- 100 Milliarden Euro will die Bundesregierung in Aus- und Aufrüstung der Bundeswehr investieren.
- Die Angst vor der Anwendung von Nuklearwaffen geht um.
- Ist damit das Ende der Entspannungspolitik gekommen?
- Friedensforscher meinen: es gibt noch Hoffnung.
Erst Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts endete nach verbreiteter Historikermeinung die Zeit des Kalten Krieges, in der sich nach dem Ende des zweiten Weltkrieges feindliche Machtblöcke mit wachsendem Misstrauen und immer größeren Waffenarsenalen gegenüberstanden. Am Ende reichte der Bestand an Atomsprengköpfen aus, um die Erde gleich mehrmals zu zerstören. Beendet wurde diese Ära durch die Entspannungspolitik. Sie führte über vertrauensbildende Maßnahmen und internationale Abkommen zu mehr Vertrauen zwischen den Großmächten, zu Rüstungskontrolle und in begrenztem Maß sogar zu Abrüstung – und so zu wachsender Sicherheit zwischen den Staaten.
Friedensbemühungen "naiv"
Was in vierzig Jahren mühseliger Annäherung erreicht wurde, scheint der russische Angriff auf die Ukraine in wenigen Tagen zunichte gemacht zu haben. Der Krieg zerstört nicht nur das Vertrauen zwischen den Großmächten, sondern auch das Vertrauen in die Zukunft. Aufrüstung heißt die neue Devise – mehr Waffen werden gefordert, größere Verteidigungsetats sind schon in Planung, allein die Bundesregierung will 100 Milliarden Euro zusätzlich in die Ausstattung der Bundeswehr investieren. Politiker wie der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz denken gar über den Einsatz der Nato unter bestimmten Voraussetzungen nach – und damit über eine mögliche Ausweitung des Krieges in kaum überschaubarem Ausmaß.
Vielfach werden mittlerweile Politiker, die sich für einen friedlichen Ausgleich mit Russland eingesetzt hatten, als "naiv" bezeichnet – ebenso wie Vertreter der entspannungsorientierten Friedens- und Konfliktforschung. Ein Vorwurf, dem sich Thorsten Bonacker entschieden entgegenstellt: "Das Gegenteil ist richtig", postuliert der Wissenschaftler. Er verweist auf die "den sehr langen Zeitraum", relativen Friedens in Europa. Interessenskonflikte seien in der Politik "der Normalzustand", damit diese nicht in Gewalt münden, müssten Abrüstung und Entspannung "der Königsweg" bleiben. "Sicherheit", so Bonacker, "erreicht man nicht mit Abschreckung, Frieden schon gar nicht".
Trotzdem stehe die Friedensforschung vor einem Scherbenhaufen, ergänzt Felix Anderl, wie Bonacker als Professor am Zentrum für Konfliktforschung der Universität Marburg tätig: Sowohl in Anbetracht der Regierungspolitik als auch im Hinblick auf gesellschaftliche Entwicklungen sieht er das Thema Entspannung derzeit mit dem Rücken zur Wand. Doch auch er plädiert für eine Fortsetzung und Weiterentwicklung konfliktlösender Konzepte. Zwar habe die Abschreckungstheorie weiterhin eine Funktion: "Wenn die Nato wollte, könnte sie Russland zerstören, sie tut es aber nicht, weil sie damit einen alleszerstörenden Krieg auslösen könnte". Gerade darin aber sieht Anderl ein Argument gegen den Trend zur Aufrüstung: "Mehr Geld für deutsche Waffen kann am derzeitigen Zustand nichts ändern."
"Hoffnung gebe allein das Festhalten am Dialog"
"Die bittere Wahrheit ist: Es ist etwas möglich, was wir für überwunden gehalten haben", diagnostiziert Thorsten Bonacker und meint damit nicht nur den Krieg im Osten, sondern auch die "Aufrüstungseuphorie" im Westen. Doch er hält unbeirrt mit wissenschaftlichen Erkenntnissen dagegen: "Wir wissen, dass dauerhafter Frieden nicht mit Waffen und Abschreckung hergestellt werden kann". Die 100 Milliarden Euro, die die Bundesregierung in die Aufrüstung der Bundeswehr stecken möchte, werde nach Ansicht der Forscher ohnehin nicht hilfreich sein: "Die Auswirkungen auf den Ukrainekonflikt sind gleich Null", konstatiert Bonacker.
Anderswo dagegen werden sie fehlen: "Wenn man von den 100 Milliarden fürs Militär, die nun plötzlich vorhanden sind, vor zehn Jahren einen Teil in den Aufbau regenerativer Energien investiert hätte", gibt Felix Anderl zu bedenken, "dann wären wir heute unabhängig von russischem Gas". Auch mehr fachkompetentes Personal für die Ostpolitik wäre eine sinnvollere Investition als mehr Waffen für die Bundeswehr, meint der Forscher: "Es gibt einen eklatanten Mangel an Experten, die russisch sprechen und sich mit Geografie und Kultur des Landes auskennen. Da sollte man investieren!"
Rundum pessimistisch wollen sich beide Experten nicht geben. Auch wenn derzeit "militärische Logik und Sicherheitslogik" an Überzeugungskraft gewinnen – andere Wege als Aufrüstung werden am Ende den Konflikt beenden, ist Bonacker überzeugt: "Vorübergehende Sicherheit, der Schutz der Zivilbevölkerung, die Hilfe für Flüchtlinge – das alles habe jetzt Priorität, mache aber noch keinen Frieden. Hoffnung gebe allein das Festhalten am Dialog, an internationalen Verpflichtungen und Verträgen, gemeinsamen Institutionen und Regeln – das wären seines Erachtens "echte Friedensschritte", im Sinne der Friedens- und Konfliktforschung.
Kein Frieden durch Selbstaufgabe
Dass dies mit Putin als Regierungschef möglich wäre, bezweifelt Bonacker. Der Aufbau von neuem Vertrauen hänge möglicherweise auch von einem Regimewechsel in Russland ab. Ob mit oder ohne Putin, Bonacker ist sich sicher, dass dieser Prozess "sehr lange" dauern werde – "da reden wir nicht von übermorgen". Anderl findet es richtig, "dass Deutschland und die Nato in diesen Krieg auf keinen Fall einsteigen wollen." Das höre sich zynisch an, weil man die Ukraine faktisch ihrem Schicksal überlassen müsse. Hoffnung bestehe in der Möglichkeit, "Gesprächsmöglichkeiten zu schaffen und zu ergreifen, Drittparteien wie die Türkei in den Prozess zu integrieren" – kurz gesagt: weiter zu verhandeln.
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Der Ukraine allerdings eine schnelle Kapitulation zu empfehlen, lehnen beide Friedensforscher ab: Anderl findet solche Ratschläge "wohlfeil für alle, die nicht betroffen sind". Und Bonacker betont, eine derartige "Rotweinpolitik" bringe ihn "so richtig auf die Palme" – sie sei zynisch und überheblich. Frieden durch Selbstaufgabe – das ist auch für Friedensforscher keine angemessene Konfliktlösung.
Prof. Felix Anderl und Prof. Thorsten Bonacker lehren am Zentrum für Konfliktforschung der Universität Marburg.
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