• Die Corona-Situation in Deutschland wird zunehmend chaotischer und die Infektionszahlen erreichen Rekordhochs.
  • Italienische Medien schauen daher verwundert nach Deutschland und fragen sich, wie es dazu kommen konnte.
  • Einige feiern gar ihren Impferfolg: "Heute sind wir die Meister".

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Italien blickt derzeit verwundert auf Deutschland: Das Land, das einst als Vorbild in der Pandemie-Bekämpfung galt, wird nun von einer vierten Welle überrollt, deren Heftigkeit die Infektionszahlen täglich in neue Rekordhöhen treibt.

Entsprechend aufmerksam verfolgen die italienischen Medien die deutsche Corona-Lage. Als Anfang November deutlich wurde, wie dramatisch sich die Corona-Infektionszahlen in Deutschland entwickelten, schickten viele Tageszeitungs-Apps gar Eilmeldungen zum Thema.

Die großen Tageszeitungen blieben dabei bei den Fakten. Der "Corriere della Sera" aus Mailand schrieb etwa: "COVID-19 in Deutschland, die vierte Welle: neue Fälle auf Allzeithoch". "La Repubblica" aus Rom: "Deutschland, COVID-Alarm: 194 Tote an einem Tag. Regierung strebt Einschränkungen an, aber nur für Ungeimpfte".

Doch es gibt auch Medien, die Genugtuung daraus zu schöpfen scheinen, das ansonsten so vermeintlich vorbildliche Deutschland stolpern zu sehen, während Italien eindeutig besser dasteht. Denn während Deutschland laut der Datenwebsite "Our World in Data" am 15. November im Wochenschnitt täglich 468 Corona-Neuinfektionen auf eine Million Einwohner verzeichnete, ist die Lage in Italien mit 125 Ansteckungen noch entspannt.

Corona-Verhältnisse auf den Kopf gestellt

Vergleicht man die aktuellen Zahlen mit den Werten von vor genau einem Jahr, als in Italien die Ansteckungszahlen mehr als doppelt so hoch waren wie in Deutschland, liegt die Frage auf der Hand, wie es dazu kommen konnte, dass sich die Verhältnisse trotz des Impfstoffs so sehr auf den Kopf stellen konnten.

So überrascht es wenig, dass etwa die italienische Ausgabe der "Huffington Post" einen Artikel zur Corona-Lage folgendermaßen übertitelt: "Deutschland kollabiert wegen drei Fehlern, die Italien nicht gemacht hat". Der Autor schreibt: "Ausnahmsweise haben es die Mittelmeerländer […] verstanden, sich besser auf den Winter vorzubereiten [als die Länder Nordeuropas]. Und sie haben dies mit Impfkampagnen getan, die wirksamer waren und an denen deutlich mehr Menschen teilgenommen haben als in den Ländern nördlich der Alpen."

In der Tat ist laut "Our World in Data" die Impfkampagne in Italien erfolgreicher als in Deutschland: Haben hierzulande nur 69 Prozent der Gesamtbevölkerung mindestens eine Dosis des Corona-Impfstoffs erhalten, sind es in Italien immerhin 78 Prozent. Das Fazit der "Huffington Post" ist klar: "Heute sind wir die Meister."

"Dieses reflexartige Vergleichen der italienischen mit der deutschen Situation gibt es immer wieder", sagt der Italiener Fernando D’Aniello, der als Gastdozent am Italienzentrum der FU Berlin unterrichtet. D’Aniello lebt seit über zehn Jahren in Berlin, schreibt für italienische Medien über Deutschland und verfolgt den Pandemieverlauf in beiden Ländern daher genau. Er bestätigt: "Derzeit gibt es in Italien die generelle Meinung, dass wir dieses Mal besser als Deutschland gewesen sind".

