Auf den Philippinen sind zwei deutsche Segler in der Gewalt der islamistischen Terrororganisation Abu Sayyaf. Die Entführer fordern vier Millionen Euro Lösegeld, sonst droht dem 74-jährigen Mann und seiner 55-jährigen Begleiterin die Enthauptung. Peter Müller*, ein ehemaliger Mitarbeiter einer deutschen Sicherheitsbehörde, erklärt im Gespräch mit unserem Portal, wie die Bundesregierung in einem solchen Entführungsfall vorgeht, wie wahrscheinlich die Zahlung von Lösegeld ist und unter welchen Bedingungen eine militärische Befreiungsaktion infrage kommt.
Die IS macht momentan mit der Entführung und anschließender Tötung westlicher Personen auf sich aufmerksam. Auch auf den Philippinen sorgt derzeit eine Entführung für große Aufregung. Dort hat die ebenfalls islamistische Terrororganisation Abu Sayyaf zwei Deutsche entführt. Was ist das Ziel der Terroristen?
Generell ist das Hauptmotiv natürlich Macht und Einfluss auszuüben auf die Staaten, aus denen die Geiseln stammen. Dazu kommen natürlich auch finanzielle Ziele, also Geld zu erpressen. Dann geht es aber auch noch um etwas ganz anderes, nämlich die Frage "Wer sind die besten Entführer?" Das ist dann ein interner Machtkampf zwischen den unterschiedlichen Terrorgruppen. Bei den aktuellen Entführungen geht es also auch immer darum zu zeigen: "Wir können das!" Die verschiedenen radikal-islamischen Gruppen, also beispielsweise sunnitische und schiitische Terrorristen, stehen aktuell auch in einem internen Machtkampf.
Was passiert, wenn ein Deutscher im Ausland als Geisel genommen wird?
Sobald eine deutsche Behörde von einer Entführung in Kenntnis gesetzt wurde, übernimmt das Auswärtige Amt die Führung und richtet einen Krisenstab ein. Darin sitzen neben den klassischen Ermittlungsbehörden wie der Kriminalpolizei auch die Geheimdienste wie der Bundesnachrichtendienst (BND), der Militärische Abschirmdienst (MAD) oder der Verfassungsschutz sowie Personen aus dem Auswärtigen Amt oder dem Innenministerium.
Wie ist das weitere Vorgehen?
Die deutschen Geheimdienste versuchen, Kontakt zu den Entführern herzustellen. Entweder über den Umweg der Geheimdienste in dem jeweiligen Entführungsland oder über eigene Informanten in dem Land. Es geht also nach dem Motto "wer könnte was wissen" und "wer kennt wen". Es wird also versucht, über Mittelsmänner so schnell wie möglich Kontakt zu den Entführern herzustellen. Man weiß anfangs vielleicht nur, wie die Terrorgruppe heißt. Das heißt aber nicht, dass man auch die einzelnen Entführer kennt. Da ist dann eine intensive Recherche nötig. Und die funktioniert, wie wenn man einen Stein ins Wasser wirft: Die Kreise werden erst einmal immer weiter bis man zu einer Person kommt, die genauere Informationen hat. Erst dann wird der Kreis wieder enger gezogen.
Ist das Vorgehen bei jeder Geiselnahme eines Deutschen gleich?
Ja, denn Deutschland hat sich dazu verpflichtet, Deutschen im In- und Ausland Fürsorge und Schutz angedeihen zu lassen. Das gilt vom Bundespräsidenten bis zum einfachsten Bürger. Oberstes Ziel bei jeder Entführung ist, dass deutsche Bürger diese unbeschadet überstehen beziehungsweise - mit welchen Mitteln auch immer - die Freilassung erzwungen wird.
Zahlt Deutschland auch Lösegeld?
Ja, das kann – je nach Entführungsfall und Forderung – der Fall sein.
Welche weiteren "Mittel" stehen zur Verfügung?
Andere Güter wie Waffen oder Autos, Rohstoffe und andere wirtschaftliche Mittel. Also die ganze Bandbreite von Gütern, die als "geldwerte Gegengabe" bezeichnet werden können. Das kommt natürlich auch immer auf die Forderung an. Manche Gruppen stellen ja auch politische Forderungen, wie zuletzt die Al-Nusra-Front bei der Entführung der UN-Blauhelme auf den Golanhöhen gefordert hat, von der Liste der terroristischen Vereinigungen heruntergenommen zu werden. Ich weiß nicht, ob in dem Fall darüber verhandelt wurde, aber natürlich sind das auch "Mittel", die gewährt werden können.
Wie häufig wird Lösegeld gezahlt?
Natürlich nicht immer. Ich kann mich an einen Fall erinnern, da haben die Entführer eine ganze Gruppe von Geiseln einfach so freigelassen – weil Sie schlicht und ergreifend eine Bürde für die Entführer waren. Die Entführer waren am Ende heilfroh, dass sie die Geiseln wieder los waren. Man darf dabei nicht vergessen, dass natürlich auch die Regierungen in dem "Entführungsland" solche Geiselnahmen so schnell wie möglich beenden wollen und alles unternehmen, um auf die Entführer Druck auszuüben und sie ausfindig zu machen.
Können Sie da ein Beispiel nennen?
