Ein Passagierflugzeug mit 298 Insassen überfliegt das umkämpfte Gebiet der Ostukraine – wie schon etliche Flugzeuge vor ihm. Doch dann lässt eine Rakete die Maschine in der Luft explodieren. Weil noch immer niemand Verantwortung für diese unfassbare Tragödie übernommen hat, kursieren weiterhin unterschiedliche Versionen darüber, was am 17. Juli tatsächlich mit Flug MH17 geschehen ist. Aber wie glaubwürdig sind sie?
Die genauen Hintergründe sind weiterhin unklar: Warum ist die Malaysia-Airlines-Maschine mit der Flugnummer MH17 auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur abgestürzt? Ermittlungen zu Unfallursache seien nur eingeschränkt möglich, heißt es, weil das riesige Absturzgebiet derzeit von pro-russischen Separatisten kontrolliert wird.
So sieht es Washington
Laut US-amerikanischen Geheimdiensten haben anti-ukrainische Separatisten die Boeing 777 vor einer Woche für einen ukrainischen Militärtransporter gehalten und deshalb abgeschossen. Dabei berufen sich die Beamten auf abgehörte Telefonmitschnitte, Satellitenfotos und Nachrichten, welche die Rebellen kurz nach dem Absturz in sozialen Netzwerken veröffentlicht hatten. "Die wahrscheinlichste Erklärung ist, dass es ein Fehler war", sagte der stellvertretende US-Sicherheitsberater Ben Rhodes dem TV-Sender CNN.
Eine direkte Mitschuld Moskaus konnte zwar nicht festgestellt werden. Allerdings soll eine Verlegung schwerer Waffen aus Russland in die Ostukraine beobachtet worden sein. Um was für Waffensysteme es sich dabei handelt oder wer diese betätigt hat, lässt sich noch nicht sagen. Außenminister John Kerry forderte Russland unterdessen trotzdem auf, die Verantwortung für den Zwischenfall zu übernehmen.
Moskau wehrt ab
Andrej Kartopolow vom russischen Generalstab hat eine andere Erklärung für das Unglück. Ein ukrainischer Kampfjet vom Typ Suchoi-25 soll das Flugzeug attackiert haben. Das hätten Aufzeichnungen der russischen Flugüberwachung ergeben. "Die Entfernung der SU-25 zur Boeing lag zwischen drei und fünf Kilometern", sagte Kartopolow am Montag. Eine geringe Entfernung, um sein Ziel hundertprozentig zu zerstören, so der Generalleutnant. Ukrainische Angaben, dass am Unglückstag gar kein Kampfflugzeug am Himmel gewesen wäre, seien falsch, sagte Kartopolow.
Um seine Behauptung zu stützen, veröffentlichte der Generalstab am Montag im Moskauer Lagezentrum Satellitenaufnahmen und Zeichnungen, die den MH17-Flug veranschaulichen sollten. Darauf zu sehen: Flugabwehrsysteme des Typs "BUK" im Separatistengebiet. Moskau forderte von Kiew daraufhin eine Erklärung, warum solche Systeme im Separatistengebiet stationiert seien – immerhin hätten die Separatisten selbst keine Flugzeuge.
Kiew macht Druck
Auch Kiew wirft den Aufständischen vor, für den Absturz der Passagiermaschine verantwortlich zu sein. Es gebe deutliche Hinweise darauf, dass die Rebellen nicht nur Luftabwehrraketen aus Russland bekommen hätten. Wahrscheinlich sei auch, dass ausgebildete Militärs in die Ostukraine gekommen seien, um die komplizierten BUK-Waffensysteme selbst zu bedienen.
Wo sich das Abwehrsystem momentan befindet, dazu gibt es bislang keine verlässlichen Informationen. Ukrainische Sicherheitskreise vermuten, dass es eventuell wieder nach Russland zurückgebracht worden sei.
Unschlüssige Rebellen
Die Rebellen bestreiten offiziell, im Besitz von BUK-Systemen zu sein. Kurz nach dem Absturz hatte der aus Moskau stammende Rebellenführer Igor Strelkow jedoch auf seiner Seite im russischen Onlinenetzwerk "Vkontakte" den Abschuss einer ukrainischen Militärmaschine gemeldet. Inzwischen wurde der Eintrag gelöscht.
Gestern zitierte die Nachrichtenagentur Reuters den Rebellenkommandeur Alexander Chodakowski, die Separatisten hätten zeitweise über Luftabwehrraketen verfügt, mit denen der MH17 möglich gewesen wäre. Heute wies er diesen Bericht im russischen Staatsfernsehen allerdings zurück.
Das sagen Experten
Karl-Heinz Kamp von der Bundesakademie für Sicherheit widerspricht der russischen Darstellung. "Wenn ein Kampfjet der ukrainischen Streitkräfte abhebt, handelt es sich um eine sehr gut dokumentierte Befehlskette, bei der sehr viele Leute involviert sind." Ein solch hochoffizieller militärischer Vorgang ließe sich deshalb nicht einfach vertuschen. "Es müssen ja alle dicht halten." Außerdem stelle sich die Frage, sagt Kamp, was die ukrainische Regierung davon hätte, so etwas Schreckliches zu tun. Er hält deshalb die US-amerikanische für die plausibelste Erklärung.
Luftfahrtexperte Tim van Beveren sagte der "Deutschen Welle", bei der russischen Version der Geschichte handele es sich um Propaganda. Es sei zudem nicht realistisch, dass der Kampfjet in die Nähe des Flugzeugs hätte kommen können. "Der SU-25 hat eine Gipfelhöhe von siebentausend Meter. Das Flugzeug flog in zehntausend Metern Höhe. Da liegen drei Kilometer dazwischen." Auf die Frage, warum die USA noch keine Beweise vorgelegt hätten, antwortete van Beveren, dass es eher unüblich sei, Spionage-Satellitenaufnahmen öffentlich zu machen. "Ich denke aber, wir werden irgendwann Bilder sehen, die alles belegen."
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