Zwei Tote und ein Milliardenschaden: Mehr als neun Jahre ist der Einsturz des Kölner Stadtarchivs her. Nun ist das Urteil gesprochen. Aber hat die Stadt das Trauma damit verwunden?
Die Bilder des eingestürzten Kölner Stadtarchivs gingen um die Welt: ein klaffendes Loch in der Häuserzeile, ein riesiger staubender Trümmerberg. Darunter begraben: zwei junge Männer und unzählige historische Dokumente.
Neuneinhalb Jahre später nun das Urteil: acht Monate auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung für einen Bauüberwacher der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB). Und Freispruch für die drei anderen Angeklagten - eine KVB-Überwacherin und zwei Mitarbeiter von Baufirmen.
Einsturzursache "zweifelsfrei" geklärt
Er sei froh, dass der Prozess eines "eindeutig und zweifelsfrei" geklärt habe, sagt der Vorsitzende Richter Michael Greve am Freitag im Kölner Landgericht: nämlich die Einsturzursache. Es sei nun ganz klar, dass Fehler bei den Bauarbeiten für eine neue U-Bahn-Haltestelle unmittelbar vor dem Archivgebäude zu dem Unglück im Jahr 2009 geführt hätten.
Was man nicht eindeutig habe feststellen können, sei hingegen, wer dies im Einzelnen zu verantworten habe. "Es steht leider zu befürchten, dass dieser Punkt nie zweifelsfrei geklärt werden wird und die betroffenen Personen ihr Wissen mit ins Grab nehmen werden."
Bei den beiden freigesprochenen Mitarbeitern der Baufirmen sei es zum Beispiel so, dass sie zwar ihre Sorgfaltspflicht verletzt hätten. Es sei aber nicht zu beweisen, dass dies für den Einsturz wirklich maßgeblich gewesen sei.
Greve bestritt, dass die Justiz hier "die Großen laufen lässt und die Kleinen hängt". Man müsse relevantes Fehlverhalten eben auch immer in jedem Einzelfall beweisen können, und das sei sehr schwierig.
Wer jetzt härtere Strafen fordere, solle sich mal fragen: Habe ich in meinem Berufsleben nicht auch mal einen gravierenden Fehler gemacht - nur eben nicht mit so katastrophalen Folgen wie hier?
Archiv wird "Boden unter den Füßen" entzogen
Das Unglück selbst ist nach Überzeugung des Gerichts so abgelaufen: Beim Aushub der Grube stoßen Arbeiter 2005 auf einen Gesteinsblock. Er lässt sich nicht beseitigen, die Greifzähne des Baggers brechen ab - und so bleibt das Hindernis schließlich einfach im Boden.
Dadurch entsteht in einer unterirdischen Betonwand, die dort gebaut wird, eine undichte Stelle. Am 3. März 2009 passiert es plötzlich: Schlagartig brechen große Mengen Sand und Wasser durch das Loch in die Baugrube.
Dem sechsstöckigen Archiv wird - so Richter Greve - "förmlich der Boden unter den Füßen" entzogen. Mitsamt zweier Nachbarhäuser fällt es um.
Für zwei Bewohner kommt jede Hilfe zu spät: Ihre Leichen werden später unter meterhohem Schutt gefunden - der eine von ihnen starb wohl erst nach Tagen.
Zwei Dutzend Menschen entgehen nur knapp dem Tod, 36 Anwohner verlieren ihre Wohnungen. 30 Regalkilometer Akten sind verschüttet - darunter wertvolle Dokumente wie die Nobelpreisurkunde von Heinrich Böll und die Kölner Ratsprotokolle seit dem Mittelalter.
Die Stadt Köln beziffert den Gesamtschaden auf 1,2 Milliarden Euro.
"Da mussten ein paar Sündenböcke her"
Wer den letztlich bezahlen muss, könnte eines Tages Thema eines Zivilprozesses werden. Dieses Verfahren wäre aber völlig unabhängig von dem jetzt zu Ende gegangenen Strafprozess.
Der seit Januar laufende Prozess stand unter Zeitdruck, weil im März 2019 die Verjährungsfrist endet. Immerhin konnte er nun noch rechtzeitig abgeschlossen werden.
Ist das Einsturztrauma damit bewältigt? "Ich habe das Gefühl, da saßen die Falschen auf der Anklagebank, ein wenig wie bei der Love Parade in Duisburg", meint Frank Deja von der Bürgerinitiative "Köln kann auch anders". "Da mussten ein paar Sündenböcke her."
Von ursprünglich über 70 Beschuldigten der Staatsanwaltschaft war zuletzt nur gut eine Handvoll übrig geblieben. Darunter auch ein Polier, der wegen Krankheit verhandlungsunfähig ist.
"Da ist die Verantwortung immer weiter nach unten weitergereicht worden", sagt Deja. Auch Stephan Grünewald, Psychologe und Leiter des Marktforschungsinstituts Rheingold in Köln, hat nicht den Eindruck, dass der Prozess die Kölner noch stark bewegt hat.
"Das Paradoxe ist: Je stärker man in die Einzelheiten dieses Einsturzes einsteigt, desto komplizierter wird es", meint der Autor des Buches "Köln auf der Couch". "Je genauer man hinschaut, desto mehr kriegt man's mit der Angst zu tun. Und diese Abgründigkeit, die will man sich lieber vom Leib halten."
Der Einsturz selbst habe eine dauerhafte Narbe in der Kölner Geschichte hinterlassen: "Das schlafwandlerische Vertrauen in die Mutterstadt Köln wurde erschüttert, weil man auf einmal die Bodenlosigkeit spürte." © dpa
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