Wer stellt jemanden ein, in dessen Zeugnis steht: "Auf die Bewertung von Rechtschreibung wurde verzichtet"? Drei ehemalige Abiturienten aus Bayern mit einer Lese-Rechtschreib-Störung sind deswegen vor das höchste deutsche Gericht gezogen. Das hat nun ein Urteil gesprochen.
Wenn in der Schule bestimmte Teilleistungen wie etwa die Rechtschreibung nicht benotet werden, darf das im Zeugnis vermerkt werden. Im Abiturzeugnis ist das grundsätzlich sogar geboten, wie das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch in Karlsruhe entschied. Allerdings dürfe der Hinweis nicht nur bei der Lese- und Rechtschreibstörung Legasthenie erfolgen. Sonst würden legasthene Schülerinnen und Schüler benachteiligt. (Az. 1 BvR 2577/15 u.a.)
Legasthenie gilt als Form von Behinderung
Legasthenie ist der Weltgesundheitsorganisation zufolge eine Entwicklungsstörung, die nichts mit verminderter Intelligenz zu tun hat. Betroffene lesen deutlich schlechter und langsamer als andere Menschen, außerdem machen sie oft mehr Fehler bei der Rechtschreibung. Das Bundesverfassungsgericht betonte nun, dass Legasthenie eine Behinderung ist. Sie beruhe auf einer messbaren neurobiologischen Hirnfunktionsstörung, halte meist lebenslang an und schränke Betroffene ein.
Damit sie ihr Potenzial trotzdem ausschöpfen können, werden Kinder und Jugendliche mit der Lese- und Rechtschreibstörung in den Bundesländern auf unterschiedliche Weise unterstützt. Sie haben - wie andere Schülerinnen und Schüler mit Behinderung - einen Anspruch auf einen Nachteilsausgleich. Hier werden die Prüfungsbedingungen verändert, beispielsweise können Betroffene bei schriftlichen Prüfungen etwas mehr Zeit bekommen. Das steht nicht im Zeugnis.
Einige Länder, darunter Bayern, gewähren außerdem auf Antrag den sogenannten Notenschutz. Hier wird der Bewertungsmaßstab verändert, indem die Rechtschreibung nicht bewertet wird oder mündliche Leistungen in den Fremdsprachen stärker gewichtet werden. Dazu gehört aber beispielsweise auch der Verzicht auf Referate bei Hörschädigungen. Notenschutz steht im Zeugnis.
Diskriminierung durch Vermerk im Abiturzeugnis
Drei Abiturienten aus Bayern mit Legasthenie wandten sich an das Gericht. Sie hatten im Jahr 2010 Abitur mit guten bis sehr guten Noten gemacht. In den Zeugnissen wurde vermerkt, dass ihre Rechtschreibung nicht bewertet worden war. Das halten die Männer für diskriminierend. Sie befürchten, dadurch Nachteile auf dem Arbeitsmarkt zu haben.
Der bayerische Verwaltungsgerichtshof verpflichtete den Freistaat dazu, ihnen Abiturzeugnisse ohne den Hinweis auszustellen. Diese Urteile wurden aber später vom Bundesverwaltungsgericht geändert. Dieses erlaubte den Vermerk zum sogenannten Notenschutz. Nun wurden die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts von Karlsruhe aufgehoben, die drei Männer bekommen neue Zeugnisse.
Mit den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts würden die drei Abiturienten wegen ihrer Behinderung benachteiligt, erklärten die Richterinnen und Richter in Karlsruhe. Sie stellten eine Grundrechtsverletzung fest, weil andere Behinderungen damals eben nicht ins Zeugnis geschrieben wurden.
Grundsätzlich sei es im Sinn der Chancengleichheit und Transparenz aber geboten, solche Hinweise ins Abiturzeugnis zu schreiben. Das Gericht wies darauf hin, dass der Freistaat Bayern seine Gesetze inzwischen geändert habe. Demnach wird der Notenschutz in allen Fällen im Zeugnis vermerkt, auch wenn der betroffene Schüler eine andere Störung hat. (APA/lag) © AFP
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