Vor zwei Jahren wurde die Journalistin Daphne Caruana Galizia auf Malta ermordet. Caroline Muscat führt ihr Werk fort. Ein Gespräch über alltägliche Korruption und die mangelhafte Aufarbeitung des Attentats.
Am 16. Oktober 2017 steigt Daphne Caruana Galizia in ihr Auto, um in die nächstgelegene Stadt zu fahren. Sie ist noch nicht weit gekommen, als die Bombe explodiert. Die maltesische Journalistin hatte sich zuvor mit den regierenden Sozialdemokraten angelegt, Premierminister Joseph Muscat und seinem Umfeld Korruption vorgeworfen. Wer hinter dem Mordanschlag auf sie steckt, ist bis heute ungeklärt.
Caroline Muscat will sich damit nicht abfinden. Die Journalistin gab nach dem Attentat ihren Job auf und gründete die investigative Nachrichtenseite "The Shift News", die das Werk der Ermordeten fortführt. Vor Kurzem hat sie in Berlin den "Press Freedom Award" in der Kategorie Unabhängigkeit der Organisation "Reporter ohne Grenzen" erhalten.
Im Interview mit unserer Redaktion erklärt Caroline Muscat, warum es um die Pressefreiheit in Malta immer noch schlecht bestellt ist – und auf welche Hürden sie in ihrer täglichen Arbeit stößt.
Frau Muscat, wissen Sie noch, was Ihnen durch den Kopf ging, als Sie vom Tod Ihrer Kollegin Daphne Caruana Galizia hörten?
Caroline Muscat: Das war ein extremer Schock. Wir als ihre Leser, Kollegen, Freunde haben uns zwar immer Sorgen gemacht, dass ihr etwas passieren könnte – aber bestimmt nicht das.
Sie musste eine Hasskampagne der regierenden Partei ertragen und wurde bedroht: Es gab mehrere Versuche, ihr Haus niederzubrennen, ihre Hunde wurden getötet, ihre ganze Familie wurde in Gefahr gebracht. Ich habe ein paar Wochen vor ihrer Ermordung mit Daphne Caruana Galizia gesprochen. Sie sagte damals: 'Was werden sie jetzt noch machen? Mich in die Luft jagen?' Selbst sie hätte das nicht für möglich gehalten.
"Diese Leute besitzen heute noch so viel Macht wie zuvor"
Hat sich nach ihrem Tod etwas in Malta verändert – zum Beispiel was den Kampf gegen Korruption betrifft?
Das Thema beschädigt noch immer den Ruf der Insel. Die Behörden haben all die Skandale, die aufgedeckt wurden, nie aufgearbeitet.
Malta ist das einzige EU-Mitgliedsland mit einem Minister und einem Stabschef des Ministerpräsidenten, die in den Panama Papers auftauchen. Diese Leute besitzen heute noch so viel Macht wie zuvor.
Allerdings ist die regierende Labour Party auch trotz aller Korruptionsvorwürfe 2017 vom Volk wiedergewählt worden.
Dazu muss man den politischen Kontext kennen. Malta ist ein politisch sehr gespaltenes Land. Wir haben zwei große Parteien, die auch die Medienlandschaft kontrollieren. Die meisten Medien sind im Besitz dieser Parteien.
Man bekommt hier nicht viele Nachrichten, aber sehr viel Propaganda. Institutionen, die die Mächtigen eigentlich kontrollieren sollten, sind nicht wirklich unabhängig. Insgesamt haben wir eine beschädigte Demokratie.
Gibt es also überhaupt keine unabhängigen Medien?
Die Öffentlichkeit bekommt die meisten Informationen aus dem Fernsehen. Es gibt aber keine unabhängigen Nachrichtensender, die wirklich von Bedeutung wären. Der staatliche Rundfunk wird stets kontrolliert von der Partei, die gerade an der Macht ist.
Die politischen Parteien haben TV-Sender, Zeitungen, Radiostationen. Was die Presse angeht, gibt es eine Handvoll unabhängiger Zeitungen, die aber auf Englisch und nicht auf Maltesisch erscheinen. Auch unabhängige Redaktionen sind zudem auf staatliche Werbung angewiesen. Die Mittel für diese Werbung nutzt die Regierung, um die Agenda unabhängiger Redaktionen zu beeinflussen.
Sie gehören zu den Gründern von "The Shift News". Wie kam es dazu?
Es war schon vor Daphnes Tod klar, dass Malta ein unabhängiges Nachrichtenangebot braucht, damit sie nicht mehr alleine ist. Doch sie wurde umgebracht, bevor wir "The Shift News" aufbauen konnten.
Innerhalb von drei Wochen nach ihrem Tod haben wir es dann gegründet. Wir fanden das als Antwort an die Drahtzieher des Verbrechens sehr wichtig. Wir wollten deutlich machen: Ihr könnt uns nicht zum Schweigen bringen.
"Es ist für uns eine Herausforderung, zu überleben"
Welches Ziel verfolgt "The Shift News"?
Wir sind ein investigatives Nachrichtenmagazin und konzentrieren uns vor allem auf die Verteidigung der Pressefreiheit. Finanziert wird es durch Spenden, zum Beispiel aus Mitteln für investigativen Journalismus. Es ist für uns eine Herausforderung, zu überleben – von Tag zu Tag.
Da Sie wissen, was mit Daphne Caruana Galizia passiert ist: Haben Sie manchmal Angst bei dem, was Sie tun?
Unsere Arbeit wird natürlich behindert. Ich werde immer wieder als Agent der Opposition beschimpft. Aber ich denke nicht darüber nach, ob ich Angst habe. Dann wäre ich nicht in der Lage, zu arbeiten.
Wie beurteilen Sie die Ermittlungen zum Tod von Daphne Caruana Galizia? Die mutmaßlichen Mörder wurden zwar gefasst, nicht aber deren Auftraggeber.
Das Verfahren gegen die drei Verdächtigen, die das Attentat ausgeführt haben sollen, hat noch nicht einmal begonnen. Was die Drahtzieher angeht, gibt es bisher keine klaren Hinweise. Der Europarat hat gerade einen Bericht zum Thema veröffentlicht, in dem er seine Besorgnis über die Ermittlungsergebnisse zum Ausdruck bringt. Der Bericht hat eine dreimonatige Frist gesetzt für die Einleitung einer unabhängigen Untersuchung.
Haben Sie überhaupt noch die Hoffnung, jemals zu erfahren, wer die Drahtzieher sind?
Ich weiß nur: Wir werden nicht aufhören, bis wir es wissen.
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