An "Sea-Watch"-Kapitänin Carola Rackete scheiden sich aktuell die Geister. Die einen feiern sie als Verteidigerin der Menschenrechte, andere wollen die 31-Jährige am liebsten im Gefängnis sehen. Doch wie wurde sie eigentlich das, was sie ist?
Tagelang steht sie im Fokus der Nachrichten. Dann wird die Kapitänin gleichsam unsichtbar. Carola Rackete ist nach Angaben der Hilfsorganisation Sea-Watch an einem "sicheren Ort" in Italien, es meldet sich nur der Anrufbeantworter. Sie werde erst einmal nicht nach Deutschland zurückkehren und bis zur zweiten Anhörung am 9. Juli in Italien bleiben, sagt auch ihr Vater.
Vater: Carola war kein rebellisches Kind
Dann geht es im sizilianischen Agrigent um den Vorwurf der Beihilfe zur illegalen Migration, nachdem die 31-Jährige trotz Verbots der italienischen Regierung mit der "Sea-Watch 3" und 40 Migranten an Bord in den Hafen von Lampedusa gefahren war.
"Das ist typisch für sie - dass sie ihre Angelegenheiten gerade und ohne Schnörkel vertritt", sagt Racketes Vater Ekkehart. "Es lockt sie alles, was da draußen ist. Sie macht vieles um der Sache willen - und das sehr gründlich", meint der 74-Jährige.
"Als wir mit ihr in Norwegen waren, wollte sie Norwegisch lernen - da war sie so etwa neun Jahre alt." Seine Tochter sei analytisch und abwägend. Blauäugig sei sie nicht und eine sozialrevolutionäre Ader habe sie nie gehabt. "Sie war kein schwieriges oder gar rebellisches Kind", betont er.
"Sie weiß, was sie tut"
Wie wurde Carola Rackete das, was sie ist? "Ich weiß nicht, was sie getrieben hat", sagt Ekkehart Rackete und sucht nach Worten. "Es hat sich durch die Seefahrerei ergeben", meint der Vater schließlich. Er war Oberstleutnant bei der Bundeswehr und später in der Wehrtechnik. "Ich hätte mir gut vorstellen können, dass sie als Offizierin bei der Bundeswehr ihre Frau gestanden hätte." Doch die junge Frau geht nach dem Abitur zur Seefahrtschule im niedersächsischen Elsfleth und studiert dort zunächst Nautik, sie macht den Bachelor.
Die Jade Hochschule in Elsfleth möchte sich zur Person Carola Rackete nicht äußern. "Sie hat in dieser Situation sicher alles richtig gemacht", sagt Präsident Manfred Weisensee in einem persönlichen Statement. "Ich bedaure das drohende Auseinanderbrechen der europäischen Wertegemeinschaft zutiefst."
"Auch der Entschluss, Nautik zu studieren, war ein spontaner Entschluss", meint ihr Vater. In den vergangenen Jahren sei sie immer nur kurz nach Hause gekommen und gleich wieder aufgebrochen, hinaus in die Weltgeschichte, hat er dem "Tagesspiegel" gesagt. "Sie weiß, was sie tut, sie ist eine starke Frau."
Einsatz für die Menschenrechte
Geboren wurde sie am 8. Mai 1988 in Preetz bei Kiel. Dort sei sie aber gleich nach ihrer Geburt weggezogen und habe keine starke Verbindung, sagte Carola Rackete der Deutschen Presse-Agentur vergangene Woche. Aufgewachsen ist sie im niedersächsischen Hambühren, eine Gemeinde mit rund 10.000 Einwohnern. Die Eltern leben noch immer dort. Im benachbarten Celle hat sie Abitur gemacht.
Videos aus den Tagen vor ihrem Abtauchen zeigen, wie die 31-Jährige vor den Kameras von Journalisten steht. Furchtlos und mit kaum wahrnehmbaren Emotionen beantwortet sie die Fragen. Klar ist ein britischer Akzent bei der Frau mit den langen Rastazöpfen zu vernehmen. Rackete spricht fünf Sprachen, im englischen Ormskirk hat sie Naturschutzmanagement studiert, da war sie schon Nautische Offizierin. Bevor sie zu Sea-Watch ging, war sie unter anderem auf einem Forschungsschiff von Greenpeace unterwegs, auch für das Alfred-Wegener-Institut für Meeresforschung (AWI) war sie im Einsatz.