Ja, beispielsweise die Entführung von Touristen auf der philippinischen Insel Jolo durch die Abu Sayyaf im Jahr 2000. Unter den Entführten waren auch drei Deutsche. Den Entführern wurde am Ende eine Befreiungsaktion, also ein militärischer Einsatz, angedroht. Die Abu Sayyaf stand damit unter einem enormen Druck - und hat einem Geiselaustausch - offiziell ohne eine Lösegeldzahlung - zugestimmt.
Es steht aber im Raum, dass Libyen damals Lösegeld an die Abu Sayyaf gezahlt hat.
Wenn das so war – wovon ich ausgehe -, dann verfolgte die libysche Führung damit sicher zwei Gründe: Einerseits wollte der damalige libyische Machthaber Muammar al-Gaddafi der Welt beweisen, dass er kein Terrorist war und keine terroristische Gruppierungen unterstützte. Andererseits hatte er zu dem Zeitpunkt bereits Bestrebungen für eine Afrikanische Union nach dem Vorbild der EU, die weit über die wirtschaftliche Kooperation des Maghreb hinaus gehen sollte. Und dafür war ihm natürlich sehr an der "dankbaren" politischen Unterstützung und Anerkennung als "großer Staatsmann" der von der Entführung betroffenen Staaten gelegen. Dennoch gilt, dass bei weitem nicht immer gezahlt wird. Ich kann nur eine Schätzung abgeben: Geld gezahlt wird eigentlich in den wenigsten Fällen. Zumeist geht es eher um Tauschgeschäfte nach dem Motto: "Ihr gebt uns die Geisel und wir geben Euch eine bestimmte Ware".
Die USA und auch Großbritannien schließen aktuell Lösegeldzahlungen an den IS aus. Stattdessen sollte beispielsweise der mittlerweile ermordete US-Journalist James Foley mit einem Sonderkommando befreit werden. Wie läuft so ein Einsatz ab?
Generell gilt, dass solche Kommandoeinsätze wahnsinnig problematisch sind. Im Fall von James Foley kam die Kommandoeinheit ja auch zu spät, die Geiselnehmer waren da schon längst wieder an einem anderen Ort. Da muss eine Geheimdienstarbeit vorausgehen, die jeden Quadratmeter vor Ort beleuchtet hat – vor allem, damit sich die "Befreier", die ja zumeist nie dort waren, nicht nur zurechtfinden, sondern auch auf alle Eventualitäten vorbereitet sind. Ein Beispiel: Wenn der Einsatz lautet "Befreit eine Geisel aus genau diesem Haus", muss nicht nur die Umgebung ausgekundschaftet sein. Sondern es muss exakt klar sein, wie viele Ausgänge hat das Haus, wie viele Fenster, wie viele Stallungen, Schuppen und so weiter hat das "Zielhaus". Das muss bis ins kleinste Detail abgeklärt sein – und das geht nur im Verbund mit Geheimdiensten, Militärs oder Polizei, die am Ort des Geschehens sind.
Also auch nur mit Zustimmung des jeweiligen Landes?
Das gilt zumindest für Deutschland, hier ist die Gesetzgebung eindeutig. Bei den Amerikanern ist das anders, die machen das sozusagen aus sich heraus. Zuletzt hat sich aber auch gezeigt, dass vielleicht eine von fünf Geiselbefreiungen auf diese Art geklappt hat – wohl auch, weil keine Hilfe vor Ort in Anspruch genommen wurde. Am Ende ist es immer die Frage, was die Regierung eines Landes seinen Geheimdienst machen lässt.
Deutschland ist bei Befreiungskommandos also wesentlich zurückhaltender?
Ja. Selbst wenn eine Befreiungsaktion angeordnet werden würde, findet zunächst einmal ein sehr intensiver Austausch mit den Behörden, Geheimdiensten oder auch dem Militär aus dem jeweiligen "Zielland" statt – ohne diese Unterstützung sind Befreiungsaktionen kaum durchführbar. Ein Beispiel dafür ist die Entführung des Flugzeugs "Landshut" im Jahr 1977 von palästinensischen Terroristen nach Mogadischu. Da kam es zu einer bewaffneten Befreiung. Zunächst wurden aber erst Informationen gesammelt, beispielsweise von den Geheimdiensten. Dann wurde die Möglichkeit eines GSG-9-Einsatzes mit den politischen Stellen in Somalia und den Militärs vor Ort abgeklärt. Am Ende hieß es von somalischer Seite: "Schickt die GSG-9, wir können Euch aber nur den Rücken freihalten".
Sie haben jetzt ein Beispiel für eine deutsche Kommandoaktion genannt. Der Einsatz ist 37 Jahre her. Wie häufig wird ein Befehl zu einer bewaffneten Befreiungsaktion gegeben?
Ich würde sagen, in einem von Tausend Fällen.
Wovon ist ein solcher Einsatzbefehl abhängig?
Von den Erfolgsaussichten. Sobald die Gefahr als zu groß eingeschätzt wird, dass entweder der Geisel oder dem Einsatzteam etwas geschieht, gibt es keinen Befehl. Dann wird auf den Verhandlungsweg gesetzt. Deutschland ging damit in der Vergangenheit bislang immer sehr zurückhaltend um - und ich glaube nicht, dass sich daran etwas in absehbarer Zeit ändern wird.
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