Konkurrenz mit Deutschland seit Euro-Krise omnipräsent

Diese Konkurrenz mit Deutschland ist spätestens seit der Euro-Finanzkrise 2008 omnipräsent: Damals fühlten sich die Italiener von Deutschland bevormundet, weil die EU Italien unter deutscher Führung zum Sparen anhielt. Daher wird es nun besonders ausgekostet, wenn Italien etwas besser macht als Deutschland. Wenig überraschend ist daher, dass auch der Artikel der "Huffington Post" Verweise auf den damaligen Umgang des Nordens mit Italien während der Euro-Krise enthält.

Scholz befürwortet Debatte über Corona-Impfpflicht für bestimmte Gruppen

Eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen ist nicht Teil des Gesetzentwurfs der Ampel-Partner. Dennoch sprechen die Parteien darüber - und bekommen Unterstützung vom Kanzlerkandidaten.

Doch D'Aniello mahnt davor, zu voreilig zu urteilen: "Auf kurze Sicht mögen die Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie in Italien und Deutschland sehr unterschiedlich sein. Doch mit etwas Abstand betrachtet, ähneln sie sich und führen zu vergleichbaren Ergebnissen." Als Beispiel führt er die 3G-Pflicht am Arbeitsplatz an, die Italien am 15. Oktober eingeführt hatte. Schien es vor einem Monat noch unwahrscheinlich, dass diese Regel auch in Deutschland eingeführt werden könnte, steht dies nun unmittelbar bevor.

Das Gleiche gilt für den Lockdown: Blickten die Deutschen in der ersten Welle ungläubig nach Italien, wo die Bevölkerung ihr Haus nur zum Einkaufen verlassen durfte, konnten die Italiener nicht fassen, dass Deutschland den Lockdown im vergangenen Winter schier gar nicht mehr beenden wollte.

Italianisierung der deutschen Debatte über Impfpflicht

Weiter ins Detail gehen die italienischen Medien in ihrer Corona-Berichterstattung über Deutschland meist nicht: Die Debatten über 3G, 2G oder 2GPlus werden dort nur am Rande wahrgenommen und nicht als Schwäche des deutschen Systems interpretiert.

Nicht zuletzt, weil den Italienern ausschweifende Debatten über die unterschiedlichen Corona-Regeln keineswegs fremd sind: Denn in Italien hat die Regierung zwar ein landesweit einheitliches System festgelegt, doch es erlegt den Regionen entsprechend ihres individuellen Risikos unterschiedliche Maßnahmen auf – und entsprechend bleiben auch die Debatten nicht aus. Regionen klagen über falsche Kategorisierungen und fühlen sich von der Regierung ungerecht behandelt.

Allein einen Kritikpunkt hat D’Aniello an Deutschland: "Was die Diskussion über die Impfpflicht in Deutschland angeht, sehe ich eine gewisse Italianisierung des Diskurses, die ich so bisher noch nie erlebt habe." Normalerweise liefen politische Auseinandersetzungen in Deutschland weniger polemisch und polarisierend ab als in Italien, doch beim Thema Impfzwang sei die Stimmung gekippt.

Insgesamt warnt D’Aniello seine Landsleute davor, zu früh ihren Sieg zu feiern. Schließlich steigen die Infektionszahlen auch dort: "Wir werden sehen, in welcher Corona-Situation Italien sich in ein paar Wochen befindet", mahnt er.

Über den Experten
Fernando D’Aniello unterrichtet als Gastdozent am Italienzentrum der FU Berlin. Nebenberuflich berichtet er als freier Journalist für italienische Medien aus der deutschen Hauptstadt und veröffentlicht den Podcast "I Barbari", mit dem er den Italienern die Bundesrepublik erklärt.


Verwendete Quellen:

  • Il Corriere della Sera: COVID-19 in Germania, la quarta ondata: nuovi casi al massimo storico
  • La Repubblica: Germania, allarme COVID: "In un giorno 194 morti". Il governo verso limitazioni, ma solo per i non vaccinati
  • Huffington Post Italia: La Germania tracolla per tre errori che l’Italia non ha commesso
  • Our World in Data: COVID Vaccinations
  • Our World in Data: COVID-19 Data Explorer
  • Geisteswissenschaften.fu-berlin.de: Dr. Fernando D'Aniello
  • Editorialedomani.it: Fernando D'Aniello
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