränderung" bewirkt werde und dass diese nur durch "Notzulassung" bewilligt worden seien.
All das ist nachweislich falsch. "Viele Äußerungen sind entweder unzureichend recherchiert, stützen sich auf tatsachenwidrige Grundlagen, beschränken sich überhaupt auf bloße Aussagen ohne erkennbare Tatsachengrundlage oder sind schlichte Polemik", heißt es in der Sachverhaltsdarstellung. Mit einer Stellungnahme der Medienaufsichtsbehörde ist in den kommenden Wochen zu rechnen.
Berichterstattung anderer Medien erinnert Wegscheider an "totalitäre Staaten"
Dass eine Rüge von oben oder der Entzug von Förderungen Wegscheider zum Umdenken bringt, darf bezweifelt werden. In einem Interview mit der Austria Presse Agentur (APA) präsentierte er sich im Sommer als einsamer Rufer in der Wüste: Die Berichterstattung der anderen Medien erinnere ihn an "totalitäre Staaten", in denen kritische Wissenschaftler als "Quacksalber oder Spinner" verunglimpft würden.
Mit dieser Positionierung hat der einst unpolitische Sender ein Alleinstellungsmerkmal im deutschsprachigen Raum gefunden. Servus TV steht zwischen den seriösen Medienhäusern und verschwörungstheoretischen Publikationen der Querdenkerszene. Dort ist die Nachfrage groß.
Das schlägt sich auch in der Reichweite nieder: In Österreich hat der Sender inzwischen einen Marktanteil von 3,7 Prozent. "Seit Wegscheider am Ruder ist, hat der Sender seine Quote verdoppelt", sagt Medienexperte Plaikner. Zugleich verliert der öffentlich-rechtliche Rundfunk Marktanteile. ORF 1 konnte im Vorjahr nur noch knapp mehr als zehn Prozent vor den Bildschirm locken. "Es ist Wegscheiders erklärtes Ziel, ORF 1 zu überholen", sagt Plaikner.
Servus TV als österreichisches Fox News
Auch er sieht die Gefahr, dass der Salzburger TV-Sender zu einem österreichischen Fox News wird - einem Leitmedium für all jene, die sich ihre eigene Corona-Realität erschaffen möchten. Das Potenzial dafür sei in Österreich vorhanden.
Denn Impfgegner und Corona-Verharmloser haben auch in der Politik eine starke Vertretung durch die rechtspopulistische FPÖ und die 2021 gegründete Impfgegner-Partei MFG: Beide zusammen kommen in Umfragen derzeit auf gut 25 Prozent. "Das ist im Grunde das Potenzial der Infoschiene von Servus TV", sagt Plaikner.
Was aber sagt der Eigentümer von Servus TV dazu? Dietrich Mateschitz äußert sich nicht zum umstrittenen Kurs seines Senders. Zu hören ist, dass er mit manchen Aussagen Wegscheiders nicht ganz einverstanden sei. Aber der Konzernlenker meidet die Öffentlichkeit, ebenso seine engsten Vertrauten.
Aus dem Red-Bull-Universum dringt wenig nach außen. Wer etwas erzählt, will nicht namentlich genannt werden. Etwa ein Unternehmer, der vor einigen Jahren mit Mateschitz persönlich zu tun hatte.
Er beschreibt den Red-Bull-Chef als älteren Herrn mit unübersehbaren Ressentiments gegen die moderne Welt: "Er hat eine gefestigte Meinung davon, wie die Welt funktioniert und wird mit zunehmendem Alter resistenter gegen neue Erkenntnisse." Sein letztes großes Interview gab Mateschitz vor fünf Jahren der "Kleinen Zeitung".
Damals zeigte er Sympathien für
Verwendete Quellen:
- Telefoninterview Peter Plaikner
- Sachverhaltsdarstellung Presseclub Concordia
- Interview Dietrich Mateschitz in der Kleinen Zeitung, 2017 (Bezahlinhalt)
- Die Presse: "Ist Servus TV nicht der Sender der Corona Zweifler?"
- Dossier: "Völlig losgelöst"
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