Die Frustration unter den Klimaaktivisten wächst - und mit ihr der zivile Ungehorsam. Das birgt Gefahren für die Protestbewegung.
Es könnte ein heißer Herbst werden, und das nicht nur wegen der direkten Folgen des Klimawandels. Je größer der Umweltprotest auf deutschen Straßen wird, desto mehr bekommen ihn die Bürger hautnah zu spüren. Vor einer Woche legten Aktivisten im Rahmen des globalen "Klimastreiks" in mehreren Großstädten den Verkehr lahm und verärgerten Autofahrer von Stuttgart bis Berlin. In Hamburg rückten gar Wasserwerfer an, auch wenn sie nicht zum Einsatz kamen. In Frankfurt drangen Protestierer in die Paulskirche ein. In Stuttgart blockierten Anhänger einer antikapitalistischen Untergruppe eine Filiale der Deutschen Bank.
Auch abseits der Großdemos nimmt der zivile Ungehorsam im Namen des Klimakampfes im Land zu. Aktivisten von "Sand im Getriebe" blockierten in Frankfurt vor kurzem den Haupteingang der IAA und schmierten Parolen auf die Straße. Am Stuttgarter Flughafen warfen Klimademonstranten Papierflieger durch die Schalterhalle. Im Münchner Stadtteil Schwabing wurde eine zweistellige Zahl an Geländewagen vor kurzem mit Stickern beklebt ("Du stinkst!"). "Das ist für uns ein neues Phänomen", sagt ein Münchner Polizeisprecher.
Brandanschläge auf Berliner Bahnanlagen
Teilweise gehen Aktionen im Namen des Klimaschutzes noch weiter. Nach Brandanschlägen auf Berliner Bahnanlagen vor wenigen Tagen tauchte ein mögliches Bekennerschreiben im Netz auf, das ebenfalls auf eine Klimaaktion hindeutet. "Zu einem richtigen Generalstreik gehören auch Blockaden und feurige Sabotageaktionen", heißt es darin. Wie viel Aggressionspotenzial steckt im Kampf fürs Klima?
Die von der schwedischen Aktivistin Greta Thunberg angestoßene Bewegung Fridays for Future setzt die Politik gehörig unter Druck. Der Protest blieb bislang weitgehend friedlich. Schüler und Studenten tanzen, trommeln, singen, hüpfen seit Monaten im Kampf gegen die drohende Klimakatastrophe. Mit fantasievollen Slogans ("Dieser Planet wird heißer als mein Freund", "Kurzstreckenflüge nur für Bienen") wecken sie öffentlich Sympathien.
Gleichzeitig wächst die Enttäuschung und der Frust unter den Aktivisten. Nach Angaben der Veranstalter demonstrierten vor einer Woche 1,4 Millionen Menschen in Deutschland. Die Regierung legte zeitgleich Eckpunkte für mehr Klimaschutz vor - die Bewegung sprach im Anschluss von einem "Schlag ins Gesicht". Je mehr Zeit ins Land zieht, ohne dass die mitunter radikal anmutenden Forderungen umgesetzt werden, desto radikaler könnte die Bewegung selbst werden.
Klimaprotest: Es gibt keine einheitliche Position
Carla Reemtsma ist bundesweit eines der bekanntesten Gesichter der Fridays-for-Future-Bewegung. Die Schärfe des Protests sei immer wieder Thema in der Bewegung, sagt sie. Es gebe keine einheitliche Position. Insgesamt wolle man sich weiter auf den Schulstreik beschränken. Die 21-jährige Politikstudentin hat nach eigenen Angaben aber Verständnis für Leute, die nun seit acht oder neun Monaten auf der Straße streiken und merken, dass klimapolitisch nichts passiert. "Wir sind solidarisch mit Leuten, die zivilen Ungehorsam einsetzen, um die Vehemenz zu erhöhen", sagt sie.
Die Klimaaktivisten von Fridays for Future sympathisieren mit Gruppen wie Extinction Rebellion ("Aufstand gegen das Aussterben"), die sich an Gebäude ketten und Straßen blockieren. Aber auch freundliche Blockaden könnten dem Image schaden und Unterstützer verschrecken. Wie lange lassen sich Autofahrer, die im Feierabendverkehr feststecken, mit Keksen und warmen Worten besänftigen? Es sei nicht auszuschließen, dass der Druck auf der Straße zunehme, sagt Reemtsma - auch wenn man damit öffentliche Sympathien verspiele.
Auch andere Gruppen springen mit auf
"Die Ungeduld wächst und ist nach den Vorschlägen des Klimakabinetts auf einem Höhepunkt angekommen", sagt Simon Teune vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin. Die Frustration könne sich in unterschiedliche Richtungen entwickeln. "Entweder Demobilisierung - oder man fühlt sich nochmal umso mehr angespornt, den Druck auf die Entscheidungsträger zu erhöhen. Das ist die wahrscheinlichere Entwicklung."
Dabei springen auch andere Gruppen auf den Protestzug auf. Die Interventionistische Linke (IL) hatte für den "Klimastreik" vor einer Woche "Verkehrsblockaden und radikale Aktionen" in mehreren Städten angekündigt. Die Gruppe habe bereits mehrfach versucht, im Fahrwasser der Fridays-for-Future-Proteste das Thema Klimaschutz für sich zu instrumentalisieren, warnte der Hamburger Verfassungsschutz. Es ginge "um den Anschluss und die "Scharnierfunktion" linksextremistischer Gruppen an das bürgerliche Spektrum, um dieses anschließend zu radikalisieren".
Das sei Alarmismus und die Deutung von Verfassungsschützern und konservativen Kreisen, die versuchten, Teile der Bewegung für illegitim zu erklären, kritisiert Protestforscher Teune. Die radikale Linke sei seit jeher Teil der Klimabewegung. Für die Kapitalismuskritiker sei eben die ausbeuterische Weltwirtschaft Schuld am Klimawandel. Fridays-for-Future-Aktivistin Reemtsma sieht keine Gefahr der Unterwanderung durch linksradikale Kräfte. Fridays for Future sei eine überparteiliche und breite Bewegung. "Das stärkt die Abwehrkräfte - je breiter wir sind, desto schwieriger wird es, in die eine oder andere Ecke gestellt zu werden." (dpa/fra)
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