- Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hat sich mit seinem Vorstoß, Lebensmittel müssten teurer werden, jede Menge Kritik eingefahren.
- Neben strengeren Vorgaben für Fertigprodukte plant der Minister ein Ende von "Ramschpreisen für Lebensmittel". Damit will er Bauern und Umwelt schützen.
- Geht die Rechnung auf? Ein Realitätscheck in Europa.
Der Vorstoß von Landwirtschaftsminister
In einem Interview mit der "Bild"-Zeitung sagte Özdemir: "Es darf keine Ramschpreise für Lebensmittel mehr geben, sie treiben Bauernhöfe in den Ruin, verhindern mehr Tierwohl, befördern das Artensterben und belasten das Klima." Sozialverbände übten bereits Kritik an der Forderung Özdemirs und forderten einen Ausgleich für finanziell Schwache.
Höhere Verbraucherpreise gleich Umweltschutz?
Özdemirs Idee: Der Preis von Lebensmitteln soll die ökologische Wahrheit stärker ausdrücken. Aber lassen sich mit teureren Verbraucherpreisen Umwelt und Bauern wirklich besser schützen, ohne dabei finanziell Schwache zu stark zu belasten? Ein Realitätscheck in Europa zeigt: Die Antwort fällt gemischt aus.
Zunächst ein Blick auf Deutschland. Inflationsbedingt sind Lebensmittel in Deutschland in den letzten Jahren bereits immer teurer geworden. Für einen Warenkorb mit Nahrungsmitteln und alkoholfreien Getränken, der 2015 noch 100 Euro gekostet hätte, wären 2021 bereits 113 Euro zu zahlen gewesen. Das zeigt der Lebensmittelpreisindex des Statistischen Bundesamtes. Im Jahr 1995 waren es noch knapp 75 Euro.
Lebensmittel sind immer teurer geworden
Der Europa-Vergleich zeigt: Beim Preisniveau für Lebensmittel lag Deutschland zuletzt knapp über dem Durchschnitt. Die Statistikbehörde Eurostat vergleicht die Lebensmittelpreise in Europa und gibt den Durchschnitt mit einem Wert von 100 an. Liegt der Index eines Landes darüber, sind Lebensmittel teurer, liegt er darunter, sind sie günstiger als im Europa-Vergleich.
Deutschland landet mit einem Wert von 102,7 in Europa an 16. Stelle, angeführt wird das Ranking von der Schweiz (172,2), Norwegen (146), Island (132,1), Luxemburg (124,7), Irland (121,1) und Dänemark (120,7). Hier muss man deutlich mehr für Lebensmittel zahlen.
Einkommensniveau entscheidend
Auch in Deutschlands Nachbarländern Frankreich, Belgien, Österreich und Italien zahlen Konsumenten mehr im Supermarkt. Am niedrigsten ist das Preisniveau mit unter 80 Prozent in den Ländern Türkei, Nordmazedonien, Rumänien, Polen, Bosnien und Bulgarien.
Wirklich aussagekräftig sind die Werte aber erst in Kombination mit dem jeweiligen Einkommensniveau. Dann zeigt sich: In Rumänien essen nur Urlauber aus Westeuropa günstig und das hohe Preisniveau in Skandinavien ruiniert die Norweger nicht finanziell.
Belastung der Privathaushalte
Denn die Rumänen müssen laut Eurostat im Schnitt 26,4 Prozent ihrer Konsumausgaben für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke aufwenden, der Europa-Schnitt lag zuletzt bei 14,8 Prozent. Auch in Bulgarien (20,7), Bosnien und Herzegowina (32,3) und der Türkei (24,2) sind die Haushalte durch die Lebensmittelpreise deutlich stärker belastet.
In Deutschland lag dieser Anteil der Konsumausgaben privater Haushalte im Jahr 2020 bei 12 Prozent, also knapp unter dem Durchschnitt. Aber: Während Luxemburg bei den Verbraucherpreisen oben rangiert, wenden die Luxemburger mit 9,5 Prozent ihrer Konsumausgaben vergleichsweise wenig für Lebensmittel auf.
Hohe Preise und soziale Gerechtigkeit
Obwohl die Verbraucherpreise also hoch sind, schlägt sich das nicht in der sozialen Belastung nieder. Das gilt beispielsweise auch für Irland: Trotz überdurchschnittlicher Verbraucherpreise macht der Lebensmittel-Anteil nur 9,8 Prozent der Konsumausgaben aus.
Tatsache also: Nur, weil die Verbraucherpreise für Lebensmittel in einem Land hoch oder niedrig sind, lässt sich daran nicht die soziale Realität ablesen. Im "Social Justice Index" bewertet die Bertelsmann-Stiftung regelmäßig die soziale Gerechtigkeit in den Europa- und OECD-Staaten und zieht dafür Kriterien wie Armutsvermeidung, Bildungs- und Arbeitsmarktzugang zur Rate.
