- In Schweden verschärft sich die Debatte um die Corona-Strategie des Landes.
- Mitglieder einer Facebook-Gruppe versuchen andere Länder gegen Schweden aufzuwiegeln.
- Der Radiosender Sveriges Radio hatte die Aktivitäten der Gruppe aufgedeckt.
Eine Facebookgruppe namens "Media Watchdogs of Sweden" heizt die Diskussion um die Corona-Strategie Schwedens neu an. Die Mitglieder der Gruppe versuchen gar, andere Länder dazu zu bringen, Einfluss auf die schwedische Politik zu nehmen.
Ein Beitrag des öffentlich-rechtlichen Radiosenders "Sveriges Radio" hatte die Diskussion ins Rollen gebracht. Die Journalisten hatten darin aufgezeigt, mit welchen rhetorischen Mitteln die Gruppe in den sozialen Medien agiert.
So behaupten die "Watchdogs", die Schweden seien einer Gehirnwäsche unterzogen worden. Die Corona-Strategie des Landes bezeichnen sie als völlig misslungen. Die Aussagen gipfeln in der Forderung, die Verantwortlichen für die schwedische Pandemiebekämpfung vor den internationalen Gerichtshof zu stellen.
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Facebookgruppe will gescheiterte schwedische Corona-Politik bekämpfen
In der Facebookgruppe sind rund 200 Mitglieder aktiv. Darunter zahlreiche Wissenschaftler an schwedischen Universitäten. Auf der Kommunikationsplattform Twitter bezeichnet sich die Gruppe als "NGO mit dem Fokus, die gescheiterte schwedische COVID-19-Strategie aufzudecken und sich für die Verfolgung der Architekten der Strategie vor internationalen Gerichten einzusetzen".
Dabei dient die geschlossene Facebookgruppe zur Koordination aller Aktivitäten. Die Mitglieder verbreiten ihre Botschaften in den sozialen Medien und publizierten sogar in renommierten Blättern wie "Time", "Science" und der "Washington Post".
Dabei dient die geschlossene Facebookgruppe zur Koordination aller Aktivitäten. Die Mitglieder posten in Kommentarfeldern, auf Twitter oder senden Nachrichten an internationale Medien. Unter anderem hatten "Time", "Science" und die "Washington Post" Nachrichten erhalten.
Außerdem wurden Länderregierungen in ganz Europa kontaktiert. Die Forderung: Quarantäneregelungen für Schweden einzuführen, oder die Grenzen für die Skandinavier ganz dicht zu machen.
Image von Schweden im Ausland soll geschädigt werden
Experten stufen die Aktivitäten der Gruppe als besorgniserregend ein. James Pamment, außerordentlicher Professor für strategische Kommunikation an der Universität Lund, hat die Strategie der Gruppe analysiert.
Es gebe vor allem zwei Ziele, sagt Pamment in dem Beitrag von Sveriges Radio. Zum einen wollten die "Watchdogs" die schwedische Coronapolitik beeinflussen. Zum anderen gehe es aber auch darum, das Image Schwedens im Ausland zu schädigen. Vor allem mit letzterem werde eine Grenze überschritten, sagt Pamment.
Der Angriff auf das Image Schwedens scheint bei vielen einen Nerv zu treffen. Von demokratieschädigendem Verhalten der Gruppe ist da die Rede. Die Epidemiologin Emma Frans, die von den "Watchdogs" scharf angegangen wurde, bezeichnet deren Aussagen schlicht als absurd. Sie kenne Wissenschaftler, die sich nicht mehr trauten in den Medien aufzutreten, schreibt Frans auf Twitter.
Vertrauen in die schwedische Regierung bröckelt
Doch die heftige Reaktion auf die “Watchdogs“ zeigt auch etwas anderes: Kritik an den schwedischen Institutionen scheint nicht erwünscht. Es werde so dargestellt, als ob es unangemessen oder gar gefährlich wäre, negative Meinungen zur schwedischen Strategie zu äußern, sagt etwa Jan Lötvall von der Universität Göteborg gegenüber der Zeitung “Aftonbladet“. Anders Vahlne, emeritierter Professor am Karolinska-Institut, spricht gar von “Stasi-Vibes“.
Tatsächlich sehen sich viele Kritiker der Regierungsstrategie Anfeindungen ausgesetzt. Das berichtet zum Beispiel Fredrik Elgh, Professor für Virologie an der Universität Umeå im Gespräch mit Sveriges Television. Der Wissenschaftler hatte sich wiederholt für stärkere Corona-Beschränkungen ausgesprochen. Daraufhin wurde er massiv bedroht – per Mail oder in den sozialen Medien.
Doch das Vertrauen in die Strategie der Regierung bröckelt. So zeigen Umfragen, dass sich die schwedischen Bürger stärkere Maßnahmen zur Infektionseindämmung wünschen. Im Dezember 2020 gaben 59 Prozent der Befragten an, dass sie die derzeitigen Beschränkungen nicht für ausreichend halten. Im Oktober waren es lediglich 25 Prozent gewesen.
Ändert Schweden seine Corona-Strategie?
Die Infektionszahlen in Schweden sind seit Beginn der Pandemie hoch. Die Strategie, statt auf Verbote mehr auf Eigenverantwortung zu setzen, war bislang nur leidlich erfolgreich. Auch Staatsepidemiologe Anders Tegnell musste schon Fehler zugeben – zum Beispiel beim Schutz von Pflegeheimen.
Mit einer 7-Tage-Inzidenz von 216 (Stand 18. Februar 2021) steht Schweden derzeit auf Platz 22 der höchsten Infektionsraten weltweit. Aussagekräftiger ist aber der Vergleich mit den direkten Nachbarn Norwegen und Finnland, die beide wesentlich bessere Werte vorzuweisen haben - und diese mit strikteren Maßnahmen erreichen.
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Strengere Einschränkungen in Schweden
Dass auch Schweden über kurz oder lang nicht an solchen Maßnahmen vorbeikommt, deutet sich nun an. In Restaurants wurde die erlaubte Anzahl der Menschen an einem Tisch halbiert. Und nach fast einem Jahr Pandemie wird nun das Tragen eines Mund- und Nasenschutzes in öffentlichen Verkehrsmitteln zur Hauptverkehrszeit zumindest empfohlen.
In Schweden werden die Weichen gestellt. Dabei geht es wohl noch um mehr als den Schutz vor dem Virus. Es geht um die Art und Weise, wie öffentliche Diskussionen geführt werden. Und damit auch um den Schutz der Demokratie.
Verwendete Quellen:
- Aftonbladet.se: "Förtroendet för Folkhälsomyndigheten störtdyker"
- Aftonbladet.se: "Professorer pekas ut i dold Facebook-grupp"
- Corona-in-Zahlen.de: "Corona-Zahlen für Schweden"
- Sveriges Radio: "Dold Facebookgrupp försöker påverka svenska intressen utomlands"
- svt Nyheter: "Professor Fredrik Elgh utsatt för hundratals hot under pandemin"
- Twitter-Account der Media Watchdogs of Sweden
- Twitter-Account von Emma Frans
Wegen Nebenwirkungen: Schweden stoppt Verabreichung des AstraZeneca-Impfstoffs teilweise
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