Ein 19-Jähriger verliebt sich in eine Frau, die nach islamischem Ritus bereits mit einem anderen Mann verheiratet ist. Deshalb sollte er sterben - sagt die Staatsanwaltschaft. Jetzt stehen elf Männer und zwei Frauen vor Gericht.
Angeblich war es eine Frage der Ehre: Mit Knüppeln und Holzlatten lauern die Täter einem 19-Jährigen in Essen auf und prügeln ihn fast zu Tode. Einer der Angreifer soll außerdem ein Messer gezückt haben, "um ihn abzuschlachten", wie es in der Anklage heißt.
Ein angebliches Liebesverhältnis mit einer 17-Jährigen aus der Familie der mutmaßlichen Täter soll der Grund für die brutale Attacke gewesen sein. Die Jugendliche war bereits nach islamischem Ritus mit einem anderen Mann verheiratet. Deshalb wollte ihre Familie nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft Rache.
Knapp acht Monate danach begann am Dienstag am Essener Landgericht der Prozess gegen elf Männer und zwei Frauen - sie sind Mitglieder einer syrischen Großfamilie, das Opfer stammt ebenfalls aus Syrien. Die Anklage lautet auf Mordversuch und Beihilfe dazu. Drei wollen Geständnisse ablegen, wie ihre Verteidiger am Dienstag ankündigten, die anderen erst einmal schweigen.
Handy-Videos zeigen Ausschnitte des Angriffs
Dem Opfer war in der Nacht auf den 31. Mai 2018 vor dessen Essener Wohnung aufgelauert worden. Laut Anklage eskalierte die Situation in einem Hinterhof, in den sich das Opfer geflüchtet hatte.
Von der Tat gibt es Handy-Videos, die von einigen der Angeklagten angefertigt worden sein sollen. Allein auf dem zeitlich ersten Video sollen 31 Schläge, Tritte, Stiche oder Schnitte zu sehen sein.
Der 19-Jährige erlitt schwere Kopfverletzungen. Laut Anklage kam es zu einer "Teilskalpierung". Außerdem wurden Unterbauch, Leber und Darm verletzt. Das Leben des Schülers konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden. Es bestand akute Lebensgefahr. Eine Zeugin hatte die Szene von ihrem Balkon beobachtet und die Polizei alarmiert.
Auch 17-Jährige sollte umgebracht werden
"Es ging um die Ehre", heißt es in der Anklageschrift. Anfangs sei sogar beschlossen worden, auch die 17-Jährige umzubringen. Davon hätte ihre Familie aber noch abgebracht werden können.
"Die körperlichen Wunden sind verheilt, doch die seelischen werden bleiben", sagte der Anwalt des Opfers, Aykan Akyildiz. Mit einer weiteren Eskalation der Gewalt durch die Angehörigen des 19-Jährigen sei nicht zu rechnen. "Die Familie hegt keine Rachegedanken." Sie sei sehr gut in die Gesellschaft integriert und vertraue auf den deutschen Rechtsstaat.
Trotzdem findet der Prozess unter besonderem Polizeischutz statt. Einer der Angeklagten, der nach seiner Festnahme ein Geständnis abgelegt haben soll, ist im Zeugenschutzprogramm. Der 25-Jährige wurde zum Auftakt von vermummten Spezialkräften der Polizei in den Gerichtssaal geführt.
Mitangeklagt ist auch die Mutter der 17-Jährigen. In ihrer Wohnung soll in den Stunden vor der Tat die Vorgehensweise besprochen worden sein.
Einige der Verteidiger kritisierten zu Prozessbeginn die Anklageschrift deutlich. "Man versucht, das Bild einer kriminellen Großfamilie zu zeichnen, das es so nicht gegeben hat", sagte Anwalt Johannes Daners vor dem Prozess. Im Verfahren ergänzte er: "Anklage und Vorwürfe werden sich nicht bestätigen."
Andere Verteidiger beantragten die Aussetzung des Strafverfahrens, weil die Anklageschrift nicht richtig ins Arabische übersetzt worden sei. Darüber muss das Essener Schwurgericht nun entscheiden. Für den Prozess sind bislang noch 26 Verhandlungstage bis zum 12. Juli vorgesehen. © dpa
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