Wie kann die Sicherheit vor Anschlägen auf der Schiene verbessert werden? Die Hintergründe der bewaffneten Attacke auf den europäischen Hochgeschwindigkeitszug Thalys sind noch nicht aufgeklärt, schon fordern einzelne Politiker mehr Polizeipräsenz. Ob sich Anschläge damit tatsächlich verhindern ließen, bezweifeln selbst Vertreter der Polizeigewerkschaften.
Der Reflex der Politik ist wohl bekannt: Nach dem am Freitagabend von Fahrgästen verhinderten Blutbad im europäischen Hochgeschwindigkeitszug Thalys forderte der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Stephan Mayer (CSU), eine Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen auf Bahnhöfen und in Zügen - obwohl das Motiv der Tat noch gar nicht geklärt ist. Der Täter, ein 26 Jahre alter Marokkaner, ließ über seine Anwältin verlauten, er habe einen Raubüberfall verüben wollen. Ein terroristischer Hintergrund konnte bislang jedoch nicht ausgeschlossen werden.
Im Vergleich zum intensiv kontrollierten Flugverkehr sei der Bahnverkehr wesentlich anfälliger, sagte Mayer der Passauer Neuen Presse. Die nötige Konsequenz: Zusätzliche Sicherheitskräfte sollten den Bahnverkehr schützen. Auch die Polizeigewerkschaften GdP (Gewerkschaft der Polizei) und DPolG (Deutsche Polizeigewerkschaft) befürworten grundsätzlich eine Ausweitung der Sicherheitsvorkehrungen, etwa den Einsatz von Sicherheitsbegleitern in Zügen nach dem Vorbild der auf ausgewählten Flügen tätigen Sky-Marshalls.
In der Praxis ist das wegen der mangelnden Personalausstattung der Bundespolizei allerdings völlig unrealistisch. "Momentan sind wir noch nicht mal in der Lage, Taschendiebstähle zu verhindern", sagt Jörg Radek, stellvertretender Vorsitzender der GdP. Rainer Wendt, Chef der DPolG, erklärt: "Die Forderung ist bei 5.500 Bahnhöfen, 27.000 verkehrenden Zügen pro Tag und rund 2,5 Milliarden Fahrgästen pro Jahr in Deutschland außerhalb jeder Realität." Zumal bei der Bundespolizei derzeit rund 3.000 Stellen unbesetzt sind und auch ein einzelner Polizist in einem Zug nicht für hundertprozentige Sicherheit sorgen kann. "Die Möglichkeit eines terroristischen Anschlages gehört zur Lebensrealität in Deutschland dazu", erklärt Wendt. Absolute Sicherheit gebe es nicht.
Bahnhöfe sollen keine Hochsicherheitstrakte werden
Trotzdem könnten mehr Polizisten das Sicherheitsgefühl vergrößern und zugleich eine abschreckende Wirkung auf mögliche Straftäter haben. "Eine sichtbare und dauerhafte Präsenz auf Bahnhöfen würde mir als Abschreckung schon reichen", erklärt Jörg Radek. "Aber keine Polizisten in Kampfmontur und mit Maschinengewehr im Anschlag, sondern eher normale Streifenpolizisten als Ansprechpartner für die Bürger."
Hochsicherheitstrakte sollen Bahnhöfe nach dem Willen des GdP-Vizes keinesfalls werden, weil das die Reisefreiheit einschränke. Auch Rainer Wendt hält die Schaffung von Kontrollbereichen auf Bahnhöfen – wie man sie von Flughäfen kennt – für "fern jeglicher Realität." Umsetzbar ist dagegen der Ausbau der Kameraüberwachung. "Wir brauchen überall Videoüberwachung mit moderner, digitaler Videotechnik. Damit lassen sich Anschläge wahrscheinlich nicht verhindern, aber zumindest wäre so eine effizientere Aufklärung möglich", sagt Wendt. Besonders der Übergang von den Zügen zum öffentlichen Personennahverkehr und Aufenthaltsräume müssten besser überwacht werden, fordert Radek. Über die Kosten der teuren Neuanschaffungen hatte es immer wieder Streit zwischen Bahn und Polizei gegeben. "Die Bahn müsste da mehr leisten", meint Radek.
Reisende und Bahn-Sicherheitsdienst gefordert
Trotz des Anschlags auf den Thalys, der auch Bahnhöfe in Nordrhein-Westfalen ansteuert, scheinen sich viele Bahnreisende sicher zu fühlen. Warum? Rainer Wendt attestiert der deutschen Bevölkerung eine gesunde Mischung aus Gelassenheit und Aufmerksamkeit für mögliche Gefahren.
Das zeige sich daran, dass immer wieder verdächtige Gepäckstücke gemeldet würden, ohne dass gleich Hysterie ausbräche. Das Sicherheitspersonal der Deutschen Bahn, das häufig mehr Präsenz als die Polizei zeigt, trägt ebenfalls dazu bei. Ob es in Zukunft mehr Polizisten auf den Bahnhöfen und in Zügen geben wird – nicht nur bei konkreten Hinweisen, sondern präventiv – hängt vom Willen der Politik ab, neue Stellen zu schaffen. "Wir sind uns da mit vielen Sicherheitspolitikern von CDU/CSU und SPD einig", erklärt Wendt. "Aber erst wenn sich die Forderung nach einer Aufstockung der Bundespolizei auch im Haushaltsplan der Regierung wiederfindet, wird daraus Politik."
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) äußerte sich laut Zeit Online betont vorsichtig: "Ich kann mir nicht vorstellen, in jede S-Bahn und in jeden Zug Sicherheitsbeamte zu stellen." Soll heißen: Polizisten werden auch künftig im Schienenverkehr die Ausnahme sein.
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