Island, Norwegen und Dänemark rangieren auf den ersten drei Plätzen – ausgerechnet die Länder mit den höchsten Lebensmittelpreisen in Europa. Auf Rang zehn liegt Deutschland und auch Irland (13.), die Schweiz (14.) und Luxemburg (19.) liegen teils deutlich über dem Europa-/OECD-Durchschnitt.
Situation der europäischen Bauern - und wo es besonders ökologisch ist
Noch vollständiger wird das Bild beim Blick auf die Situation der Bauern und der ökologischen Landwirtschaft. Die Situation der europäischen Bauern zu vergleichen, birgt allerdings Tücken – angesichts struktureller Unterschiede bei Pachtpreisen oder Betriebsgrößen wirtschaften die Landwirte unter sehr unterschiedlichen Bedingungen.
Bei der Produktivität je Hektar landen die Niederlande (15.700 Euro), Belgien (6.333 Euro), Italien (4.460 Euro) und Dänemark (4.232 Euro) auf den ersten Plätzen, Deutschland (3.398 Euro) liegt im vorderen Mittelfeld – deutlich vor Frankreich und Spanien mit unter 2.700 Euro Produktionswert pro Hektar.
Ist die Landwirtschaft in den Ländern mit hohen Verbraucherpreisen auch ökologischer? Nicht unbedingt. "Bio-Land" Nummer 1 in Europa ist Österreich. Zuletzt machte der Ökolandbau hier einen Anteil von 25,3 Prozent der bewirtschafteten Flächen aus. Das ist deutlich über dem Europa-Durchschnitt von 7,5 Prozent. Deutschland liegt mit 7,75 Prozent – ähnlich wie bei den Lebensmittelpreisen – knapp darüber.
Während beispielsweise Island und Luxemburg bei den Lebensmittelpreisen im europaweiten Vergleich auf den oberen Plätzen landeten, schneiden die Länder beim Anteil des ökologischen Landbaus mit unter 5 Prozent vergleichsweise schlecht ab.
Ausgaben für Bio-Lebensmittel
Anders aber in Dänemark – hier liegt der ökologische Flächenanteil mit 10,8 Prozent parallel zu den höheren Verbraucherpreisen deutlich über dem Europa-Schnitt. Bei der ökologischen Schweinehaltung liegt Dänemark sogar an der Spitze aller 27 EU-Staaten.
Dänemark ist außerdem Spitzenreiter in Sachen Pro-Kopf-Umsatz für Bio-Lebensmittel. 344 Euro gaben die Dänen zuletzt im Schnitt jährlich für Bio-Lebensmittel aus. In Deutschland sind es nur 144 Euro, Europa-weit knapp 81 Euro. Auf den ersten Plätzen finden sich auch wieder Länder mit hohen Verbraucherpreisen: Zum Beispiel die Schweiz (342 Euro) und Luxemburg (265 Euro).
Ganz eindeutig ist das Bild aber auch bei den Ausgaben für Bio-Lebensmittel nicht. Während die Menschen in Norwegen mit einem Preisniveau von 146 Prozent deutlich mehr im Supermarkt zahlen müssen als in anderen europäischen Ländern, geben sie mit 83 Euro nur etwa den Durchschnittswert für Bio-Lebensmittel aus.
Und obwohl das Preisniveau in Österreich nur knapp über dem Schnitt liegt, kaufen in unserem Nachbarland deutlich mehr Menschen Bio-Lebensmittel – 216 Euro geben die Österreicher pro Kopf im Schnitt dafür aus.
Höhere Preise reichen nicht aus
Fazit: In vielen, aber nicht in allen Fällen, gehen höhere Verbraucherpreise in einem Land auch mit einer besseren sozialen Lage und Situation der Landwirte sowie einem ökologischeren Anbau einher. Besonders in Dänemark und Luxemburg wird dieser Zusammenhang deutlich.
Fest steht jedoch auch, dass höhere Verbraucherpreise allein ein Land sicherlich nicht sozialer und ökologischer machen.
Verwendete Quellen:
- Statistisches Bundesamt: Verbraucherpreisindex für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke
- Statistisches Bundesamt: Konsumausgaben privater Haushalte in Deutschland
- Statistisches Bundesamt: Ökologische Landwirtschaft
- Eurostat: Konsumausgaben der privaten Haushalte nach Verwendungszwecken
- Eurostat: Preisniveauindex für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke in Europa nach Ländern im Jahr 2020
- Eurostat: Anteil der Bio-Anbaufläche an der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Europa nach Ländern im Jahr 2019
- Bild: Cem Özdemir über seine größten Baustellen
- Europäisches Parlament: Bio-Lebensmittel und Ökolandbau: Zahlen und Fakten (Infografik)
- Bertelsmann-Stiftung: Social Justice in the EU and OECD 2019:
- Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft: Branchenreport 2021
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