Kriminalität gibt es überall. In den Niederlanden scheint man das Problem aber auch ohne Gefängnisse in den Griff zu bekommen: Dort sinkt die Rate seit Jahren beträchtlich - dank der richtigen Maßnahmen.
Den Niederländern gehen die Gefängnisinsassen aus. 19 von landesweit insgesamt 85 Einrichtungen mussten in den vergangenen Jahren geschlossen oder umgewidmet werden.
Allein 2016 kam für nicht weniger als fünf Gefängnisse der letzte Tag. Der Grund für diese doch eher ungewöhnliche Entwicklung: Die Kriminalitätsrate in den Niederlanden sinkt unaufhörlich. Offiziellen Angaben zufolge hat sich die Zahl der Häftlinge in der jüngeren Vergangenheit quasi halbiert.
In Deutschland steigt die kriminelle Energie
Ein Rückgang der Kriminalität? Davon können Länder wie die USA oder auch Deutschland vorerst nur träumen. Ende April dieses Jahres stellte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) die Kriminalstatistik für 2016 vor.
6,37 Millionen registrierte Straftaten listet der Bericht auf – ein kleiner Anstieg um 0,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Das eigentlich Beunruhigende aber ist, dass vielerorts die gewalttätige kriminelle Energie ebenfalls angestiegen ist. Und zwar um 6,7 Prozent auf 193.542 Fälle.
Gefährliche und schwere Körperverletzung kamen in 140.033 Fällen vor – eine Zunahme von fast zehn Prozent. Totschlagsdelikte nahmen um 13 Prozent zu, Vergewaltigungen um 12,8 Prozent.
USA führen weltweite Statistik an
Den weltweit höchsten Stand an Inhaftierten hatten laut dem Datenportal Statista zuletzt im Mai 2017 die USA (321 Mio. Einwohner) mit knapp 2,15 Millionen Menschen hinter Gittern.
Auf Platz zwei folgt China (1,4 Mrd. Einwohner) mit fast 1,7 Millionen. England und Wales (65 Mio. Einwohner) nehmen mit gut 85.000 Gefangenen den 17. Platz im weltweiten Ranking ein.
Demografischer Wandel und seine Folgen?
Woher kommt nun aber der Gegentrend in den Niederlanden mit seinen 17 Millionen Einwohnern? Die dortige Gefängnisbehörde erklärt die Situation einerseits mit der alternden niederländischen Gesellschaft.
So würden die Niederländer immer älter und vielleicht ja auch weiser. Jedenfalls würden ältere Menschen weniger Delikte begehen.
Der demografische Wandel allein kann jedoch nicht verantwortlich sein. Auch in Deutschland, Frankreich oder England nimmt das Durchschnittsalter in der Bevölkerung zu – die Anzahl der Kriminellen aber kaum beziehungsweise gar nicht ab.
Intelligente Sanktionen
Bei genauerem Hinsehen wird deutlich: Die Niederlande verfolgen eine andere Art der Sanktionierung. Nicht das bloße Wegsperren steht im Vordergrund.
Der Maßnahmenkatalog rückt das Erteilen von Sozialdiensten oder die Anwendung von elektronischen Fußfesseln in den Vordergrund - die reichlich Anklang finden, weil sie die Fortführung eines relativ normalen Lebens zulassen. So zählen die Niederlande auch deutlich weniger Wiederholungstäter und Rückfällige.
Deutscher Staat zahlt Milliarden umsonst
Alternative Strafen zum Freiheitsentzug sind nichts Neues. Dass sie statt der klassischen Gefängnisstrafen durchgesetzt werden, macht den Unterschied.
Intelligente Strafen und Resozialisierungsangebote fordert Bernd Maelicke schon lange. Der Jurist, Sozialwissenschaftler und Autor des Buchs "Knast-Dilemma" rechnet vor, dass der deutsche Staat jährlich für den Strafvollzug schätzungsweise vier Milliarden Euro zahlt. Praktisch umsonst.
Denn anstatt sich der Gesellschaft wieder anzunähern, entfernten sich die meisten Insassen in deutschen Justizvollzugsanstalten von ihr, lautet Maelickes Kritik. Er fordert intelligente Lösungen statt Radikalisierung.
Alle könnten profitieren
Ein möglicher Ansatz sein könnte das vor einigen Jahren ins Leben gerufene Projekt "Schwitzen statt sitzen" (oder "Arbeit statt Strafe").
Dieses vermittelt gemeinnützige Arbeitsdienste in Friedhöfen, Schulen und Altersheimen an straffällig gewordene Kleinkriminelle, wenn sie die Höhe ihres Schadens finanziell nicht begleichen können, anstatt ihnen die Freiheit zu entziehen.
2015 habe man so in Schleswig-Holstein 18.346 Hafttage vermieden und damit 2,4 Millionen Euro eingespart, ließ das Justizministerium auf Anfrage der FDP wissen.
Überbelegung ist keine Lösung
Ob Einsparung durch Überbelegung – wie sie etwa in der JVA Hagen in NRW regelmäßig der Fall sein soll – der Gesellschaft einen Dienst erweist, ist indes zu bezweifeln.
Vergleichsweise werden mehr ehemalige Gefängnisinsassen wieder straffällig als Verurteilte, die nicht ins Gefängnis mussten. Hinzu kommen unterschätzte Kosten für ein überlastetes System.
So machte Schleswig-Holstein 2016 Schlagzeilen damit, dass Ersatzhaft für Verurteilte, die ihre Strafe nicht begleichen konnten, die Steuerzahler pro Kopf und Tag 131,62 Euro kostet.
Bundesweit braucht es für Ersatzfreiheitsstrafen mehr als 300 Millionen Euro pro Jahr. Geld, das bei Bewährungshelfern besser aufgehoben wäre.
"Ambulante Maßnahmen wie die Bewährungshilfe und die Straffälligenhilfe freier Träger sind viel erfolgreicher", schreibt Maelicke in seinem Buch.
Strafsystem ist nicht modern genug
Damit ist er nicht allein. Kriminologen und Strafrechtler fordern hierzulande schon seit Jahren ein modernes Strafsystem. Zum Beispiel mit Führerscheinentzug oder – kein Scherz – Facebookverbot für jugendliche Randalierer.
Ein Strafrecht, das die bestmögliche Sicherheit und niedrigen Rückfallquoten zum Ziel hat, - darin sind sich die Experten einig - ist eines mit geringen Gefängnisaufenthalten. So wie in den Niederlanden.
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