Nach dem Handgranaten-Wurf auf eine Trauergemeinde muss ein Mann in Haft. Die Tat von Altbach ist nur der Höhepunkt einer Gewaltserie rund um Stuttgart – und die Arbeit des Gerichts ist nicht vorbei.
Bevor er die Handgranate bei der Beerdigung in Altbach bei Esslingen zündet und 15 Menschen vor der Aussegnungshalle zum Teil schwer verletzt, will der 24-Jährige sichergehen. Im Internet sucht er nach Antworten auf Fragen zu scharfen Schreckschusswaffen und Macheten, zu Haftstrafen wegen versuchten Mordes und zu den Rachegedanken und Mordfantasien, die umgehen in ihm.
Monate trägt der junge Mann diese Gedanken mit sich herum, bis er sich schließlich entscheidet, im vergangenen Juni die Handgranate auf dem Altbacher Friedhof zu werfen. Dort hat sich eine verfeindete Bande versammelt, um einen ihrer Anhänger zu bestatten.
Zwölf Jahre Haft nach Granatenwurf
Ein Anschlag "geprägt von besonderer Verwerflichkeit", wie es der Vorsitzende Richter des Landgerichts Stuttgart am Mittwoch beschreibt. Unter anderem wegen versuchten Mordes verurteilt die Kammer den Iraner zu zwölf Jahren Haft. Das Urteil liegt zwischen den Forderungen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung.
Der Anschlag von Altbach ist nur ein Kapitel in der langen Geschichte einer blutigen Fehde verfeindeter Gruppen im Großraum Stuttgart. Aber es ist der Fall, der wegen seiner Schwere bislang das größte Aufsehen erregt hat. Denn zur Beerdigung waren bis zu 200 Menschen auf den Friedhof der 6.000-Seelen-Gemeinde am Neckar gekommen. Und der sogenannte effektive tödliche Splitterradius der Granate beträgt nach Angaben von Ermittlern etwa 20 Meter. Einzelne Teile können noch in Dutzenden Metern schwere Verletzungen verursachen, wenn die 3.000 Stahlkugeln wuchtig in alle Richtungen schießen.
Der reine Zufall rettet viele Leben
Wäre also alles so gelaufen, wie es der 24-Jährige geplant hatte, hätten zahlreiche Menschen ums Leben kommen können. "Die Geschichte in Altbach hätte ein Horrorszenario werden können", sagte der Richter in seiner Urteilsbegründung. "Das war von Ihnen auch so gewollt. Das Schicksal war Ihnen aber gnädig." Denn die Granate prallt an einem Ast ab, sie landet 30 Meter von der Trauergemeinde entfernt und explodiert.
Geständnis und Verhalten des angeklagten Iraners hätten diesen vor der lebenslangen Haft und eventuell auch vor einer Sicherungsverwahrung gerettet, betont der Richter gleich mehrfach. Der 24-Jährige sei ein "Straftäter, der den Wendepunkt verstanden hat".
Weitere Prozesse wegen Altbach laufen
Mit dem Urteil des Landgerichts wird die juristische Aufarbeitung des Handgranaten-Anschlags im Neckartal aber nicht beendet sein. Denn nach dem Urteil gegen den Handgranaten-Werfer wird auch gegen fünf junge Männer verhandelt, die nach der Explosion gemeinsam mit anderen versucht haben sollen, sich an dem Sympathisanten der verfeindeten Gruppe zu rächen. Ihnen wird unter anderem versuchter Totschlag, versuchte und gefährliche Körperverletzung sowie Widerstand gegen die Einsatzkräfte vorgeworfen. Erhoben wurden zuletzt in diesem Fall auch weitere Anklagen.
Die Gruppe von insgesamt 10 bis 15 Menschen soll den mutmaßlichen Granaten-Werfer auf seiner Flucht gefasst, aus einem Taxi gezerrt und wie im Rausch verprügelt haben. Bis die Polizei eintraf, schlugen und traten sie ihn und ließen laut Staatsanwaltschaft auch nicht von ihm ab, als Sanitäter helfen wollten. Der Iraner erlitt lebensgefährliche Verletzungen, er lag im künstlichen Koma und trägt Schäden davon.
Blutiger Bandenkrieg im Raum Stuttgart
Hintergrund der Tat ist nach Ansicht von Ermittlern und Gericht ein seit vielen Monaten tobender Bandenkrieg rund um Stuttgart. Der Granaten-Werfer soll einer Bande aus dem Raum Stuttgart-Zuffenhausen und Göppingen angehören, die Trauergemeinde stand einer anderen Gruppe aus dem Raum Esslingen nahe. Unklar bleibt allerdings auch nach dem ersten Altbacher Prozess die Motivation des Mannes für seinen Anschlag auf dem Friedhof.
Wiederholt wurde im Laufe der Fehde auch auf Menschen geschossen. Bislang gab es nach Angaben des Landeskriminalamtes (LKA) 57 Verhaftungen. Laut Innenministerium und LKA handelt es sich bei den insgesamt rund 550 Anhängern und Unterstützern vor allem um junge und der Polizei bereits bekannte Männer. "Einige von ihnen haben einen Migrationshintergrund, im Kern der Gruppen finden sich zudem mehrere Personen kurdischer Volkszugehörigkeit", hatte Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) erklärt.
Nach Angaben der Ermittler ist unklar, warum sich die beiden Gruppen zusammengeschlossen haben und aus welchem Grund sie sich eigentlich so blutig bekämpfen. Es handele sich nicht um familiäre Clans oder um die klassische Bandenkriminalität. Vielmehr sei die Gewalt nach zumeist wechselseitigen Ehrverletzungen eskaliert, es gehe um territoriale Machtansprüche und das Motto "Crime as a Lifestyle" (Verbrechen als Lebensstil), mit dem sich viele in den Gruppen stark identifizierten.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.