In sozialen Netzwerken wie Instagram oder Facebook sucht man sie vergebens. Die Medienaufmerksamkeit habe seine Tochter auch ein Stück weit überrollt, sagt der Vater. Vor der Hafeneinfahrt in Lampedusa hatte die Kapitänin der dpa noch gesagt, sie wolle keinen Konflikt provozieren.
"Es ist keine schöne Situation, die ich mir persönlich gewünscht habe." Sie sei auch keine Gegenspielerin von Italiens rechtem Innenminister Matteo Salvini. Sie wolle sich schlicht für Menschenrechte einsetzen. "Es gibt ein Recht auf Rettung."
Warme Worte von ehemaligen Wegbegleitern
Bekannte beschreiben sie als aufrechte Person. "Sie ist ein sehr ernster und zurückhaltender Mensch", sagt Olaf Boebel die junge Frau. Der promovierte Physiker hat beim Alfred-Wegener-Institut mit ihr zusammen gearbeitet.
"Es überrascht mich nicht, dass man im Netz wenig von ihr findet", meint der 58-Jährige. "Wir waren vom November 2012 bis zum Januar 2013 gemeinsam auf einer Expedition mit dem Forschungsschiff Polarstern in der Antarktis", berichtet Boebel, der als wissenschaftlicher Fahrtleiter an Bord war und die Expedition "Antarktis 29/2" leitete. "Sie war als dritte nautische Offizierin an Bord." Ihre Aufgabe sei es damit gewesen, das Schiff zu steuern.
Und noch etwas: "Sie ist ein sehr empathischer Mensch, der seine Umwelt sehr genau wahrnimmt und daran teilnimmt", erinnert sich Boebel. "Als wir zwei Jahre später mit Wellenschaden im Eis festsaßen, schickte sie uns eine aufmunternde Email, obwohl sie da schon längst woanders gearbeitet hat."
Uwe Pahl war 18 Jahre lang Kapitän der "Polarstern", er fährt seit 53 Jahren zur See. "Sie machte damals ihre ersten Reisen und arbeitete sich in die Eisfahrt ein", sagt er. "Sie hat ruhig, konzentriert und besonnen gearbeitet", betont er. "Sie hat sich virtuos eingearbeitet und ohne Scheu zum Telefon gegriffen, wenn sie allein mit dem Eis überfordert war." Die Fahrt durch das Eis sei eine besondere Herausforderung. "Da muss der Offizier sehr konzentriert und ausdauernd sein - wir hätten sie gern an Bord behalten."
Rackete kritisiert Bundesregierung
Auch wenn sie nicht dienstlich auf einem Schiff ist, ist Carola Rackete oft unterwegs, auch gerne allein. So habe sie auf der Chinesischen Mauer gezeltet und sei durch mehrere Länder in Südamerika getrampt, sagt ihr Vater. Sie war in Pakistan, China und Russland. Zuletzt habe sie in Schottland in einem Nationalpark gearbeitet, als Sea-Watch anrief.
"Ich bin sowieso nur eingesprungen für einen Kollegen, der eigentlich eingeplant war", hat Rackete jetzt dem "Spiegel" gesagt. In dem Gespräch kritisiert sie die Bundesregierung mit Blick auf die geretteten Migranten. "Ich fühlte mich alleingelassen." Mit der ihr nun zugeschriebenen Heldenrolle tue sie sich schwer, heißt es da weiter. "Das ist noch nicht richtig bei mir angekommen. Im Übrigen bin ich eine Person, die lieber agiert statt zu reden."
Rackete bekommt prominente Unterstützung aus Politik und Kultur und gilt vielen als Heldin. Für andere ist sie eine Gesetzesbrecherin. "Sie hat aus meiner Sicht das getan, was unter den gegebenen Umständen und in dieser Situation das einzige richtige war", meint der Vater dazu. "In der gleichen Situation hätte ich gern genau so gehandelt", sagt er. "Ich bin selbstverständlich stolz auf sie, ihre Mutter denkt genauso." (sg/dpa)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.