- Kremlgegner Nawalny ist erstmals seit seinem Hungerstreik wieder zu sehen.
- Einen Auftritt vor Gericht nutzt er für neue Angriffe auf Kremlchef Putin.
- Aber es bleibt auch Zeit für ein Gespräch mit seiner Frau.
Mit knöchernem Gesicht und kahlgeschorenem Kopf ist der von seinem dreiwöchigen Hungerstreik geschwächte Kremlgegner
Sein Vertrauter Leonid Wolkow, der im Ausland lebt, berichtet, die Regionalstäbe der Oppositionsbewegung im ganzen Land würden nun unter dem Druck des Vorgehens der russischen Justiz geschlossen - als Reaktion auf ein Verfahren wegen angeblichem Extremismus. Wann das Urteil dazu fällt, ist nicht klar. Allerdings haben Staatsanwaltschaft und das Gericht schon Organisationen der Bewegung lahmgelegt, auch Teile von Nawalnys Anti-Korruptions-Stiftung.
Nawalnys Juristen fordern weiter, den "Geheimprozess" zu öffnen und die Unterlagen mit den Anschuldigungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Doch solche Appelle wie auch die internationalen Aufrufe für eine Freilassung prallen an den Kremlmauern ab. 25 Jahre politische Aufbauarbeit seien nun zerstört, heißt es in Nawalnys Team. Er selbst wird nicht gehört in diesem Verfahren.
Nawalny beklagt Machtmissbrauch und Justizwillkür
Nawalny nutzt aber bei einem am selben Tag angesetzten Berufungsprozess in einem anderen Verfahren die Gelegenheit, um einmal mehr Machtmissbrauch und Justizwillkür unter Putin zu beklagen. In seinem Schlusswort spricht er gewohnt ironisch, wenn auch weniger kräftig als zuletzt: "Ich möchte sagen, mein liebes Gericht, dass Ihr Kaiser nackt ist."
20 Jahre völlig unfähiger Führung unter Putin hätten zu diesem Ergebnis geführt: "Es gibt eine Krone, die über die Ohren rutscht. Es gibt tonnenweise Lügen im Fernsehen. Und es gibt natürlich einen riesigen persönlichen Reichtum." Nawalny beklagt Missstände im Bildungs- und Gesundheitswesen und kritisiert, dass die Rohstoffmacht trotz Milliardeneinnahmen aus Öl und Gas nicht vorankomme. Hunderttausende verließen das Land, um anderswo eine bessere Zukunft zu suchen.
UIm sein Straflager in Pokrow rund 100 Kilometer östlich von Moskau gebe es kaum ordentliche Straßen; das durchschnittliche Einkommen liege bei 30.000 Rubel (rund 330 Euro). Richterin Natalja Kuryschewa unterbricht ihn immer wieder; doch redet Nawalny aus, bevor sie ihm sagt, dass seine Berufung gegen ein Urteil wegen Beleidigung eines Veteranen des Zweiten Weltkrieges abgewiesen ist. Sie sieht es als erwiesen an, dass Nawalny den Mann als "Verräter" beleidigt habe. Kuryschewa bestätigt auch die Strafe: 850.000 Rubel (9400 Euro).
Emotionale Worte an seine Frau
Nawalny nutzt eine Beratungspause, um mit seiner im Saal sitzenden Frau Julia zu sprechen. "Juljaschka, wenn du mich hörst, steh doch für eine Sekunde auf, damit ich dich anschauen kann." Sie steht auf und nimmt die schwarze Maske ab. "Ich bin schrecklich froh, dich zu sehen", sagt er. "Und ich bin froh, dich zu sehen", erwidert sie.
72 Kilo wiegt der Gegner von Putin nach seinem Hungerstreik noch. "Ich sehe natürlich aus wie ein Skelett." Nawalny erwartet eine wochenlange Phase, um unter ärztlicher Beobachtung wieder zu Kräften zu kommen. "Gestern hatte ich vier Löffel Brei, heute werde ich sechs haben und warte nun auf zehn", sagt er.
Nawalny sagt, dass er komplett von den Informationen der Außenwelt abgeschottet sei. Er klagt auch gegen den Strafvollzug, ihm das Recht auf Zeitungen und Bücher zu gewähren. Und fordert, wegen eines Rückenleidens und Lähmungserscheinungen in den Gliedmaßen von unabhängigen Spezialisten behandelt zu werden.
Der Kremlgegner wurde am 17. Januar bei seiner Rückkehr aus Deutschland, wo er sich von einem Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok erholt hatte, in Moskau festgenommen. Ein Gericht verurteilte ihn danach zu einer mehrjährigen Haft im Straflager, weil er gegen Bewährungsauflagen in einem früheren Verfahren verstoßen haben soll. Nawalny hält die verschiedenen Strafprozesse und das Attentat gegen ihn für politisch motiviert, um ihn kaltzustellen. (dpa/fra) © dpa
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