Deutschland gehen seine Diener aus. Laut Deutschem Beamtenbund fehlen fast 200.000 Stellen im Öffentlichen Dienst - mit Folgen für Kommunen und Bürger. Spart sich der deutsche Staat in diesem Bereich kaputt?
Nach Angaben des Deutschen Beamtenbundes fehlen in den Kommunalverwaltungen fast 138.000 Mitarbeiter, davon allein im Erziehungsdienst 130.000. 32.000 offene Stellen sind es an den Schulen.
Bei den Landespolizeien gibt es 8.000, bei der Bundespolizei 500 freie Jobs. Den Feuerwehren fehlen 4.000, den Jugendämtern 3.000 Mitarbeiter.
Ebenfalls sind im Öffentlichen Gesundheitsdienst (2.500), in der Justiz (3.000) und bei den Arbeitsagenturen und Jobcentern (1.500) Personaldefizite zu beklagen.
Die Angaben stammen von den einzelnen Mitgliedsgewerkschaften des DBB und zeigen laut Beamtenbund den tatsächlichen Personalmangel im Arbeitsalltag.
Vor Versorgungsengpässen gewarnt
Prof. Jürgen Stember, Dekan am Fachbereich für Verwaltungswissenschaften der Hochschule Harz in Halberstadt, überraschen diese Zahlen nicht.
"Das ist ja kein neues Phänomen. Diese Entwicklung wurde verursacht durch mehr als eineinhalb Jahrzehnte, in denen in den Verwaltungen konsolidiert worden ist und kaum Mitarbeiter mehr eingestellt wurden", sagt der Verwaltungsexperte im Gespräch mit unserer Redaktion.
Stember ist langjähriges Mitglied der Rektorenkonferenz der Hochschulen für den Öffentlichen Dienst. "Wir haben schon vor mehr als zehn Jahren vor Versorgungsengpässen gewarnt, wenn nicht neu eingestellt wird." Genau dazu ist es nun gekommen.
Die Entwicklung könnte sich sogar noch verschärfen. Laut DBB wird in den nächsten zehn Jahren jeder dritte Beamte oder Angestellte altersbedingt aus dem Öffentlichen Dienst ausscheiden.
Der Dachverband rechnet trotz erwartbarer Neueinstellungen mit einer Personallücke von mehreren hunderttausend Beschäftigten.
"Die Politik im Bund und in den Ländern hat oftmals den ordnungspolitischen Anspruch verloren und organisiert den Öffentlichen Dienst nur noch nach dem Kostenstellenprinzip", kritisiert Ulrich Silberbach, Chef des "DBB Beamtenbund und Tarifunion" im "Handelsblatt".
Spart sich der deutsche Staat also kaputt?
"Das ist etwas plakativ formuliert", sagt Verwaltungsexperte Stember. "Aber natürlich sind in der Vergangenheit viele falsche Zeichen gesetzt worden, gerade im Personalmanagement."
Konkrete Folgen für Kommunen und Bürger
Die Kommunen können schon heute einige ihrer Aufgaben nur noch unzureichend erfüllen. In den Schulen kommt es wegen des Lehrermangels zu Unterrichtsausfällen.
Bürger müssen bei Behörden teils wochenlang auf Termine warten. Fehlendes Personal in den Bauplanungsämtern sorgt dafür, dass die Mittel des Bundes für kommunale Investitionen nur schleppend abgerufen werden.
Und Finanzämter können wegen Personalmangels die Steuern nur unzureichend eintreiben. Im Justizwesen ist die Situation besonders dramatisch.
40 Prozent aller deutschen Juristen scheiden bis 2030 aus dem Dienst aus, darunter 10.000 Richter und Staatsanwälte. Schon heute arbeitet die Justiz an der Belastungsgrenze: Teilweise müssen Angeklagte aus der Untersuchungshaft entlassen werden, weil Strafverfahren unvertretbar lange dauern.
Oder es dauert Jahre bis zu einem Gerichtsverfahren. Laut Statistischem Bundesamt ist die Zahl der rechtskräftig verurteilten Straftäter seit zehn Jahren rückläufig, während Straftaten im selben Zeitraum um 1,4 Prozent zugelegt haben.
Jürgen Stember von der Hochschule Harz will zwar noch nicht von einer Krise sprechen, aber er sagt auch: "Die Vorentwicklungen einer Krise sind deutlich erkennbar und zeigen sich in einigen Bereichen deutlicher als in anderen."
Trendwende erkennbar
Allerdings ist in den Verwaltungen durchaus eine Trendwende erkennbar. Der große Personalabbau ist vielerorts gestoppt.
Die Zahl der öffentlich Bediensteten nimmt in Westdeutschland seit 2008 langsam wieder zu und auch im Osten kam der Abbau im Öffentlichen Dienst in den letzten drei Jahren zum Erliegen.
Die Zahl der Lehrer steigt um etwa 6.000 Stellen pro Jahr bundesweit, auch bei den Jobcentern und der Polizei wird wieder eingestellt.
Ein Arbeitsplatz im Öffentlichen Dienst kostet rund 60.000 Euro im Jahr. Für 10.000 zusätzliche Stellen müsste der Bund rund 600 Millionen Euro im Jahr ausgeben.
"Seit drei, vier Jahren haben die Stellenanzeigen für unsere Absolventen enorm zugenommen. Das ist eine Folge davon, das jahrelang nicht eingestellt worden ist. Das kehrt sich nun allmählich um", erklärt Hochschul-Dekan Stember.
Die Verwaltungen suchen nach jungen, qualifizierten Kräften, die aber wegen des demografischen Wandels immer weniger vorhanden sind.
Ein großes Problem, vor allem in ländlichen, weniger attraktiven Regionen. "Die Länder und vor allem die Kommunen merken jetzt: Sie bekommen einfach keine Leute mehr", erklärt Gisela Färber, Professorin an der Verwaltungsuniversität Speyer, dem "Handelsblatt".
Dafür macht sie auch reale Einkommensrückgänge bei den Beamten in den letzten 15 Jahren sowie die Befristung bei vielen Neueinstellungen verantwortlich. Laut Stember müssten viele Verwaltungen zudem erst lernen, sich als attraktive Arbeitgeber zu präsentieren.
Mehr Effizienz gefordert
Die Experten sehen in einigen Bereichen tatsächlich einen Personalmangel, an anderen Stellen erkennen sie noch Bedarf für Verbesserungen.
"Durch mehr Effizienz und Zusammenarbeit zwischen Kommunen in Bereichen wie Personalwesen, Beschaffung oder IT könnte die Arbeit der Behörden besser organisiert werden. Dadurch würden Kapazitäten frei, um etwa den Bürgerservice zu erhöhen", sagt Stember.
Der Professor von der Hochschule Harz fordert darüber hinaus eine grundlegende Diskussion, wie Verwaltung in der Zukunft auszusehen hat.
"Die Verantwortlichen müssen sich überlegen, was wirklich wichtige öffentliche Aufgaben sind und wie man sie effizient organisieren kann, ohne dass der Bürger Abstriche machen muss", sagt er.
Sonst könnte aus der Vorstufe doch noch eine handfeste Krise im Verwaltungssektor erwachsen.
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