Die Europäische Union sagt Terroristen den Kampf an: Bis 2020 wollen die Mitglieder ein Anti-Terrorzentrum einrichten, an dem sich auch Deutschland beteiligt. Doch wie groß ist die Gefahr eines Anschlags hierzulande? Wer kommt als Täter infrage und welche Ziele sind besonders bedroht?
Die Liste mit Sorgen der Europäischen Union (EU) ist lang: Dschihadisten, extremistische Propaganda, illegaler Waffenhandel und Terrorfinanzierung – all diese Punkte stehen im Fokus eines neuen Strategiepapiers, das die EU-Kommission am Dienstag vorgestellt hat. "Europäische Agenda für Sicherheit", heißt es und betont den Kampf gegen drei zentrale Bedrohungen: gegen Terrorismus, gegen organisiertes Verbrechen und gegen Cyberkriminalität. Dafür soll bis 2020 ein Anti-Terrorzentrum bei der EU-Polizeibehörde Europol in Den Haag eingerichtet werden.
Anschläge werden "über Grenzen hinweg koordiniert"
Das Motiv der EU-Mitgliedstaaten: Die jüngsten Anschläge von Brüssel, Paris und Kopenhagen seien "über die Grenzen hinweg koordiniert" worden – und könnten damit auch nur gemeinsam abgewehrt werden. Und das schließt auch Deutschland mit ein. Doch wie gefährdet ist die Bundesrepublik durch den internationalen Terror derzeit tatsächlich? Und auf wen oder was achten Sicherheitsbehörden genau?
Ohne unmittelbare Hinweise oder aktuelle Gefahren dringt nur wenig aus den deutschen Behörden nach außen. "Sicherheitsbehörden können nicht alle bekannten Informationen offen legen, da sie sonst vielleicht potenziellen Tätern in die Hände spielen", sagt Jochen Hippler, Politikwissenschaftler und Friedensforscher der Universität Duisburg-Essen, der sich seit vielen Jahren mit Terrorismus und dem Nahen Osten beschäftigt. In Deutschland ist bei der Frage nach möglichen Anschlägen deshalb derzeit meist die Rede von einem "abstrakten Sicherheitsrisiko" oder einer "abstrakten Gefahr".
Große Gefahr von Rückkehrern aus Syrien
Diese geht im Moment insbesondere von radikalen Islamisten aus, die aus Syrien oder dem Irak zurückgekehrt sind. Etwa 680 Dschihadisten sollen laut Bundesamt für Verfassungsschutz bisher Deutschland verlassen haben, gut 230 bereits wieder zurückgekommen sein. Und rund 50 von ihnen hätten Kampferfahrung gesammelt. "Die Behörden schätzen ein, dass ein Teil der Rückkehrer ein Gefahrenpotenzial darstellt. Aber sie wissen nicht, wer, wann, wo und wie zuschlagen könnte. Es geht deshalb vor allem um die Frage: Wann wird eine abstrakte Gefahr konkret?", erklärt Hippler.
Zugleich warnt der Wissenschaftler davor, bei der Terrorabwehr nur radikale Glaubenskrieger im Blick zu behalten. Dafür verweist er auf die Europol-Statistik von 2007 bis 2013. In diesem Zeitraum seien lediglich zehn Prozent aller Terrorismus-Opfer bei Anschlägen von Islamisten gestorben. Das zeigt, wie viele Wurzeln Terrorismus kennt. Auch separatistische und nationalistische Gruppen wie die spanische ETA oder die irische IRA bombten Hunderte Menschen in den Tod. Hinzu kommen rechtsradikale Täter wie der Norweger Anders Breivik.
Gruppen sind leichter zu identifizieren
Dennoch lassen sich auch Gemeinsamkeiten identifizieren. Denn meist kommen zwei Arten von Tätern infrage: Entweder handeln Personen alleine oder gemeinsam. "Gruppen sind leichter zu identifizieren, zu beobachten und zu fassen: Sie müssen kommunizieren, Gelder verschieben oder Waffen und Sprengstoff transportieren. Von ihnen geht jedoch auch ein größeres Gefahrenpotenzial aus", sagt Hippler. Anders hingegen Personen, die auf eigene Faust vorgehen: "Einzeltäter können meist weniger Schaden anrichten: Für eine Person alleine wäre etwa ein Anschlag wie der 11. September 2001 kaum zu organisieren. Allerdings besteht die Gefahr, dass ein potenzieller Einzeltäter unentdeckt bleibt oder nur durch Zufall gefunden wird."
Aber welche Städte oder Plätze in Deutschland sind besonders bedroht? "Terror zielt darauf ab, Aufmerksamkeit für eine Sache zu erregen und die entsprechenden politischen Akteure zu beeinflussen", sagt Hippler. Dafür eignen sich am besten zwei Arten von Zielen. Einerseits solche mit symbolischem Wert – zum Beispiel das World Trade Center als Sinnbild amerikanischer Macht. Andererseits Ziele, die der Rechnung folgen: Je größer der Schaden, je mehr Menschen sterben, desto größer auch die Aufmerksamkeit.
"Was ein Täter als potenzielles Ziel sieht, hängt ganz davon ab, wie er politisch und ideologisch motiviert ist", weiß Hippler. Damit könnten auch weit weniger offensichtliche Ziele als etwa das Brandenburger Tor oder der Bundestag für Anschläge in Betracht kommen, solange sie die Logik der Täter bedienen. Die Deutsche Bank, Autobauer, Kaufhäuser oder die Fußballnationalmannschaft – die Liste ließe sich lange fortsetzen. Als im Januar eine Pegida-Demonstration wegen einer Terror-Warnung abgesagt wurde, vereinte das beide Elemente. Hier die Symbolik: Pegida als Ausdruck von Fremdenfeindlichkeit. Dort die Aufmerksamkeit: eine große Menschenmenge mit vielen möglichen Opfern.
Radikale haben Gemeinsamkeiten
Angesichts dieser vagen Umstände bleibt den deutschen Behörden erst einmal nur: überwachen und beobachten. Das ist die kurzfristige Lösung, um frühzeitig zu erkennen, wann und wo Gefahr droht. Für Hippler aber reicht das alleine nicht aus. Denn der Friedensforscher erkennt hierzulande ein Muster unter vielen Radikalen, wozu etwa ein klein-kriminelles Milieu oder eine abgebrochene Ausbildung gehörten. "In Deutschland sind es meist junge Männer, die versuchen, ihrem eigentlich gescheiterten Leben mit einer anderen Ideologie einen Sinn zu geben." Und das sowohl bei Islamisten als auch Rechtsextremen.
Hippler fordert deshalb: "Man muss Gruppen am Rande der Gesellschaft eine Lebensperspektive bieten, sie rechtzeitig ansprechen und ihnen zeigen, dass sie eine Chance haben in der Schule, auf dem Arbeitsmarkt – überhaupt im Leben." Aber ein solcher präventiver Ansatz funktioniert nur langfristig und braucht Zeit. "Das wird nicht in drei oder vier Jahren gelingen, sondern eher in 20", sagt Hippler. "Doch nur so lässt sich der Sumpf langfristig austrocknen."
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