Wie sicher sind deutsche Hochhäuser? Nach der Feuerkatastrophe im Londoner Grenfell-Tower hat die Politik in Deutschland eine großflächige Überprüfung auch hierzulande angekündigt. Geschehen ist das allerdings bislang nur in wenigen Städten. Dabei lauern Gefahren nicht nur in Hochhäusern, sondern auch in kleineren Gebäuden, warnen Experten.
In deutschen Hochhäusern gibt es Mängel beim Brandschutz. Doch Bundesländer und Kommunen gehen die Probleme teils halbherzig oder gar nicht an.
Zu diesem Ergebnis kommen Recherchen des ZDF-Magazins "Frontal 21". Anfragen bei den 40 größten deutschen Städten ergaben, dass nur rund die Hälfte der Städte Überprüfungen von Hochhäusern veranlasst haben.
Genauer hingeschaut haben unter anderem Hamburg, Mainz, Frankfurt, Dortmund und Braunschweig. Dort wurden bei einer Reihe von Gebäuden über einer Höhe von 22 Metern brennbare Materialien in den Fassaden gefunden und Sanierungen in die Wege geleitet.
Berlin, München, Köln, Düsseldorf, Stuttgart, Essen und Leipzig haben bisher auf eine Prüfung verzichtet. Einigen Ländern und Kommunen war nicht einmal die Anzahl der Hochhäuser bekannt.
Und das obwohl Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) nach der Feuerkatastrophe im Londoner Grenfell-Tower mit 71 Toten im Sommer 2017 eine Reaktion der Behörden angekündigt hatte.
"Kein flächendeckendes Problem mit Hochhausfassaden"
Die Gesetze, Vorschriften und technischen Standards seien in Deutschland ausreichend, um Hochhäuser und ihre Bewohner im Brandfall gut zu schützen und den Feuerwehren wirksame Löscharbeiten zu ermöglichen, sagt Jochen Stein, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren im Gespräch mit unserer Redaktion.
"In der Ausführung kann man im Einzelfall allerdings auch immer wieder schwerwiegende Mängel feststellen. Wir haben bisher jedoch keine Erkenntnisse, dass in Deutschland ein flächendeckendes Problem mit den Hochhausfassaden besteht", so Stein.
In Deutschland gibt es seit 2008 eine Muster-Hochhaus-Richtlinie. Darin wird festgelegt, dass Außenwände von Hochhäusern komplett aus nicht brennbaren Baustoffen bestehen müssen.
Sie benötigen einen zweiten Fluchtweg, Steigleitungen und Pumpen, die Löschwasser in höhere Stockwerke transportieren, sowie eine unabhängige Notstromversorgung.
Hinzu kommen strengere Vorschriften zu Sprinkleranlagen und Rauchwarnmeldern. Alles, was vor 2008 geschah, lag in der Zuständigkeit der Länder - und wurde im Geiste des Föderalismus uneinheitlich regelt.
Lücke im Bauordnungsrecht
Beispiel Nordrhein-Westfalen. Im bevölkerungsreichsten Bundesland stehen gegenwärtig 2.396 Hochhäuser. Dort wurde die erste Hochhausverordnung 1986 erlassen. Brennbare Baustoffe an Gebäuden bis zu einer Höhe von 60 Metern waren darin mit Einschränkungen noch erlaubt.
Bei vielen Altbauten ist dagegen oft gar nicht bekannt, welche Fassadenbestandteile oder Dämmstoffe verbaut wurden.
In Wuppertal und Dortmund mussten in den vergangenen Monaten Häuser evakuiert werden. In Wuppertal, weil die Behörden genauer hinschauten, in Dortmund nur durch einen Zufallstreffer.
"Es kann nicht sein, dass solche Probleme dem Zufall überlassen werden", kritisiert Tobias Scholz vom Mieterbund Dortmund im "ZDF".
Beispiel Hamburg. Bei "Frontal 21" wird der Fall eines Hochhauses geschildert, bei dem der Brandschutz-Sachverständige Tim Wackermann leicht brennbare Dämmplatten aus Holzspänen entdeckt.
