Die Scherben in der Stuttgarter Innenstadt sind mittlerweile weggekehrt, die gröbsten Schäden beseitigt. Nachdem in der Nacht zum Sonntag Hunderte in der zentralen Einkaufsstraße der baden-württembergischen Hauptstadt wüteten, sind noch immer zahlreiche Fragen offen: Wie konnte es so weit kommen? Und was trieb die Randalierer an?
Die Glasscherben der zerstörten Schaufenster sind mittlerweile weggekehrt. Doch damit ist der Schaden nicht behoben: Die Aufarbeitung der Chaos-Nacht in Stuttgart vom Wochenende fängt jetzt erst an.
Die Polizei nahm 24 Menschen im Zuge der Ausschreitungen in der Nacht zum Sonntag fest, mindestens 19 Polizisten seien verletzt worden, teilten die Beamten mit. "Die Festgenommen weisen einen Mix verschiedenster Nationalitäten auf, zur Hälfte handelt es sich um Deutsche", erklärte Polizeivizepräsident Thomas Berger. Insgesamt sollen laut Polizeiangaben 400 bis 500 Menschen an den Krawallen in der Stuttgarter Innenstadt teilgenommen haben.
Randalierer schmissen Pflastersteine auf vorbeifahrende Polizeiautos, schlugen mehrere Dutzend Schaufenster ein und plünderten mehrere Geschäfte in der zentralen Stuttgarter Einkaufsstraße.
Vielfach wird nun die Frage gestellt, wie es dazu kommen konnte – von Bürgern, Geschäftsinhabern, aber auch von Politik und Polizei.
Geltungsbewusstsein in den sozialen Medien ein Grund?
Festzustehen scheint für die Polizei, dass die Randale nicht politisch motiviert war. Es seien vielmehr Menschen aus der Party- und Eventszene gewesen, die sich in den vergangenen Wochen immer wieder in der Öffentlichkeit getroffen und sich in den sozialen Medien mit ihrem Handeln inszeniert hätten.
Das bestätigt der Leiter der Pressestelle der Stadt Stuttgart, Sven Matis, auf Twitter. Ihm zufolge gehören zu dieser Szene "junge Menschen, die nach Stuttgart zum Feiern kommen". Alkohol, Aggressionen und Selbstinszenierung "waren eine Mischung, die bei Hunderten zur Enthemmung führte", erklärte Matis.
Auch der grüne Oberbürgermeister Fritz Kuhn machte unter anderem Geltungsbewusstsein in den sozialen Medien als Grund für die Ausschreitungen aus – neben Alkoholkonsum.
Die Party-Wut war ein Angriff auf die ganze Stadt", wird Stuttgarts Polizeipräsident Franz Lutz in einer Pressemitteilung der Stadt zitiert. "Die Dimension ist für Stuttgart und Baden-Württemberg einmalig, das habe ich in meinen 46 Jahren als Polizist noch nicht erlebt."
Nach Angaben von Polizeivizepräsident Berger, der auch den Einsatz leitete, hätten sich Feiernde bei einer Kontrolle eines mutmaßlichen Drogendealers mit dem Mann solidarisiert. In der Folge seien dann Hunderte in Gruppen durch die Innenstadt gezogen.
Rund 300 Polizisten, darunter auch Kräfte aus dem Umland, seien nötig gewesen, um die Lage zu befrieden. Die Polizei bittet nun Zeugen um Mithilfe bei den Ermittlungen – zur Aufklärung benötige man Bilder und Videos von den Straftaten und mutmaßlichen Tatverdächtigen.
Innenminister Strobl: Herausforderung für den Rechtsstaat
"Wir werden mit allem, was uns der Rechtsstaat zur Verfügung stellt, diese Randalierer verfolgen und sie zur Rechenschaft ziehen", betonte Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl am Sonntagabend in den "Tagesthemen" der ARD. Er sah in den Ereignissen eine Herausforderung für den Rechtsstaat.
Nach den Worten des CDU-Politikers hat sich "die Szene im Schlossgarten" dort schon seit Längerem festgesetzt. Er forderte ein Gesamtkonzept für die Stadt Stuttgart und ein Maßnahmenbündel. "Das muss die Stadt Stuttgart lösen", betonte der Minister.
Sven Hahn, Geschäftsführer der City-Initiative Stuttgart, einem Verbund aus Händlern, Gastronomen, Hoteliers und Kulturbetrieben, plädierte für eine umfassende Analyse. "Wir müssen genau schauen, was passiert ist, wie es dazu kam und ob es dazu Aufrufe gab", sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
Dann gelte es, sich mit Polizei und Politik sinnvoll abzustimmen, um Lösungen zu finden. "Man tut nichts Gutes, wenn man vorschnell den Finger auf jemanden richtet".
Innenausschuss will sich mit Stuttgarter Chaos-Nacht beschäftigen
Gelegenheit zur Aufarbeitung soll eine Sondersitzung des Innenausschusses am Mittwoch im Landtag geben. Dort will die Opposition Innenminister Strobl ausführlich zur kriminellen Gewalt und zu Maßnahmen zum Schutz von Gesellschaft und Polizei befragen. Die Polizei hat angekündigt, in den kommenden Wochen mit verstärkten Kräften in Stuttgart unterwegs zu sein. Und auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will am Montagmittag ein Bild von der Lage machen.
Aus der Bundespolitik kommen derweil Forderungen nach Konsequenzen. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Mathias Middelberg, sagte der "Welt": "Das Entstehen rechtsfreier Räume dürfen wir nicht zulassen."
Die innenpolitische Sprecherin der grünen Bundestags-Fraktion, Irene Mihalic, sagte der Zeitung: "Nun müssen akribisch alle Erkenntnisse zusammengetragen werden, damit zügig geklärt werden kann, wer dahintersteckt und wie es überhaupt dazu kommen konnte." (jwo/mf/dpa)
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