Am 24. März jährt sich der Germanwings-Absturz in den französischen Alpen zum vierten Mal. Viele Hinterbliebene sind mit den Ergebnissen der Untersuchung nicht zufrieden. Sie geben der Lufthansa eine Mitschuld - und hatten damit teilweise Erfolg.
Am Sonntag, dem 24. März, werden sich im westfälischen Haltern am See trauernde Eltern in den Armen halten, sich gegenseitig trösten und Blumen auf die Gräber ihrer Kinder legen.
Wie jedes Jahr seit jenem verhängnisvollen 24. März 2015, an dem das Leben einer Schulklasse des örtlichen Joseph-König-Gymnasiums in den südfranzösischen Alpen zerschellte.
Genau vier Jahre ist es her, dass sich mit dem Absturz von Germanwings-Flug 9525 eine der schwersten Flugzeug-Katastrophen in der deutschen Luftfahrtgeschichte ereignete.
Der 27-jährige Copilot Andreas Lubitz hatte den Flugkapitän auf der Strecke von Barcelona nach Düsseldorf nach einem Toilettengang aus dem Cockpit gesperrt und den Airbus A320 mutwillig in einen Berg gesteuert. 150 Menschen starben, darunter sechs Besatzungsmitglieder und 16 Schüler.
Die Behörden ermittelten schnell, dass es sich bei dem Absturz um einen erweiterten Suizid des Copiloten handelte. Andreas Lubitz wollte mit seinem eigenen Leben auch das seiner Passagiere beenden.
Doch vielen Hinterbliebenen ist diese offizielle Erklärung bis heute zu einfach. Sie geben der Germanwings-Muttergesellschaft Lufthansa eine Mitschuld, an deren Flugschule Lubitz zum Piloten ausgebildet wurde.
Trotz psychischer Erkrankung erhielt Andreas Lubitz seine Fluglizenz
Denn Lufthansa war die gefährliche Erkrankung ihres Piloten bekannt. Vor Abschluss seiner Ausbildung wurde der damalige Flugschüler nach Angaben des Leitenden Oberstaatsanwalts Düsseldorf vom 30. März 2015 wegen einer Suizidgefährdung psychotherapeutisch behandelt, hatte seinen Lehrgang zeitweise sogar unterbrechen müssen. Sein Tauglichkeitszeugnis führte seitdem zwar einen Sondervermerk, wurde aber jedes Jahr verlängert.
Für den Tag des Absturzes war Lubitz offiziell krankgeschrieben. Das Attest eines Facharztes erreichte Germanwings aber nie. Die Polizei fand es zerrissen in Lubitz' Wohnung.
Mit diesem Ermittlungsergebnis wurde die Diskussion politisch. Müssen Ärzte die Luftfahrtbehörden informieren, wenn Piloten ein Risiko für die öffentliche Sicherheit darstellen?
Die französische Flugbehörde BEA legte den EU-Staaten in ihrem Abschlussbericht ein solches Vorgehen nahe. Doch die deutsche Politik fügte sich dem Druck von Therapeuten, Medizinern und Gewerkschaften.
Die Ärzte warnten vor einer möglichen Verletzung der Schweigepflicht, die Vereinigung Cockpit sprach gar von "Zwangskontrollen" und sah betroffene Piloten in den "Untergrund" gedrängt. Zu einer Reform der Schweigepflicht kam es nicht.
Opferfamilien beklagen bis heute das Verhalten der Lufthansa
Die Fronten zwischen den Opfern und der Lufthansa sind vier Jahre nach dem Unglück noch immer verhärtet.
Im vergangenen Jahr wandten sich zahlreiche Hinterbliebene mit einem Brief an Lufthansa-Vorstandschef Carsten Spohr und beklagten zu geringe Entschädigungen sowie eine "Strategie des Mürbemachens und der Drohungen" seitens Lufthansa.
Mit einer Entschädigungspauschale von 25.000 Euro pro Opfer und 10.000 für nahe Angehörige werde nicht einmal die Grabpflege abgedeckt, kritisierten sie.
Tatsächlich: Bei vergleichbaren Unglücken gingen die Entschädigungszahlungen in die Millionen. Als 1999 der Copilot eines Fluges der Egypt Air seine Maschine absichtlich in den Atlantik steuerte, erstritt ein US-Anwalt für die Angehörigen eines der Opfer 3,6 Millionen US-Dollar Schadenersatz.
In Deutschland führte der stetige Druck der Opferanwälte immerhin zu teilweisem Erfolg. Fünf Familien erhielten Ende 2018 ein höheres Schmerzensgeld, über dessen exakte Summe Stillschweigen vereinbart wurde.
Eine Klage gegen die Lufthansa-Flugschule in den USA, wo Opfern meist höhere Summen zugesprochen werden, wies ein Gericht allerdings ab.
Lubitz' alternative Theorie zum Unfallhergang
Im März 2017, dem zweiten Jahrestag der Katastrophe, schaffte es Lubitz noch einmal in die Schlagzeilen.
Gemeinsam mit dem Luftfahrtjournalisten Tim van Beveren legte Günter Lubitz, der Vater des Piloten, eine alternative Theorie zum Unfallhergang vor und zog nennenswerte Teile des 124 Seiten langen Untersuchungsberichts der französischen Luftfahrtbehörde in Zweifel.
Es gebe "erhebliche Zweifel" an der "erwiesenen Schuld" von Andreas Lubitz, heißt es in dem 300-seitigen Papier. Die Maschine habe bereits in der Vergangenheit Probleme mit der Cockpit-Verriegelung gehabt.
Zudem spreche einiges dafür, dass eine mögliche Verunreinigung der Kabinenluft Lubitz schwer beeinträchtigt habe. Auch schlechtes Wetter könnte eine Rolle bei dem Absturz gespielt haben. Günter Lubitz verwehrte sich zudem gegen die Darstellung, sein Sohn sei depressiv gewesen. Er beschrieb ihn als einen "lebensbejahenden, verantwortungsvollen Menschen".
Die zuständige Staatsanwaltschaft Düsseldorf ließ sich von dem Gutachten nicht überzeugen. Es gebe keine Hinweise darauf, dass andere Menschen als Lubitz für den Tod der 150 Menschen verantwortlich seien.
Im Luftverkehr hat sich seit dem 24. März 2015 dennoch einiges geändert. So haben zahlreiche EU-Länder genauere psychologische Untersuchungen sowie unangekündigte Alkohol- und Drogentests eingeführt.
Bei vielen Airlines gibt es seitdem eine Zwei-Mann-Regel: Sucht ein Pilot die Toilette auf, muss sich in dieser Zeit ein Flugbegleiter im Cockpit aufhalten.
Verwendete Quellen:
- Aviation Herald: Crash: Germanwings A320 near Barcelonnette on Mar 24th 2015, first officer alone in cockpit, initiated rapid descent, aircraft impacted terrain
- Wikipedia: Germanwings-Flug 9525
- Tim van Beveren: Gutachten zum Absturz von Germanwings-Flug 4U9525
- WELT: "Unser Sohn war zum Zeitpunkt des Absturzes nicht depressiv"
- n-tv: Familien erhalten höheres Schmerzensgeld
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