Die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg beendet teilweise die Zusammenarbeit mit dem "China Scholarship Council". Doktoranden, die ausschließlich über die staatliche Behörde finanziert werden, dürfen nicht mehr an der Hochschule promovieren. Ist der Schritt berechtigt und wie groß ist das Einfallstor der Spionage? Experte Stefan Messingschlager gibt Antworten.
Es ist selten, dass interne Entscheidungen von Universitäten bundesweite Wellen schlagen. Diesmal aber schon: Die Universität Erlangen-Nürnberg hat entschieden, ausgewählte chinesische Doktoranden auszuschließen, um einen möglichen Wissensabfluss nach China zu vermeiden. Das gab die Universität in der vergangenen Woche bekannt.
Betroffen ist die Zusammenarbeit mit dem sogenannten "China Scholarship Council (CSC)" – dem chinesischen Pendant zum Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Die Zusammenarbeit wird seit dem 1. Juni ausgesetzt, sie bezieht sich auf Stipendiatinnen und Stipendiaten, die ausschließlich über das CSC finanziert sind. Betroffen davon sind vor allem Promotionsstudierende.
"Gewisse Schwächen" festgestellt
Auslöser für die Entscheidung sei eine Prüfung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) gewesen. Dabei sei man einmal mehr dafür sensibilisiert worden, dass die Universität Rahmenbedingungen schaffen müsse, um mit den Anforderungen des BAFA in Einklang zu stehen. "Um dafür Prozesse aufzusetzen, haben wir bereits 2021 eine eigene Stelle für das Thema Exportkontrolle eingerichtet", sagt Universitäts-Sprecherin Regine Oyntzen gegenüber unserer Redaktion.
Dabei habe man "gewisse Schwächen" in einigen Prozessen identifiziert, die man nun genau unter die Lupe nehme und überarbeite. "Dazu gehört unter anderem ein zentrales Auswahlverfahren für Stipendiatinnen und Stipendiaten, die rein über das CSC finanziert sind", ergänzt die Sprecherin. Man stehe auch im Austausch mit anderen Universitäten.
Nicht alle chinesischen Doktoranden betroffen
"Im Falle einer Co-Auswahl beziehungsweise einer Co-Finanzierung von Personen über Institutionen mit Reputation und Verankerung im demokratischen System sieht die Friedrich-Alexander-Universität keine Gründe für eine Ablehnung", betont Sprecherin Oyntzen. Promovierende, die bereits an der Universität studierten oder bereits eine schriftliche Einladung erhalten hätten, seien nicht betroffen. "Im Augenblick handelt es sich dabei um eine mittlere zweistellige Zahl von Personen."
Die rechtlichen Rahmenbedingungen des BAFA gelten für alle Universitäten in gleichem Maße. Auf seiner Website schreibt das Bundesamt: "Sensitives Technologiewissen ist bei der deutschen Industrie, aber auch in Instituten, Forschungseinrichtungen bis hin zu Fachbereichen deutscher Hochschulen und Fachhochschulen vorhanden." Für all diese Bereiche gäbe es Kontrollvorschriften für den Umgang mit potentiell kritischen Gütern, einschließlich Technologie, Software und sensitivem Know-how-Transfer.
Sorge vor Missbrauch ziviler Güter
Besonderes Gefahrenpotential stellten Kenntnisse über atomare, biologische oder chemische Waffen und dazugehörige Flugkörper sowie über zivile Güter, die zum Gebrauch oder der Entwicklung solcher Waffen bestimmt sind oder bestimmt sein könnten, dar. So könnten beispielsweise Schaltfunkenstrecken aus der Medizintechnik prinzipiell auch eingesetzt werden, um Kernsprengköpfe zu zünden.
Das BAFA warnt: "Einige Staaten versuchen, solch strategisch relevantes Wissen zu erlangen und dieses gegebenenfalls gewinnbringend an andere Staaten weiterzugeben." Die Universitäten würden eine Verantwortung dafür tragen, nicht zu einem Massenvernichtungswaffenprogramm oder zur ungehinderten Verbreitung von konventionellen Rüstungsgütern beizutragen.
Biologie bis Maschinenbau
Besonders gefährdet seien Forschungsgebiete wie etwa Biologie, Chemie, Physik, Kommunikationstechnologie sowie Luft- und Raumfahrt, Maschinenbau und Werkstofftechnik. "Hier können Staaten versucht sein, an Wissen zu gelangen, das ihnen die Herstellung oder die Ausbringung von Massenvernichtungswaffen oder konventioneller Rüstung erlaubt oder zumindest erleichtert", so das BAFA.
Die Sorge: Ein Fall wie der des pakistanischen Ingenieurs Abdul Kadir Khan. Er studierte unter anderem an der Technischen Universität Berlin, der niederländischen Universität Delft und der belgischen Universität Löwen. In Pakistan wurde er zum Vater des dortigen Atomwaffenprogramms. Sein Netzwerk belieferte außerdem den Iran, Nordkorea, Libyen und möglicherweise weitere Staaten und nichtstaatlichen Akteure.