Das Problem: "Zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung 1968 gab es eine Bauordnung, die von 1938 stammt - die Baupolizeiverordnung. Die weist nichts Konkretes über Hochhäuser aus.
"Der Experte fordert eine flächendeckende Überprüfung der Brandschutzkonzepte, mit denen die Gebäude genehmigt wurden.
Zudem sei bei den Brandschauen der Feuerwehren keine Fassadenüberprüfung vorgesehen. "Das ist sicherlich eine Lücke im Bauordnungsrecht", kritisiert Wackermann.
Probleme nicht nur bei Hochhäusern
Wie viele Risiko-Hochhäuser in Deutschland stehen, ist unbekannt. In Hamburg wurden bis November 500 von 650 Bauten überprüft. Nur in einem Fall gab es schwerwiegende Mängel.
Stein warnt davor, sich bei der Problemsuche allein auf Hochhäuser zu konzentrieren, da diese eine Minderheit der Gebäude im Land ausmachen.
"Ein verschlossener Notausgang einer Diskothek oder eine nicht funktionsfähige Sprinkleranlage in einem Geschäftshaus kann zu ähnlichen Opferzahlen wie beim Hochhausbrand in London führen", sagt der Brandexperte.
Der Berliner Landesbranddirektor Wilfried Gräfling sieht das Hauptproblem ebenfalls nicht bei Hochhäusern. Er kritisierte im "rbb", dass bei Gebäuden unter 22 Metern Höhe brennbares Material zur Dämmung verwendet werden darf. "Das ist uns schon ein Dorn im Auge, das müssen wir wirklich sagen."
Ein Brandschutzsachverständiger, der namentlich nicht genannt werden will, teilte unserer Redaktion mit: "Die Dämm-Lobby ist zu stark und verhindert ein entsprechendes Vorgehen."
Sanierungskosten sehr unterschiedlich
Dabei ist effektiver Brandschutz nicht unbedingt teuer. "Er beginnt damit, dass alle Brandschutzvorschriften eingehalten werden müssen", sagt Jochen Stein.
"Die beste Fassade nützt nichts, wenn Rettungswege versperrt oder mit brennbaren Materialien voll gestellt sind oder die Frühwarnung der Bewohner bei einem Brandfall nicht gegeben ist."
Auch bei der Anlage des Gebäudes in Bezug auf Rettungswege und Grundrissgestaltung könne viel Brandsicherheit ohne Mehrkosten geschaffen werden. Je nach Gebäudeart und -konstruktion macht der Brandschutz einige wenige Prozent der Bausumme aus.
Sanierungen können dagegen durchaus teuer werden. Was die Erneuerung der Häuser in Dortmund und Wuppertal gekostet hat, ließ sich nicht ermitteln.
In London hätte die feuerfeste Sanierung des Grenfell-Towers nur 5.000 Euro mehr betragen als jene Umbauten, die 2014 bis 2016 erfolgten. Als 2014 das Bayer-Hochhaus in Uerdingen wegen Brandschutzmängeln geräumt werden musste, war von Sanierungskosten von 10 Millionen Euro die Rede.
Allerdings mussten dort aufwändigere Arbeiten wie der Einbau eines zweiten Treppenhauses erfolgen.
Was wollen die Feuerwehrverbände angesichts der bestehenden Mängel nun tun? Man habe gegenüber dem Gesetzgeber mit einem Positionspapier darauf hingewiesen, dass noch Nachholbedarf im Brandschutz bestehe, sagt Jochen Stein von der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren.
"Das betrifft aber nicht die Hochhausfassaden, sondern die brennbaren Wärmedämmfassaden bei den normalen Gebäuden."
Die Macher von "Frontal 21" ermahnen alle Verantwortlichen in ihrem Schlussfazit zum Handeln: "Brennbare Fassaden, ungeprüfte Hochhäuser - für den Brandschutz in Deutschland bleibt viel zu tun."
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