Am Freitag (11:00 Uhr) wird der diesjährige Friedensnobelpreis vergeben. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist durch ihre Flüchtlingspolitik plötzlich zu einer Favoritin geworden. Dabei wurde sie deswegen gar nicht nominiert. Und viele Experten haben die Kanzlerin überhaupt nicht auf dem Zettel. Wie groß sind Angela Merkels Chancen auf den Friedennobelpreis?
"Die Vereinigen Staaten von Amerika haben die globale Sicherheit über mehr als sechs Jahrzehnte garantiert, mit dem Blut unser Bürger und der Kraft unserer Waffen." Diese Worte sagte
Thomas Held, Geschäftsführer der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF), beschreibt die politisch motivierten Entscheidungen des Nobel-Komitees – zum Beispiel für einen Preis an Obama oder die EU – als die generell eher schlechteren. Nun im Jahr 2015 könnte wieder eine amtierende politische Führungspersönlichkeit den Friedensnobelpreis erhalten: die deutsche Kanzlerin
Friedensnobelpreis für Merkel: Wofür genau?
Abgeordnete der CDU haben Angela Merkel für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Als auszeichnungswürdiges Verdienst nannten die Politiker Merkels Bemühungen um ein Ende des Ukraine-Konflikts. In der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den prorussischen Separatisten und der ukrainischen Armee handelte sie einen Waffenstillstand aus.
Nun fokussiert sich die Argumentation pro Merkel auf ihre Haltung in der aktuellen Flüchtlingskrise in Europa. Merkel setzt sich für größtmögliche Unterstützung für und Solidarität mit den Flüchtlingen ein. Ihr Mantra in der Debatte: "Wir schaffen das."
Wie sind tatsächlich ihre Chancen?
Merkel ist eine von 276 Kandidatinnen und Kandidaten. Aus diesem Pool wählt das Nobelkomitee einen oder mehrere Preisträger. Die Vorschläge müssen bis zum 1. Februar des jeweiligen Jahres eingereicht werden. Sie stammen von frühere Nobelpreisträgern, Organisationen und Regierungen.
Der Ukraine-Konflikt, für dessen Lösung sich die Kanzlerin eingesetzt hat, ist weiterhin ungelöst; der Erfolg von Merkels Engagement also nicht offensichtlich. So ist sie auch nur Favoritin für Kristian Berg Harpviken, den Direktor des Osloer Friedensforschungsinstituts Prio. Harpvikens Urteil ist allerdings fraglich. Seine Favoriten tut er schon seit Jahren kund. Gewonnen haben sie nie.
Wer ist die Konkurrenz?
Eine verlässliche Quelle für Favoriten auf den Preis ist Nobeliana. Der Zusammenschluss von norwegischen Geschichtsforschern hatte schon oft die richtige Vermutung für den Preisträger. Nobeliana forscht fast ausschließlich zum Friedensnobelpreis. Auf ihrer Homepage nennen die Wissenschaftler beispielsweise das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen UNHCR als Favoriten. Auch Mussie Zerai werden gute Chancen eingeräumt. Der 40-jährige Priester aus Eritrea hat zahllose Flüchtlinge vor der Küste Lybiens vor dem Tod durch Ertrinken bewahrt und auch das UNHCR kümmert sich um afrikanische Flüchtlinge.
Die russische Zeitung "Nowaja Gaseta" ist für Nobelia ebenfalls ein Favorit, da sie sich als eines der wenigen oppositionellen Medien immer noch gegen die russische Regierung positioniert. Auch Thomas Held von der DSF meint: "Man sollte in diesem Kontext einen Preis eher an die Leute verleihen, die sich seit Jahren engagieren. Es gibt Organisationen, die viel mehr Unterstützung benötigen als die deutsche Kanzlerin – und die ohne staatliche Hilfe Enormes in der Flüchtlingspolitik leisten."
Dennoch sei ihr Handeln eine große humanitäre Geste, so Held weiter. Bei Buchmachern wie Ladbrokes lag die Kanzlerin am Vorabend der Verkündung auf Platz eins. Andere Wettanbieter sehen andere Kandidaten vor Merkel. Denis Mukwege zum Beispiel, ein Arzt aus dem Kongo, der vergewaltigten Frauen hilft. Auch Whistleblower Edward Snowden, Papst Franziskus, der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos oder Rodrigo Londono, der Anführer der Farc-Rebellen, rangieren vor der Kanzlerin.
Was würde der Preis für Merkel politisch bedeuten?
Die politische Bedeutung einer möglichen Friedensnobelpreis-Auszeichnung für Angela Merkel ist fraglich. Einerseits befindet sich die Kanzlerin eher im Herbst ihrer politischen Karriere. Im Gegensatz dazu konnte der sich erst frisch im Amt befindliche US-Präsident Obama den Preis als Ermutigung und Aufwind für seine Amtszeit verstehen.
Erst im Nachhinein sollte sich der Friedensnobelpreis für Obama als Bürde erweisen: Nahezu seine komplette Präsidentschaft wurde von kriegerischen Auseinandersetzungen begleitet, die Bürgerkriege in Libyen und Syrien beispielsweise oder die zahlreichen Terrorakte in den oder gegen die USA.
Allerdings: Angela Merkel könnte durch eine Auszeichnung unter Umständen Aufwind im Konflikt mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer bekommen. "Ein Friedensnobelpreis würde Angela Merkel sicherlich Rückendeckung für ihr Vorgehen geben, auch auf europäischer Ebene," sagt Held. Doch seiner Einschätzung zufolge wird die Wahl nicht auf Angela Merkel fallen: "Sie wird den Friedensnobelpreis in diesem Jahr nicht bekommen, denn dafür ist ihr Engagement in der Flüchtlingsfrage zu kurzfristig."
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