Das Phänomen der Horror-Clowns hat nach den USA jetzt auch Großbritannien erreicht. Bisher ist völlig unklar, was sich für Menschen hinter den gruseligen Clown-Masken verbergen. Sicher ist nur, dass die Gestalten inzwischen auch von der Polizei verfolgt werden. Und die makabren Auftritte immer mehr Nachahmer finden.
Wir haben mit Michael Stuhlmiller gesprochen, der seit den neunziger Jahren die staatlich anerkannte "Schule für Clowns Komik & Comedy" in Hofheim-Lorsbach leitet. Im Interview erklärt der Clown-Ausbilder, was für Menschen sich seiner Meinung nach hinter der Maske der "Horror-Clowns" verbergen - und warum die Wirkung dieser Bilder langfristig fatale Konsequenzen haben könnte.
Herr Stuhlmiller, aus Ihrer Perspektive als Clown-Ausbilder, warum verkleiden sich in den USA und inzwischen auch in Großbritannien Menschen als Clown, um andere zu erschrecken?
Michael Stuhlmiller: Bei diesen Vorfällen wird etwas positives wie das Bild des Clowns genutzt, um die Menschen anzulocken - und sie dann zu frustrieren, indem sich das positive Bild in eine Horror-Maske verwandelt. Es geht um die Lust am Erschrecken. Und der Schreck ist natürlich umso größer, wenn sie den Menschen zuerst mit einem positiven Bild emotional öffnen und in Sicherheit wiegen. Das Prinzip würde auch mit anderen Symbolen als dem Clown funktionieren, zum Beispiel einer Prinzessin aus dem Märchen, einer schönen Kinder-Puppe, spielenden Kindern oder ähnlichen, positiv besetzten Bildern. Und die Lust, anderen Menschen einen Schreck einzujagen, ist ein sehr altes Prinzip.
Aber viele Menschen finden Clowns ja auch so schon unheimlich, warum ist das so?
Wenn Leute Angst haben vor Clowns, haben sie oftmals schlechte Erfahrungen gemacht. Wenn Sie sich zum Beispiel so Clowns in der Fußgängerzone ansehen, dann sind das oft traurige Gestalten, die irgendwelche seltsamen Sachen machen, aber keine ausgebildeten Clowns sind. Solche Clowns sind unter Umständen tatsächlich "Horror-Gestalten". Es ist, wenn sie so wollen, wie mit dem Zirkus, den viele Menschen nicht mögen, weil sie ihn mit Tierquälerei verbinden. Das trifft sicher auf einige zu, aber natürlich keineswegs auf alle.
Aber appelliert die Figur des Clown nicht auch an die dunkle Seite im Menschen?
Im engeren Sinn steht der Clown immer für etwas positives. Man kann natürlich den Begriff Clown sehr umfassend begreifen, indem man jeden, der sich in der Kabarett-Szene bewegt, zur Welt des Clowns zählt. Unsere Schule heißt ja auch "Schule für Clowns, Komik & Comedy". Auch Heinz Erhardt war so gesehen ein Clown oder Louis de Funès. Oder Heinz Schubert als Ekel-Alfred in den Siebzigern. Aber bei Ekel-Alfred sehen Sie zum Beispiel schön, dass dessen Komik daraus resultierte, dass er ein ziemlicher Fiesling war. Und er drückte in dieser übertriebenen Comedy-Darstellung natürlich Frustrationen, Ängste und unterdrückte Gefühle des Kleinbürgers aus. Und etwas ähnliches beobachten wir jetzt auch, wenn Menschen mit solchen Masken rumrennen.
Also könnten sich aus Ihrer Perspektive hinter diesen Masken "Kleinbürger" verbergen, die eine Macht ausleben, die sie im normalen Leben vermissen?
Das ist richtig, aber wenn sie Ekel-Alfred nehmen, dann zeigt dort eine Figur bzw. ein Schauspieler offen sein Gesicht und riskiert auch, dass jemand zu ihm sagt: sag mal, was bist Du eigentlich für ein Ekel. Dieses Agieren hinter einer Maske und das Erschrecken aus dem Hinterhalt erscheint mir dagegen einfach nur feige und gemein. Man traut sich Sachen auszuleben, die man sich sonst nicht trauen würde. Oft tauchen hinter solchen Figuren Teenager auf, die sich einen Spaß erlauben und an der eigenen Macht ergötzen. Oder andere Gestalten, die sich im normalen Leben nicht ernst genommen fühlen. Es ist ja grundsätzlich nichts falsches daran, seine Schattenseite auch auszuagieren. Aber das Entscheidende ist, es offen zu tun und auch die Reaktionen auszuhalten. Genau das wollen die Menschen, die als Horror-Clowns auftreten vermeiden. Sie wollen kurz auftauchen und gleich wieder verschwinden.
Also nichts als dumme Kinderstreiche?
Das Schlimme an diesen Vorgängen ist, dass damit eine Verwirrung geschaffen wird und die Menschen irgendwann nicht mehr unterscheiden können: Was ist gut und böse? Die Horror-Clowns sind natürlich Bilder, die sich einprägen und damit die jahrzehntelange Arbeit echter Clowns zerstören. Damit wird viel kaputt gemacht. Mittlerweile finden Sie in jeder größeren deutschen Stadt einen Verein für Klinik-Clowns oder für Clowns, die in Senioren-Einrichtungen gehen. Damit haben wir eine sehr große und wertvolle Arbeit auf die Beine gestellt, die jetzt durch derartige Aktionen total blockiert wird. Wenn jetzt jemand einen Artikel über böse Clowns in der Zeitung liest und am nächsten Tag auf einen Clown in einer Klinik trifft, hat er ein schlechtes Gefühl, weil das Positive, für das der Clown steht, durch solche Aktionen in das absolute Gegenteil verkehrt wird. Damit wird eine Arbeit, die wir über Jahre zu Gunsten des Gemeinwohls aufgebaut haben, total zerstört.
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