Tanja Gräff ist tot. Ihre Angehörigen haben nun Gewissheit, fast acht Jahre nach dem Verschwinden der jungen Studentin. Sie ist kein Einzelfall in Deutschland. Täglich nimmt die Polizei bis zu 300 Vermisstenanzeigen auf. Wie die Ermittler vorgehen, wann jemand als vermisst gilt - und wie viele Kinder verschwinden.
Es ist traurige Gewissheit: die vermisste Trierer Lehramtsstudentin Tanja Gräff ist tot. "Ernsthafte Zweifel bestehen aus unserer Sicht nicht", sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Peter Fritzen auf einer Pressekonferenz am Dienstag. Der Fall, der im Juni 2007 nach einem Fest der Fachhochschule Trier verschwundenen Gräff, hatte nach Angaben der Polizei kaum dagewesene Ermittlungen nach sich gezogen - 900 Spuren sei nachgegangen worden. Doch erst durch einen Zufall stießen die Ermittler auf die Leichenteile der damals 21 Jahre alten Studentin. Zwar wird in Richtung eines Tötungsdelikts ermittelt. Die Todesursache aber ist weiter unklar. Der Fall Tanja Gräff ist spektakulär, prominent, bekannt. Doch es gibt viele weitere in der Bundesrepublik. Täglich erfassen Polizeibeamte zwischen Flensburg und Freiburg 250 bis 300 Vermisstenanzeigen. Wann jemand als vermisst gilt. Und wie viele Kinder unter den Vermissten sind, lesen Sie im Folgenden.
Wie viele Menschen werden in Deutschland vermisst?
Das Bundeskriminalamt (BKA) führt eine sogenannte Datei Vermisste/Unbekannte Tote. Darin waren im Januar 2014 6.800 in Deutschland als "vermisst" gemeldete Personen. Dies ist die letzte auf der Homepage des BKA ausgewiesene Zahl. In dieser Zahl sind sowohl Fälle enthalten, die sich innerhalb weniger Tage aufklären, als auch Vermisste, die seit bis zu 30 Jahren verschwunden sind. Erfahrungsgemäß erledigen sich nach Angaben des BKA etwa die Hälfte der Vermissten-Fälle innerhalb der ersten Woche - zum Beispiel, weil ein Irrtum vorliegt oder von zu Hause ausgebüxte Jugendliche wieder heimkehren. Binnen Monatsfrist steige diese Quote auf über 80 Prozent. Der Anteil der Personen, die länger als ein Jahr vermisst werden, liegt im Schnitt bei drei Prozent. Im Januar 2014 waren dies also um die 200 Personen, darunter auch Tanja Gräff.
Wie viele Kinder werden vermisst?
Knapp zwei Drittel aller Vermissten sind männlich, etwa die Hälfte Kinder und Jugendliche. Das BKA verweist auf die hohe Aufklärungsquote bei vermissten Kindern: 99 Prozent. Am 10. April 2013, so der letzte Verweis, waren - gerechnet ab dem frühesten Vermisstendatum 03.März 1951 - insgesamt 872 Kinder unter 13 Jahren als vermisst erfasst.
Ab wann gilt jemand als vermisst?
Minderjährige gelten als vermisst, wenn sie ihren gewohnten Lebenskreis verlassen haben und ihr Aufenthaltsort unbekannt ist. "Die Frage ist, was wir dazu recherchieren können. Bei Kindern wird direkt gesucht. Bei Erwachsenen müssen sogenannte Gefahrenpunkte dazukommen, zum Beispiel Suizidgefahr", schildert der Trierer Polizeihauptkommissar Karl-Peter Jochem im Gespräch mit diesem Portal. "Wenn zum Beispiel ein Abschiedsbrief vorliegt, wird es konkret. Oder wenn jemand erzählt, dass die vermisste Person schon mal Suizidgedanken geäußert hat."
Wie wird gesucht?
Häufig fehle es an der sogenannten Vermissteneigenschaft, erklärt das BKA. Ergo: Es besteht keine Gefahr für Leib oder Leben oder die gesuchte Person hat sich bewusst abgesetzt. Ein Beispiel sind junge Erwachsene, die nach einem Krach das Elternhaus aus freien Stücken verlassen. Welche Maßnahmen aber leitet die Polizei bei Verdachtsfällen ein? "Wenn wir keine Anhaltspunkte haben, suchen wir erstmal im Umfeld des Zuhauses", erzählt Jochem. "Grundsätzlich beginnen wir da, wo der Vermisste zuletzt gesehen wurde oder vermutet wird." Auf jeden Fall sind die Ermittler dazu angehalten, immer weiter zu suchen - bis zu 30 Jahre lang. So schilderte Chef-Ermittler Christian Soulier nun im Fall Tanja Gräff, dass die Polizei im Gebiet des Fundortes der Leichenteile im Sommer 2007, nochmals im Winter 2008 und schließlich bei Rodungsarbeiten 2011 gesucht habe.
Wie werden die Leichen den Vermissten zugeordnet?
Mithilfe der bereits erwähnten Kartei für Vermisste/Unbekannte Tote. In dieser sind Bilder der Vermissten oder von deren persönlichen Gegenständen angelegt. "Es gibt heute die Möglichkeit des Abgleichs der DNA oder des Zahnstatus'. Es wird versucht, DNA-Spuren zu ermitteln und die werden dann mit den gespeicherten Daten verglichen", erklärt Jochem. Bei den Angehörigen werde dazu DNA-Material sichergestellt, erzählt er. "Manchmal werden aber auch persönliche Gegenstände gefunden." So, wie im Fall Gräff. Die Ermittler fanden Armbanduhr, Studentenausweis, Ohrringe und das Handy der Studentin. Wie Oberstaatsanwalt Fritzen erklärte, stimmen auch der damals erhobene Zahnstatus Gräffs’ und der am Oberkieferknochen der Leiche gefundene überein.
Wann werden die Angehörigen informiert?
Erst, wenn es keine Zweifel mehr gibt. "Wir müssen ja erstmal sicher sein, um wen es sich da handelt. Wir können ja nicht zu den Leuten gehen und sagen: ‚Wir haben da was gefunden, es kann sein, dass das Ihr Angehöriger ist’", erklärt Jochem. "Erst wenn wir uns sicher sind, reden wir direkt mit den Angehörigen."
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