Warum das CSC im Fokus steht
Stefan Messingschlager arbeitet an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. Er ist Historiker und forscht unter anderem zum deutsch-chinesischen Verhältnis. Der Experte weiß, warum die Zusammenarbeit mit dem "Chinese Scholarship Council" als besonderes Risiko gesehen wird. "Der CSC ist der wichtigste Stipendiengeber in China. Anders als der unabhängige Deutsche Akademische Austauschdienst, ist der CSC aber dem Bildungsministerium in Peking und damit der Kommunistischen Partei Chinas unterstellt", sagt er.
Der CSC biete seit vielen Jahren die Möglichkeit, im Ausland zu studieren oder zu promovieren. "Der CSC bietet aber auch Stipendien für westliche Studierende – die Institution an sich ist also nicht direkt das Problem", sagt er. Aber: Wenn die chinesischen Doktoranden als Gegenleistung für eine Finanzierung ihrer Promotion einen Vertrag mit dem CSC schließen würden, seien sie in mehrerlei Hinsicht gebunden.
Keine freie Meinungsäußerung
"Sie können ihre Meinung dann nicht mehr ohne Weiteres frei äußern, sie müssen sich staats- und parteitreu verhalten, verpflichten sich zur Unterstützung der Kommunistischen Partei Chinas und sind offenbar auch an Anweisungen aus den Botschaften oder Konsulaten gebunden", sagt der Experte.
Daraus würden sich mehrere Probleme ergeben. "Die Doktorandinnen und Doktoranden können ihr Recht auf Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit dann nicht mehr vollumfänglich wahrnehmen, was mit Studium und Promotion in Deutschland unvereinbar ist", sagt Messingschlager.
Außerdem würden sich die Doktoranden in eine strukturelle Abhängigkeit begeben. "Sie unterzeichnen nicht nur eine Verpflichtung, nach Abschluss der Promotion nach China zurückzukehren; sie müssen bei Vertragsunterzeichnung auch zwei Bürgen in China vorweisen, womit ein immenser Druck für gefälliges Handeln aufgebaut wird", analysiert er.
Keine seriöse Schätzung möglich
Außerdem bestehe vor diesem Hintergrund zumindest die Option, dass das Scholarship politisch genutzt werde, um den von der Kommunistischen Partei Chinas als extrem wichtig erachteten Wissenstransfer vom Ausland nach China voranzutreiben. "Doktoranden würden in diesem Fall aufgefordert werden, Forschungsergebnisse ihrer Lehrstühle oder Institute weiterzugeben", erklärt Messingschlager. Einer solchen Aufforderung könnten sie sich dann kaum mehr verweigern.
Messingschlager fasst zusammen: "Das Entscheidende an den Verträgen ist: Eine solche Verpflichtung bindet den Unterzeichnenden, auch ohne dass eine konkrete Leistung tatsächlich eingefordert wird. Er verhält sich systemloyal in dem Wissen, dass sonst Sanktionen folgen könnten. Damit ist auch ohne ein unmittelbares Handeln des chinesischen Staates bereits ein wichtiges Ziel erreicht: Gefälliges Verhalten und Unterstützung der KPCh." Wie groß der Anteil der Doktoranden sei, die darüber hinaus für die Akquirierung von Forschungsergebnissen herangezogen werden, sei nicht seriös zu sagen.
Experte stellt klar: kein Rassismus
Der chinesische Staat könne sich mit den Verträgen systemloyales und gefälliges Verhalten sowie Unterstützung der KPCh sichern. Die Gefahr des unzulässigen Wissenstransfers betreffe nicht nur chinesische Doktoranden und es handele sich keinesfalls um Rassismus gegenüber den chinesischen Doktoranden. Es sei dennoch wahrscheinlich, dass es in den vergangenen Jahren bereits einen signifikanten Abfluss von Forschungswissen gegeben habe.
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"Die chinesische Führung interessiert sich vor allem für Forschung, die nicht nur zivil, sondern auch militärisch genutzt werden kann", erinnert der Experte. Ein jüngst vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) veröffentlichter Bericht zeige, wie sehr deutsche Institutionen im Fokus Chinas stünden. "Auch die jüngst publizierte China-Strategie macht nochmals deutlich, dass gerade Kooperationen in Bereichen zu überdenken sind, die auf die Forschung und Entwicklung von Dual-Use-Gütern zielen."
Einfallstor für Spionage
Der Wissenstransfer durch chinesische Doktoranden könne ein wichtiges Einfallstor für Spionage und unzulässigen Wissensabfluss sein. "Viel kritischer sind allerdings die vom Projekt "China Science Investigation" aufgedeckten Forschungskooperationen zwischen deutschen Forschern und chinesischen Universitäten, die Forschung in Dual-Use-Bereichen zum Gegenstand haben", meint der Experte.
Das BAFA greife bisher kaum ein und die Universitäten würden in erster Linie auf die Wissenschaftsfreiheit verweisen. "Erst langsam setzt hier ein Umdenken ein", beobachtet Messingschlager.
Verwendete Quellen:
- Anfrage an die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
- bundeswehr.de: MAD Militärischer Abschirmdienst-Report – Bericht des Militärischen Abschirmdienstes 2021/2022
- bafa.de: Exportkontrolle in Forschung & Wissenschaft
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