Das katholische Irland hat in einer Volksabstimmung für die Einführung der Homo-Ehe votiert. "Eine Niederlage für die Menschheit" nennt diese Entscheidung der Vertraute von Papst Franziskus, Pietro Parolin - und geht damit offenkundig auf Konfrontation zu seinem als liberal geltenden Pontifex. Die Äußerung Parolins wirft eine brenzlige Frage auf: Hat Franziskus den Vatikan noch im Griff? "Parolin wird nichts sagen, was der Papst nicht billigt", sagt der Vatikan-Experte und Buch-Autor Ulrich Nersinger im Gespräch mit unserem Portal.
Rund 62 Prozent der Iren sprachen sich am Samstag in einem Volksentscheid für die Einführung von gleichgeschlechtlichen Ehen aus. In dem römisch-katholisch geprägten Land ist das eine gesellschaftliche Zäsur.
Papst Franziskus "nicht so liberal, wie oft dargestellt"
Papst Franziskus hatte bisher eher versöhnliche Töne gegenüber Homosexuellen angestimmt. "Wenn jemand schwul ist und guten Glaubens den Herrn sucht – wer bin ich, über ihn zu urteilen?", fragte er 2013. "Homosexuelle sollten nicht an den Rand gedrängt werden. Sie sind unsere Brüder", sagte er weiter. Einige Beobachter wundern sich nun: Warum ließ der Papst die Äußerungen Parolins überhaupt zu? Ist Franziskus wirklich so liberal, wie es scheint? Oder hat er einfach die römische Kurie nicht im Griff? Wie frei kann der Papst im System Vatikan überhaupt agieren?
"Der Papst ist gar nicht so liberal, wie er in den Medien oft dargestellt wird", stellt der Vatikan-Experte und Buch-Autor Ulrich Nersinger klar. "Er teilt vielmehr die festen theologischen Ansichten und Grundhaltungen der katholischen Morallehre. Allerdings versucht er in der Praxis Verständnis zu zeigen und barmherzig auf die Lage des einzelnen Menschen einzugehen." Nersinger ist sicher: "Der Papst würde niemals versuchen, Homosexuelle zu verteufeln oder ins Abseits zu stellen." Franziskus sei vielmehr auf Dialog und Verständigung aus. Im Vatikan ist das durchaus keine Selbstverständlichkeit.
"Parolin wird nichts sagen, was der Papst nicht billigt"
Im Kirchenstaat gibt es zur Homo-Ehe unterschiedliche Ansichten: Für manche ist sie eine Lebensform, die in der Praxis gelebt werden kann, aber nicht den Begriff Ehe tragen sollte. "Für andere ist die Abkehr vom traditionellen kirchlichen Ehebegriff völlig undenkbar", erklärt Nersinger. Und es gebe auch jene, die homosexuelle Beziehungen generell ablehnen. Die kritischen Äußerungen des Papst-Vertrauten spiegeln demnach nur einen Teil der Meinungen im Vatikan wider – aber offenbar einen wichtigen. "Parolin wird nichts sagen, was der Papst nicht billigt", ist Nersinger überzeugt. Einen grundlegenden Unterschied zwischen der Meinung des Papstes und der Meinung des Vatikans zur Homo-Ehe sieht der Experte nicht.
Der Ausländer in Rom
In der Vergangenheit war Franziskus immer wieder durch ungewohnte Offenheit und Klarheit in seinen Äußerungen zu kontroversen Themen aufgefallen – nicht nur zur Homosexualität.
"Er kann frei agieren, ist mutig und lässt sich nichts vorschreiben", sagt Nersinger. "Allerdings sollte man nicht davon ausgehen, dass der Papst bestimmte theologische Vorstellungen der Kirche großartig ändern wird." Schließlich sei der aus Argentinien stammende Geistliche auf seinen Apparat im Vatikan angewiesen und werde ihn nicht beiseite schieben. Schon unter seinem deutschen Vorgänger Benedikt XVI. war erkennbar, wie schwer sich ein ausländischer Papst mit der mehrheitlich italienischen Kurie in Rom tun kann: Unter Benedikt waren mehrfach vertrauliche Dokumente an die Öffentlichkeit geraten und nicht nur deshalb Zweifel aufgekommen, ob er seinen Apparat im Griff hat.
Papst Franziskus, der im Dezember 79 wird, bemüht sich seit seiner Wahl im März 2013 durch einen offenen Dialog und Kritik an internen Missständen, Vertrauen in die katholische Kirche zurückzugewinnen. "Eine Diskussion hat begonnen, vieles ist in Bewegung. Genau das will der Papst – auf Probleme reagieren und Lösungen suchen", sagt Ulrich Nersinger. "Ob sich in der Kirche tatsächlich etwas ändern wird, das ist wieder eine andere Frage."
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