Am Donnerstag noch RTL-Experte im Rahmen der Europa League, am Samstag Redner im Rahmen einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung: Fußball-Weltmeister Thomas Berthold polarisiert gerne. Er legt aber Wert darauf, nicht in einen Topf mit Rechtspopulisten geworfen zu werden.
In Stuttgart trafen sich auf Initiative der Bewegung "Querdenken 711" Gegner der Corona-Maßnahmen der Bundesregierung zu einer Demonstration.
Unter die Protestierenden mischte sich ein nicht nur in Stuttgart unvergessenes Gesicht: Der frühere VfB-Verteidiger Thomas Berthold betrat sogar als Redner die Bühne.
Bertholds Botschaft an die Anwesenden lautete, dass sein "Vertrauen in diese politische Führung unseres Landes bei unter null angekommen" sei.
Berthold: "Spekulationen von Wissenschaftlern besudeln uns"
Dann knöpfte sich der 55-Jährige die Wissenschaft vor und behauptete, die Bevölkerung würde "von Spekulationen, von ein, zwei Wissenschaftlern oder Vertretern des RKI besudelt, und unser Leben wird eingeschränkt".
Fakt ist, dass Wissenschaftler weltweit Tag und Nacht forschen, um das Ende 2019 neu aufgetretene Coronavirus kennenzulernen, seine Gefährlichkeit für den Menschen einzuschätzen und einen Impfstoff gegen COVID-19 zu finden. Dies geschieht nicht, um das Leben von Menschen einzuschränken, sondern um es zu retten.
Es sind nicht die sich daraus ergebenden Schutz-Maßnahmen, die das Leben der Menschen einschränken, es ist vielmehr die reale Gefahr der Ansteckung selbst. Infektionszahlen wie jene aus den USA oder Brasilien belegen, wohin ein Ignorieren der Ansteckungsgefahr führen kann.
Thomas Berthold irrt mit Maskenspruch
Nichtsdestotrotz möchte der langjährige Italien-Profi Berthold, der anschließend auch zwei Jahre beim FC Bayern München verbrachte, "dass wir unser altes Leben wieder zurückbekommen. Wir müssen wieder dazu kommen, angstfrei zu leben. Wir müssen auch dazu kommen, selbstbestimmt zu leben."
Diese Selbstbestimmung nimmt Berthold für sich in Anspruch - und ignoriert die bundesweit seit Monaten geltende Pflicht, zum eigenen Schutz und dem der Mitmenschen vor einer Infektion, eine Mund-Nasen-Bedeckung anzulegen. Jeder könne seiner Ansicht nach "selbst entscheiden, ob er eine Maske aufzieht oder die Maske zu Hause lässt". Wer allerdings beispielsweise in Nordrhein-Westfalen im öffentlichen Nahverkehr ohne Maske angetroffen wird, muss ein sofortiges Bußgeld von 150 Euro zahlen.
Berthold grenzt sich von Rechtspopulisten ab
Gegenüber der "Bild am Sonntag" bemühte sich Berthold, den Eindruck zu verwischen, er mache sich "mit Verschwörungstheoretikern" oder "Rechtspopulisten" gemein: "Ich habe nur meine Meinung über die Maßnahmen der Regierung gesagt." Dass dann jeder "gleich ein Rechtsradikaler" sein solle, "das finde ich inakzeptabel. Und davon distanziere ich mich völlig."
Berthold hörten zahlreiche Menschen zu. "Es war eine Herzensangelegenheit, diese Plattform zu nutzen und Dinge zu sagen, die mir seit längerem durch den Kopf gehen", freute sich Berthold über die willkommene Gelegenheit. "Ich wollte dort den Menschen Dinge, die ich wahrnehme und auf dem Herzen habe, mitteilen".
Tags darauf sagte Berthold dem SID, er "bereue gar nichts, auf keinen Fall, dafür war die Resonanz viel zu positiv und das Thema viel zu wichtig." Es rede "doch sonst kaum einer mehr mit offenem Visier. Alle verstecken sich hinter Pseudonymen, kaum einer mehr hat Mumm."
"Thomas Berthold stand ja früher schon selten richtig im Raum"
Die Polizei sprach von mehreren Hundert Teilnehmern, die Veranstalter nannten die Zahl 5.000. In den sozialen Netzwerken erntete Berthold für seinen Auftritt Reaktionen von Häme bis Zuspruch: "Thomas Berthold stand ja früher schon selten richtig im Raum", schrieb ein Twitternutzer mit Anspielung auf dessen Fußballkarriere. Andere Nutzer attestierten ihm hingegen Zivilcourage.
Zunächst waren die Marschierenden bei großer Hitze auf dem Marienplatz zusammengekommen und dann Richtung Innenstadt weitergezogen.
Die Demonstranten zeigten Transparente mit Aufschriften wie "Mit Maske - Ohne Mich" oder "Wir haben Euch durchschaut". Sie skandierten "Freiheit, Freiheit".
Die Polizei sprach von einem ruhigen Verlauf. Die Teilnehmer seien bemüht gewesen, die geforderten Mindestabstände einzuhalten.
Demonstration in Berlin war von Polizei aufgelöst worden
In Berlin hatten am vergangenen Wochenende Tausende gegen die Corona-Beschränkungen protestiert. Weil viele Demonstranten weder Abstandsregeln einhielten noch Masken trugen, hatte die Polizei dort die Kundgebung aufgelöst.
Die Veranstalter kündigten in Stuttgart an, am 29. August wieder in Berlin demonstrieren zu wollen. Sie luden dazu auch den Regierenden Bürgermeister Michael Müller ein. Auch Berthold möchte "definitiv" wieder mit dabei sein. "Die Initiative braucht eine mediale Plattform. Es geht darum, dass man Dinge hinterfragt und nicht alles staatstreu eins zu eins glaubt."
Sollte seine öffentliche Positionierung berufliche Konsequenzen für ihn haben, sei ihm dies egal, sagte Berthold: "Wenn es so sein sollte, wäre das schade, dann bin ich aber bereit, die Konsequenzen zu tragen", betonte er. "Wenn der ein oder andere Programmdirektor oder Redakteur sagt, das können wir nicht vertreten, akzeptiere ich das natürlich. Auch dann geht das Leben weiter."
Er sprach sich zudem für die Gründung einer neuen Partei aus. Deutschland werde "zurzeit quasi von einer Einheitspartei regiert, die das Parlament außer Kraft gesetzt hat."
Er habe aber selbst keine Intention, politisch aktiv zu werden. "Ich habe nur angeregt, dass wir Menschen brauchen, die dem Volk dienen. Wir brauchen Menschen, die Bildung haben und Expertise mitbringen."
Mehrheit der Deutschen lehnt Corona-Demonstrationen ab
Nach einer Umfrage lehnt eine große Mehrheit der Bevölkerung Demonstrationen gegen die Maßnahmen zum Schutz vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus ab.
In einer am Samstag veröffentlichten Befragung des Forsa-Instituts im Auftrag der Mediengruppe RTL gaben 91 Prozent an, kein Verständnis für die Proteste zu haben. Nur neun Prozent äußerten sich dem "RTL/ntv-Trendbarometer" zufolge zustimmend.
Eine klare Mehrheit (87 Prozent) war auch der Meinung, dass die Menschen, die gegen die Maßnahmen auf die Straße gehen, nur eine Minderheit der Bevölkerung repräsentieren. (hau/dpa/AFP)
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